eidelberger Kanilienblätter.
Belletriſtiſche Zbeilage zur Heidelberger Zeitung.
ur. 102.
Mittwoch, den 22. December
1886.
Ein Opferlaum.
Novellette von A. W. Gellrich.
Fortſetzung.)
Waren ſie Abends bei einem Feſte, ſo war er einer
der Luſtigſten und Aufgeräumteſten; ſaßen ſie dagegen am
nächſten Morgen beim Kaffee zuſammen, ſo war er launiſch,
benahm ſich heftig gegen die Untergebenen, ohne rechten
Grund zu haben; ja ſelbſt gegen ſie konnte ſein Betragen
mitunter ein unerklärliches ſein. Es ſchien ihr, als habe
er ein Geheimniß; irgend etwas, das ihn bedrückte und
das ſie nicht kannte. Oder war ſeine Liebe zu ihr ſchon
im Erlöſchen? Dieſe Zweifel peinigten ſie entſetzlich.
Vergebens bemühte ſie ſich, doppelt liebenswürdig zu
ſein; ſie ſuchte ihrem Gatten alles an den Augen abzu-
leſen; ja das ganze Verhältniß der beiden verkehrte ſich
ſo vollſtändig, als ob ſie der liebende, in ſich gefeſtigte
Mann ſei, er dagegen die launiſche, in ihren Erwartungen
getäuſchte, durch nichts zu befriedigende Frau. Franziska
litt unter dieſem Zuſtand ungeheuer; ſie magerte förmlich
ab in der Sorge um ihren Abgott, für deſſen Weſen ſie
keine Erklärung fand. ö
Dieſe Bitterkeit in ſeinen Reden, wenn er darauf zu
ſprechen kam, daß dieſer oder jener Bekannte dieſen und
jenen Genuß ſich verſchaffen könne, den er ſich verſagen
müſſe! — es war ihr unerklärlich. ö
„Siehſt Du,“ ſagte er da zuweilen, „da hat Herr von
F., den Du ja kennſt, jetzt mit ſeiner Frau eine Reiſe nach
Paris gemacht; acht Wochen bleibt er dort; dann gehen ſie
nach Spanien. Wir ſollten mitreiſen; aber wie können
wir daran denken!“ Solche und ähnliche Betrachtungen
ſtellte er häufig an; aber die junge Frau begriff nichts.
Immer noch hatte ſie nicht die leiſeſte Ahnung von dem
Opferlammgefühl, das ihr Gatte heimlich mit ſich herumtrug.
Ein kleiner Zwiſchenfall ſollte ihrem Verſtändniß plötz-
lich zu Hilfe kommen. ö
ö Eines Vormittags, Fedor war bereits ausgegangen,
wie er es ſeit einiger Zeit öfter that, ſo daß Leute, die
ihn ſprechen wollten, wieder umkehren mußten, ließen ſich
bei der jungen Frau zwei Herren melden: Herr Levy und
Herr Reißmann, ſo lauteten die Namen auf ihren Karten.
Die junge Frau las dieſelben etwas verwundert, ließ die
Herren aber zu ſich bitten. ö
Nach einer weitſchweifigen Einleitung und nach vielen
Entſchuldigungen, daß ſie ſich erlaubt hätten, die gnädige
Frau zu ſtören, kamen die beiden Beſucher endlich zur
Ruhe: „Sehen Sie, gnädige Frau,“ hob Levy auf die
Fragen Franziskas an, „wir haben doch dem gnädigen
Herrn, ich und hier mein Compagnon, der Herr Reißmann,
voriges Jahr ein Kapital geliehen, das der gnädige Herr
die Güte gehabt hat von uns anzunehmen. Ein baares,
5e F Nun und wenn er —...“
err Levy machte eine Pauſe und ſein Compagno
ſetzte für ihn ein: Wauſ bagnon
„Wenn er würde ſich verheirathet haben, hat damals
der gnädige Herr verſprochen, würden wir es zurückbe-
kommen. .“ ö
„Und nun iſt der gnädige Herr verheirathet,“ fiel wie-
derum Herr Levy ein, „und noch dazu mit einer ſo ſchönen
und liebenswürdigen und reichen jungen Dame, und wir
brauchen doch unſer Geld; wir ſind doch Geſchäftsleute,
gnädige Frau ....“
„Ja, aber der gnädige Herr hat es uns noch nicht ge-
geben,“ ſpann Reißmann den Faden weiter, „und er iſt
nie zu ſprechen, wir kommen doch von weit her.“
„Und deßhalb,“ ſchob wieder Levy ein, „möchten wir
die gnädige Frau gebeten haben, daß ſie ein gutes Wort
für uns einlegt; denn der gnädigr Herr hat es gewiß bloß
vergeſſen oder iſt zu beſchäftigt.“ — — — ö
„Weil andernfalls“ — ſprach Reißmann wieder, dies-
mal mit Betonung —
„Ja andernfalls ...“ wiederholte Levy.
„Wir ernſter auftreten müßten!“ ſetzte Reißmann, der
mehr im Hintergrunde ſtand, den Satz raſch fort. ͤ
„Wirklich und wahrhaftig ernſter, und das thäte uns
doch gewiß leid!“ ſekundirte wiederum Levy.
Die junge Frau war über dieſe Sprache tief erſchrocken,
beherrſchte ſich aber und verſprach, ihrem Gatten alles zu
berichten, ſie ſelbſt wiſſe von der Sache nichts.
Was war das? Was wollten dieſe Leute mit ihren
verſteckten Drohungen ſagen? So hätte ihr Gatte Schul-—
den und konnte ſie nicht bezahlen? Es ſchien ihr ſo un-
wahrſcheinlich. Wie hätte er ſonſt ſo viele Ausgaben ge-
macht zu Vergnügungszwecken? Wo er ſo gut wußte, wie
wenig Werth ſie darauf legte. Oder that er es ſeiner
ſelbſt wegen? — Gleichviel — war er nicht reich? —
Da trat ihr Mann in's Zimmer. Sie eilte ihm ent-
gegen und ſagte: „Lieber Fedor, eben waren zwei Herren
hier, die ſo garſtige Reden geführt, und die von einem
Kapital, das ſie hergeliehen, und von „Ernſtmachen
und dergleichen ſprachen; ſage mir doch, was iſt's mit
ihnen? Es hat mich ganz unruhig gemacht!“
„Wie hießen Sie,“ fragte Fedor und zog das Geſicht
in Falten.
„Hier ihre Karten, Levy und Reißmann“ aus Kö-
nigsberg.Ss
„So. Und wie kommſt Du dazu, Dich mit dieſen
Leuten in Geſpräche einzulaſſen, wie konnteſt Du Dich in
ſolche Angelegenheiten miſchen?“ Ihr Gatte ſprach das ſo
barſch und hart, daß Franziska zuſammenfuhr.
„Aber, lieber Fedor,“ ſagte ſie bittend, „ich konnte
doch nicht dafür; ſie ließen ſich bei mir melden.“
„Die Unverſchämten,“ brauſte Fedor auf; „hinaus-
werfen hätteſt Du ſie laſſen ſollen.“ ö
„Alſo iſt es nicht wahr, was ſie ſagten? Gott ſei
Dank, das freut mich!“ ö
„Nicht wahr!“ wiederholte der junge Ehemann grim-
mig; „gewiß iſt es wahr! Und wenn es das allein wäre!
Aber es gibt noch Schlimmeres! Und das wird jetzt kom-
men, eines nach dem andern oder vielmehr alles zuſammen.
O Gott, o Gott, in ſolche Miſere gerathen zu ſein!“
Er ſprach es laut und mit wüthendem Ingrimm, dabei
Belletriſtiſche Zbeilage zur Heidelberger Zeitung.
ur. 102.
Mittwoch, den 22. December
1886.
Ein Opferlaum.
Novellette von A. W. Gellrich.
Fortſetzung.)
Waren ſie Abends bei einem Feſte, ſo war er einer
der Luſtigſten und Aufgeräumteſten; ſaßen ſie dagegen am
nächſten Morgen beim Kaffee zuſammen, ſo war er launiſch,
benahm ſich heftig gegen die Untergebenen, ohne rechten
Grund zu haben; ja ſelbſt gegen ſie konnte ſein Betragen
mitunter ein unerklärliches ſein. Es ſchien ihr, als habe
er ein Geheimniß; irgend etwas, das ihn bedrückte und
das ſie nicht kannte. Oder war ſeine Liebe zu ihr ſchon
im Erlöſchen? Dieſe Zweifel peinigten ſie entſetzlich.
Vergebens bemühte ſie ſich, doppelt liebenswürdig zu
ſein; ſie ſuchte ihrem Gatten alles an den Augen abzu-
leſen; ja das ganze Verhältniß der beiden verkehrte ſich
ſo vollſtändig, als ob ſie der liebende, in ſich gefeſtigte
Mann ſei, er dagegen die launiſche, in ihren Erwartungen
getäuſchte, durch nichts zu befriedigende Frau. Franziska
litt unter dieſem Zuſtand ungeheuer; ſie magerte förmlich
ab in der Sorge um ihren Abgott, für deſſen Weſen ſie
keine Erklärung fand. ö
Dieſe Bitterkeit in ſeinen Reden, wenn er darauf zu
ſprechen kam, daß dieſer oder jener Bekannte dieſen und
jenen Genuß ſich verſchaffen könne, den er ſich verſagen
müſſe! — es war ihr unerklärlich. ö
„Siehſt Du,“ ſagte er da zuweilen, „da hat Herr von
F., den Du ja kennſt, jetzt mit ſeiner Frau eine Reiſe nach
Paris gemacht; acht Wochen bleibt er dort; dann gehen ſie
nach Spanien. Wir ſollten mitreiſen; aber wie können
wir daran denken!“ Solche und ähnliche Betrachtungen
ſtellte er häufig an; aber die junge Frau begriff nichts.
Immer noch hatte ſie nicht die leiſeſte Ahnung von dem
Opferlammgefühl, das ihr Gatte heimlich mit ſich herumtrug.
Ein kleiner Zwiſchenfall ſollte ihrem Verſtändniß plötz-
lich zu Hilfe kommen. ö
ö Eines Vormittags, Fedor war bereits ausgegangen,
wie er es ſeit einiger Zeit öfter that, ſo daß Leute, die
ihn ſprechen wollten, wieder umkehren mußten, ließen ſich
bei der jungen Frau zwei Herren melden: Herr Levy und
Herr Reißmann, ſo lauteten die Namen auf ihren Karten.
Die junge Frau las dieſelben etwas verwundert, ließ die
Herren aber zu ſich bitten. ö
Nach einer weitſchweifigen Einleitung und nach vielen
Entſchuldigungen, daß ſie ſich erlaubt hätten, die gnädige
Frau zu ſtören, kamen die beiden Beſucher endlich zur
Ruhe: „Sehen Sie, gnädige Frau,“ hob Levy auf die
Fragen Franziskas an, „wir haben doch dem gnädigen
Herrn, ich und hier mein Compagnon, der Herr Reißmann,
voriges Jahr ein Kapital geliehen, das der gnädige Herr
die Güte gehabt hat von uns anzunehmen. Ein baares,
5e F Nun und wenn er —...“
err Levy machte eine Pauſe und ſein Compagno
ſetzte für ihn ein: Wauſ bagnon
„Wenn er würde ſich verheirathet haben, hat damals
der gnädige Herr verſprochen, würden wir es zurückbe-
kommen. .“ ö
„Und nun iſt der gnädige Herr verheirathet,“ fiel wie-
derum Herr Levy ein, „und noch dazu mit einer ſo ſchönen
und liebenswürdigen und reichen jungen Dame, und wir
brauchen doch unſer Geld; wir ſind doch Geſchäftsleute,
gnädige Frau ....“
„Ja, aber der gnädige Herr hat es uns noch nicht ge-
geben,“ ſpann Reißmann den Faden weiter, „und er iſt
nie zu ſprechen, wir kommen doch von weit her.“
„Und deßhalb,“ ſchob wieder Levy ein, „möchten wir
die gnädige Frau gebeten haben, daß ſie ein gutes Wort
für uns einlegt; denn der gnädigr Herr hat es gewiß bloß
vergeſſen oder iſt zu beſchäftigt.“ — — — ö
„Weil andernfalls“ — ſprach Reißmann wieder, dies-
mal mit Betonung —
„Ja andernfalls ...“ wiederholte Levy.
„Wir ernſter auftreten müßten!“ ſetzte Reißmann, der
mehr im Hintergrunde ſtand, den Satz raſch fort. ͤ
„Wirklich und wahrhaftig ernſter, und das thäte uns
doch gewiß leid!“ ſekundirte wiederum Levy.
Die junge Frau war über dieſe Sprache tief erſchrocken,
beherrſchte ſich aber und verſprach, ihrem Gatten alles zu
berichten, ſie ſelbſt wiſſe von der Sache nichts.
Was war das? Was wollten dieſe Leute mit ihren
verſteckten Drohungen ſagen? So hätte ihr Gatte Schul-—
den und konnte ſie nicht bezahlen? Es ſchien ihr ſo un-
wahrſcheinlich. Wie hätte er ſonſt ſo viele Ausgaben ge-
macht zu Vergnügungszwecken? Wo er ſo gut wußte, wie
wenig Werth ſie darauf legte. Oder that er es ſeiner
ſelbſt wegen? — Gleichviel — war er nicht reich? —
Da trat ihr Mann in's Zimmer. Sie eilte ihm ent-
gegen und ſagte: „Lieber Fedor, eben waren zwei Herren
hier, die ſo garſtige Reden geführt, und die von einem
Kapital, das ſie hergeliehen, und von „Ernſtmachen
und dergleichen ſprachen; ſage mir doch, was iſt's mit
ihnen? Es hat mich ganz unruhig gemacht!“
„Wie hießen Sie,“ fragte Fedor und zog das Geſicht
in Falten.
„Hier ihre Karten, Levy und Reißmann“ aus Kö-
nigsberg.Ss
„So. Und wie kommſt Du dazu, Dich mit dieſen
Leuten in Geſpräche einzulaſſen, wie konnteſt Du Dich in
ſolche Angelegenheiten miſchen?“ Ihr Gatte ſprach das ſo
barſch und hart, daß Franziska zuſammenfuhr.
„Aber, lieber Fedor,“ ſagte ſie bittend, „ich konnte
doch nicht dafür; ſie ließen ſich bei mir melden.“
„Die Unverſchämten,“ brauſte Fedor auf; „hinaus-
werfen hätteſt Du ſie laſſen ſollen.“ ö
„Alſo iſt es nicht wahr, was ſie ſagten? Gott ſei
Dank, das freut mich!“ ö
„Nicht wahr!“ wiederholte der junge Ehemann grim-
mig; „gewiß iſt es wahr! Und wenn es das allein wäre!
Aber es gibt noch Schlimmeres! Und das wird jetzt kom-
men, eines nach dem andern oder vielmehr alles zuſammen.
O Gott, o Gott, in ſolche Miſere gerathen zu ſein!“
Er ſprach es laut und mit wüthendem Ingrimm, dabei