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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 28. April)
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lberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Veilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 33.

Samstag, den 24. April

— Ofern 1886. —

Zum Grabe trat der Frauen echaar,
Mit Salben, Spezereien
Dem, der am Kreuz geſtorben war,
Den letzten Dienſt zu weihen.
Da ſah'n ſie an des Grabes Thür
Swei lichte Himmelsboten;
Die ſprachen ernſt: Was ſuchet ihr
Den Lebenden bei Todten ꝰ

Und wieder zu dem heil' gen Grab
Viel fromme Pilger zogen,
Erſt friedlich mit dem Wanderſtab,
Mit Schwertern dann und Bogen.
Doch als der Hreuzesritter Heer
Verließ den heil'gen Boden,
Da klang es mahnend: Sucht nicht mehr
Den Lebenden bei Todten!

Und wenn ſich heute Chriſten auch
Erbittert darum ſtreiten,
In welcher Form, nach welchem Brauch
Sein Grabſchmuck zu bereiten,
So wird aus Engelsmunde ſchier
Von neuem uns entboten
Die Oſterfrage: Suchet ihr ö
Den Lebenden bei Todten d

Er auferſtand, voranzugehn
Sur Heimath dort im Lichte;
Doch mächtig will er auferſtehn
Auch in der Weltgeſchichte:
Sein Leib die ganze Chriſtenheit,
Von ſeinem Geiſt durchdrungen
Mit einem Leben, das die Seit
Und auch den Tod bezwungeu!

Oaul Horn.

Zun Lindwurn.
Roman von B. Renz.
(Fortſetzung.)

Die Weinſtube faßte heute kaum alle die Gäſte, die
größtentheils Neugier dorthin führte, und Herrn Carſtens
liefen die Schweißtropfen über das keineswegs zufriedene

Geſicht, als er mit Hilfe eines Lehrjungen, denn der Küfer

war erkrankt, ſich bemühte, den vielen Anſprüchen gerecht
zu werden. Am Stammtiſche hatte der Herr Bürgermeiſter
den Bataillonscommandeur, die Hauptleute und mehrere der
jüngeren Offiziere zum Sitzen genöthigt, unter letzteren auch
Olberg und Fliſſen. Außerdem nahmen der Juſtizrath
Neſemann und einige andere Herren dort Platz, und bald
ſtieß man in goldenen Rheinwein auf fröhliches Zuſammen-
leben an.
„Ein vortreffliches Gewächs,“ ſagte der Major, als er
das geleerte Glas niederſetzte, nich habe es verglichen mit
den Weinen der beſten Lokale in der Reſidenz, aber ſie
ſtehen weit zurück; es macht dieſer Stadt und namentlich
Ihnen, Herr Stadtrath, große Ebre.“
„Und würde noch beſſer munden, wenn er nicht ein ſo
widerwärtig verbiſſenes Geſicht aufgeſetzt hätte, * fügte der
Bürgermeiſter halb ſcherzhaft hinzu.
„Wie purer Eſſig!“ beſtätigte der Juſtizrath. Aber,
meine Herren, ſein Herz iſt beſſer als ſein Aeußeres, und
ſein Wein der beſte im ganzen Lande.“ —
„Herr Carſtens,“ wandte ſich abermals der Major an
den Wirth, „Sie ſind Stadtrath und ſollten von Rechts
wegen hier zwiſchen uns ſitzen und ein Glas Ihres treff-

lichen Gewächſes mit uns trinken. — Wäre das nicht zu
ermöglichen?“ ö
„Sie haben gewiſſermaßen recht, Herr Major,“ erwi-
derte dieſer nicht eben ſehr artig, „es wird mir ſchon ſauer
genug, die gewöhnlichen Kunden zu bedienen, und heute —“
Er brach ab, ſetzte aber gleich hinzu: „ich habe darum auch
bereits halb und halb den Entſchluß gefaßt, das Geſchäft

zu ſchließen.“

Ein allgemeiner Proteſt folgte dieſer Erklärung, und
Ausrufe wie: „Dulden wir nicht!“ „Unerſetzlicher Verluſt!“
„Alter Schwerenöther!“ ſchwirrten durcheinaͤnder, der letztere
vom Juſtizrath herrührend. Lieutenant von Fliſſen aber
war aufgeſprungen, hatte einen Stuhl herangezogen und
dem Hausherrn in der ehrerbietigſten Weiſe zur Verfügung

geſtellt, während der Major gleichzeitig um die Ehre bat,

der Nachbar des Herrn Stadtrath ſein zu dürfen. Dann
holte Fliſſen ein Glas, ſchenkte ſeinem Schwiegervater in
spe ein und ſtieß ſogar mit ihm an, worauf ein Hoch!

und allgemeines Gläſerklingen erfolgten und den Gefeierten

zwangen, mit ſauerſüßer Miene auf die eigene Geſundheit
und den Fortbeſtand der Weinſtube zu trinken.
„Ich ſchlage vor, meine Herren, wir laſſen nicht allein
den Beſitzer des Lindwurms leben, ſondern ſein ganzes
Haus, ſeine Familie, deren Bekanntſchaft wir im Laufe der
Zeit — zu machen — der Hoffnung — — uns ſchmeicheln —“
Lieutenant von Fliſſen, der unglückliche Erfinder dieſes
Toaſtes, ſprach immer langſamer und verwirrte ſich immer
mehr, je länger und verbiſſener das dunkelrothe Geſicht
und die ſtieren Augen des Herrn Carſtens auf ihn gerichtet
waren, und ſchwieg endlich infolge eines Rippenſtoßes, den
Olberg ihm applizirte und der ſoviel ſagen ſollte als:
„Menſch, biſt du wahnſinnig geworden?“
 
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