elberger Fanilienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Ar. 14.
Mittwoch, den 17. Februar
1886.
Die Fräulein von Paalen.
Novelle von E. von W ald⸗Zedtwitz.
(Fortſetzung.) ö
„Es ſcheint gutartig zu werden,“ ſagte Frau von
Vaalen zuverſichtlich, während ihr Gatte nach der offenen
See deutend ungläubig den Kopf ſchüttelte.
„Dort ſieht es nicht ſo aus, nun, die Leute drüben in
der Stadt ſind vorbereitet, und wir liegen ſo hoch, daß der
liebe Gott ſchon ein Wunder thun müßte, wenn er uns in
Gefahr bringen wollte.“
„Der Himmel gebe es!“ ſeufzte die junge Frau und
ging in das Haus zurück. Eine ſcharfe Briſe wehte jetzt
von der offenen See her und trieb die Boote flüchtig
herein, nun war mit einemmale auch dieſe vorüber, die
Luft ſchien zu ſtehen.
„Merkwürdig, merkwürdig, und dabei wird es beinahe
Nacht,“ dachte von Paalen und in der That ſchien es auch
ſo. Der ganze Himmel war mit einer dichten, undurch-
dringlichen Wolkenmaſſe behangen, Marlitta und Marlene
hielten ſich ängſtlich am Rockſchoß des Kaufherrn und be-
obachteten die zunehmende Finſterniß. Während dieſer Zeit
war Karl Janſens drüben im Städtchen eifrig bemüht, in
Abweſenheit ſeines Vaters mit ſeiner Mutter das kleine
Anweſen, das hart am Strande lag, vor Gefahr zu ſchützen.
„Ertrinken wir wirklich nicht, Vating?“ fragte Marlene.
„Nein, mein Kind, unſer Häuschen liegt zu hoch, bis
hierher kommen die Wellen nicht,“ entgegnete der Gefragte.
Marlenens Geſichtchen lächelte heiter, bedeutend ruhiger ſah
ſie den ſich dunkel und dunkler färbenden Himmel an.
Doch Marlitta ſchaute ängſtlich zum Vater empor.
„Aber drüben, Karl Janſens, er muß doch nicht er-
trinken?“
„Auch ihn wird der liebe Gott ſchon behüten.“
„Aber in der Stadt iſt es gefährlicher als hier, wir
wollen ihn zu uns holen,“ drängte Marlitta, die offenbar
der Hilfe des lieben Gottes nicht ſo viel zutraute, wie
ihrer eigenen. ö
„Ach ja, da können wir wunderſchön zuſammen ſpielen,“
jubelte Marlene. ö —
„Das geht nicht, liebe Kinder, ſeine Eltern wollen ihn
beſtimmt jetzt nicht miſſen und werden ſchon für ſeine
Sicherheit ſorgen.“ ö ö
Dieſe Frage war erledigt, wenn auch nicht zur Zu-
friedenheit der Kinder, Marlitta bangte für Karl Janſens'
Leben und Marlene vermißte den gewohnten Spielkameraden.
Die Ruhe in der Natur war niederdrückend.
Herr von Paalen ſehnte ſich ordentlich nach einem er-
löſenden Laute, er brauchte nicht lange darauf zu warten,
mit Rieſenflügeln ſtob der Nordoſt über die Waſſer, bis
zum Grunde wühlte er ſie' auf, haushoch thürmte er die
Wogen und ſchleuderte ſie bis tief in das Land.
„Gott ſei Dank, der letzte Kahn iſt herein,“ rief Herr
von Paalen. ö
„So weit das Auge ſieht, kein Segel mehr. Gnade
dem Gott, der noch nicht in Sicherheit iſt!“
Die Oſtſee, welche noch vor ſo kurzer Zeit ruhig und
friedlich in ihrer lieblichen Umfaſſung gelegen, glich einem
Hexenkeſſel, in dem die entfeſſelten Geiſter der Unterwelt
ihr Unweſen trieben. Schwarze Berge ſtiegen auf, weiß-
ſchäumender Giſcht krönte ihre veränderlichen Kämme, ſinn-
verwirrendes Brauſen erfüllte die Luft, der Boden erbebte
unter dem Anprall dieſer elementaren Gewalten, denen ihr
Bett zu eng geworden, in dem ſie ſich Jahr um Jahr wohl
gefühlt, ängſtlich kreiſchend ſchwirrten die Möwen im Zick-
zackfluge. Die Straßen der Stadt waren in einen See
verwandelt, in deſſen Fluthen ſich Hölzer, Kähne und
tauſend Gegenſtände in wirrem Kreiſe drehten, der Fußweg
nahe am Hauſe des Herrn von Paalen war nicht mehr zu
ſehen, ein Waſſerpfad war er geworden, mit immer neuen
Kräften toſten die Wellen heran, immer höher und höher
ſteigend.
„Allmächtiger Gott!“ ö
Der Aufſchrei entſchlüpfte dem Ehepaar Paalen, denn
drüben fiel eben der Schuppen am Strande krachend in
Trümmer, hoch ſchlug der Schaum, dann tanzten Balken,
Hölzer und Steine im mächtigen Trichter, keine Spur war
mehr von dem Gebäude zu entdecken. Oben am Dach-
fenſter des Janſens'ſchen Hauſes ſtand die Frau des
Fiſchers mit ihren Kindern und rang verzweifelt die Hände.
„Rette ihn, rette ihn, Vater im Himmel!“ ö
Noch immer war der Gatte nicht heimgekehrt, noch keine
Spur eines Segels zu erblicken, vielleicht befand er ſich
ſchon in der Nähe, doch ein dichter Nebelſchleier lag draußen
auf der offenen See, den Weitblick beſchränkend. Karl
war nicht daheim, die Ziege und die Kuh mußten in Sicher-
heit gebracht werden, er zog die Widerſtrebenden, von dem
Getöſe und dem Gedränge auf der engen Straße, die in
die Oberſtadt führte, und welche jeder als rettenden Aus-
weg für ſeine bewegliche Habe betrachtete, völlig verwirrt,
mit Gewalt vorwärts. Donnernd prallten die Fluthen
gegen das Gemäuer, Fiſcher Marquarts Haus fegten ſie
eben vom Erdboden hinweg, als wäre es von zierlichen
Splittern erbaut. ö
„Wie damals!“ murmelte die Greiſin.
„Wie damals!“
Es war ihr letzter Gedanke und ihre letzten Worte,
eine Woge hatte die ſchwache Frau gefaßt, als ſie, ihr
jüngſtes Enkelkind auf den Arm nehmend,
gelegenes Haus flüchten wollte.
„So arg hat uns der liebe
geſucht,“ ſagte Herr von Paalen. ö ö
„Betet, betet, Kinder!“ rief ſeine Gattin, die Kinder
drückten ſich ſcheu an die Mutter, falteten die Händchen,
die bleichen Lippen flüſterten unverſtändliche Worte. Sinn
hatten ſie nicht, aber der liebe Vater im Himmel mochte
ſie doch wohl verſtehen. Was drüben die Elemente an ſich
riſſen, warfen ſie zum Theil in unkenntlichem Zuſtande als
Damm vor das Haus von Paalens, eine Trümmerbarri-
kade der furchtbarſten Art bildete ſich hier, dem Sand-
boden des Berges, auf dem es erbaut war, und der viel-
leicht ohne dieſelbe doch nach und nach unterwühlt worden
wäre, als natürlicher Schutzwall dienend.
in ein höher
Gott noch nicht heim-
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
Ar. 14.
Mittwoch, den 17. Februar
1886.
Die Fräulein von Paalen.
Novelle von E. von W ald⸗Zedtwitz.
(Fortſetzung.) ö
„Es ſcheint gutartig zu werden,“ ſagte Frau von
Vaalen zuverſichtlich, während ihr Gatte nach der offenen
See deutend ungläubig den Kopf ſchüttelte.
„Dort ſieht es nicht ſo aus, nun, die Leute drüben in
der Stadt ſind vorbereitet, und wir liegen ſo hoch, daß der
liebe Gott ſchon ein Wunder thun müßte, wenn er uns in
Gefahr bringen wollte.“
„Der Himmel gebe es!“ ſeufzte die junge Frau und
ging in das Haus zurück. Eine ſcharfe Briſe wehte jetzt
von der offenen See her und trieb die Boote flüchtig
herein, nun war mit einemmale auch dieſe vorüber, die
Luft ſchien zu ſtehen.
„Merkwürdig, merkwürdig, und dabei wird es beinahe
Nacht,“ dachte von Paalen und in der That ſchien es auch
ſo. Der ganze Himmel war mit einer dichten, undurch-
dringlichen Wolkenmaſſe behangen, Marlitta und Marlene
hielten ſich ängſtlich am Rockſchoß des Kaufherrn und be-
obachteten die zunehmende Finſterniß. Während dieſer Zeit
war Karl Janſens drüben im Städtchen eifrig bemüht, in
Abweſenheit ſeines Vaters mit ſeiner Mutter das kleine
Anweſen, das hart am Strande lag, vor Gefahr zu ſchützen.
„Ertrinken wir wirklich nicht, Vating?“ fragte Marlene.
„Nein, mein Kind, unſer Häuschen liegt zu hoch, bis
hierher kommen die Wellen nicht,“ entgegnete der Gefragte.
Marlenens Geſichtchen lächelte heiter, bedeutend ruhiger ſah
ſie den ſich dunkel und dunkler färbenden Himmel an.
Doch Marlitta ſchaute ängſtlich zum Vater empor.
„Aber drüben, Karl Janſens, er muß doch nicht er-
trinken?“
„Auch ihn wird der liebe Gott ſchon behüten.“
„Aber in der Stadt iſt es gefährlicher als hier, wir
wollen ihn zu uns holen,“ drängte Marlitta, die offenbar
der Hilfe des lieben Gottes nicht ſo viel zutraute, wie
ihrer eigenen. ö
„Ach ja, da können wir wunderſchön zuſammen ſpielen,“
jubelte Marlene. ö —
„Das geht nicht, liebe Kinder, ſeine Eltern wollen ihn
beſtimmt jetzt nicht miſſen und werden ſchon für ſeine
Sicherheit ſorgen.“ ö ö
Dieſe Frage war erledigt, wenn auch nicht zur Zu-
friedenheit der Kinder, Marlitta bangte für Karl Janſens'
Leben und Marlene vermißte den gewohnten Spielkameraden.
Die Ruhe in der Natur war niederdrückend.
Herr von Paalen ſehnte ſich ordentlich nach einem er-
löſenden Laute, er brauchte nicht lange darauf zu warten,
mit Rieſenflügeln ſtob der Nordoſt über die Waſſer, bis
zum Grunde wühlte er ſie' auf, haushoch thürmte er die
Wogen und ſchleuderte ſie bis tief in das Land.
„Gott ſei Dank, der letzte Kahn iſt herein,“ rief Herr
von Paalen. ö
„So weit das Auge ſieht, kein Segel mehr. Gnade
dem Gott, der noch nicht in Sicherheit iſt!“
Die Oſtſee, welche noch vor ſo kurzer Zeit ruhig und
friedlich in ihrer lieblichen Umfaſſung gelegen, glich einem
Hexenkeſſel, in dem die entfeſſelten Geiſter der Unterwelt
ihr Unweſen trieben. Schwarze Berge ſtiegen auf, weiß-
ſchäumender Giſcht krönte ihre veränderlichen Kämme, ſinn-
verwirrendes Brauſen erfüllte die Luft, der Boden erbebte
unter dem Anprall dieſer elementaren Gewalten, denen ihr
Bett zu eng geworden, in dem ſie ſich Jahr um Jahr wohl
gefühlt, ängſtlich kreiſchend ſchwirrten die Möwen im Zick-
zackfluge. Die Straßen der Stadt waren in einen See
verwandelt, in deſſen Fluthen ſich Hölzer, Kähne und
tauſend Gegenſtände in wirrem Kreiſe drehten, der Fußweg
nahe am Hauſe des Herrn von Paalen war nicht mehr zu
ſehen, ein Waſſerpfad war er geworden, mit immer neuen
Kräften toſten die Wellen heran, immer höher und höher
ſteigend.
„Allmächtiger Gott!“ ö
Der Aufſchrei entſchlüpfte dem Ehepaar Paalen, denn
drüben fiel eben der Schuppen am Strande krachend in
Trümmer, hoch ſchlug der Schaum, dann tanzten Balken,
Hölzer und Steine im mächtigen Trichter, keine Spur war
mehr von dem Gebäude zu entdecken. Oben am Dach-
fenſter des Janſens'ſchen Hauſes ſtand die Frau des
Fiſchers mit ihren Kindern und rang verzweifelt die Hände.
„Rette ihn, rette ihn, Vater im Himmel!“ ö
Noch immer war der Gatte nicht heimgekehrt, noch keine
Spur eines Segels zu erblicken, vielleicht befand er ſich
ſchon in der Nähe, doch ein dichter Nebelſchleier lag draußen
auf der offenen See, den Weitblick beſchränkend. Karl
war nicht daheim, die Ziege und die Kuh mußten in Sicher-
heit gebracht werden, er zog die Widerſtrebenden, von dem
Getöſe und dem Gedränge auf der engen Straße, die in
die Oberſtadt führte, und welche jeder als rettenden Aus-
weg für ſeine bewegliche Habe betrachtete, völlig verwirrt,
mit Gewalt vorwärts. Donnernd prallten die Fluthen
gegen das Gemäuer, Fiſcher Marquarts Haus fegten ſie
eben vom Erdboden hinweg, als wäre es von zierlichen
Splittern erbaut. ö
„Wie damals!“ murmelte die Greiſin.
„Wie damals!“
Es war ihr letzter Gedanke und ihre letzten Worte,
eine Woge hatte die ſchwache Frau gefaßt, als ſie, ihr
jüngſtes Enkelkind auf den Arm nehmend,
gelegenes Haus flüchten wollte.
„So arg hat uns der liebe
geſucht,“ ſagte Herr von Paalen. ö ö
„Betet, betet, Kinder!“ rief ſeine Gattin, die Kinder
drückten ſich ſcheu an die Mutter, falteten die Händchen,
die bleichen Lippen flüſterten unverſtändliche Worte. Sinn
hatten ſie nicht, aber der liebe Vater im Himmel mochte
ſie doch wohl verſtehen. Was drüben die Elemente an ſich
riſſen, warfen ſie zum Theil in unkenntlichem Zuſtande als
Damm vor das Haus von Paalens, eine Trümmerbarri-
kade der furchtbarſten Art bildete ſich hier, dem Sand-
boden des Berges, auf dem es erbaut war, und der viel-
leicht ohne dieſelbe doch nach und nach unterwühlt worden
wäre, als natürlicher Schutzwall dienend.
in ein höher
Gott noch nicht heim-