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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 44 - Nr. 52 (2. Juni - 30. Juni)
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Heidelberger Fanilienblätter.

—* Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 51.

Samstag, den 26. Juni

1886.

Zun Lindwurn.
Roman von B. Nenz.
Fortſetzung.)

Unterdeß wanderten die beiden Herren der Verabredung
gemäß dem Gertraudenhofe zu. Als ſie über den Markt
gingen, zeigte der Juſtizrath ſeinem Begleiter den Lind-
wurm und fragte dann: „Wie haben Sie Ihren Neffen
gefunden, Herr von Rheinau 2“
„Kalkulire, daß er ein prächtiger Junge iſt,“ war die
Erwiderung, „wollte mich gar nicht wieder fortlaſſen, ob-
gleich ich ihm ſagte, mich drängten wichtige Geſchäfte. Muß
heute bei den „Kameraden“ ſpeiſen, prächtig! „Kameraden“
kommt drüben gar nicht vor!“
„Haben Sie ihm den Zweck Ihres Hierſeins angedeutet?“
„Kein Wort, Mann, kein Wort,“ verſicherte der Ameri-
kaner, „habe die — wie heißt ſie gleich — die Frau Grie-
ben auch nicht aufgeſucht, braucht Niemand zu wiſſen, was
ich hier will.“ ö
„Gut!“ ſagte der Juſtizrath, und beide Herren betraten
den Garten des Gertraudenhofes und ließen ſich gleich
darauf durch Frau Chriſtel bei dem Beſitzer melden. Dieſe
war nicht wenig erſtaunt, als ſie die allerdings auffallende
Erſcheinung des Fremden erblickte, aber es mußte ihr wohl
eine Ahnung aufſteigen oder gar eine Erinnerung, denn
kaum hatte ſie den Beſuch in das Empfangszimmer geführt
und ihren Herrn benachrichtigt, als ſie auch ſchon den Garten
entlang flog und ihrer jungen Gebieterin zurief: „Fräulein
Billa, da iſt bei Vater ein Herr, der kommt gewiß direkt
aus Amerika!“ ‚ ö
Faſt gleichzeitig mit den Herrn betrat der Stadtrath das
Zimmer durch eine gegenüberliegende Thür und blieb, eben-
falls verwundert über den Anblick des Fremden, einen
Moment ſtehen.
„Ich bringe dir einen alten Freund, der ſich ſehnt, die
Verwandtſchaft zu begrüßen,“ ſagte der Juſtizrath, ſeinen
Begleiter vorſtellend. ö ö
Offenbar konnte Herr Carſtens augenblicklich die Löſung
des Räthſels nicht finden, der andere lachte aber laut und
herzlich und ſchüttelte dem Erſtaunten kräftig die Hand.
„Sind beide alte Knaben geworden,“ rief er, „aber einerlei,
noch ſeefeſt! Wie geht es Ihnen?“
Es iſt immer eine verlegene Scene, wenn wir Jemand
gegenüberſtehen, der uns kennt, und auf deſſen Perſönlich-
keit wir uns nicht beſinnen können. So ging es jetzt Herrn
Stadtrath Carſtens. Allmälig aber dämmerte es ihm doch
und er ſagte: „Iſt es möglich — Herr von Rheinau?
Cher hätte ich — — aber in der That, jetzt finde ich die
Züge wieder, die mir das Gedächtniß noch bewahrt hatte.
Seien Sie willkommen!“
Es lag in ſeiner Stimme etwas Wehmüthiges; war
doch der Ankömmling einſt Zeuge des ganzen jungen Glückes
geweſen, welches ein ſo jähes Ende genommen. Der Juſtiz-
rath bemerkte dies auch, und um das Geſpräch nicht auf
traurige Erinnerungen kommen zu laſſen, ſagte er ſchnell:
„Denke dir, Lebrecht, Herr von Rheinau beabſichtigt ſich

wo ich gleich Freunde finde.

in Deutſchland anzukaufen, und ich habe ihm deinen „Lind-
wurm“ empfohlen. ö
„Ja, wohl!“ beſtätigte dieſer, „möchte ſchon wohnen,
Würden Sie mir zureden,
Herr Carſtens? Mein Neffe, der Lieutenant, iſt ganz ent-
zückt vor dieſem Plane!“ ö
„Ich bedaure, Ihnen unter dieſen Verhältniſſen einen
Rath nicht ertheilen zu können,“ erwiderte der alte Mann
ernſt. „Sie müſſen dies begreiflich finden, ſobald Sie die
traurigen Ereigniſſe berückſichtigen, deren Wucht mich ſeit
Jahren niederdrückt. Wenn Sie ſich der frohen Stunden

erinnern mögen, die wir vor zwanzig Jahren in dieſem

Hauſe, ſpeziell in dieſem Zimmer, verlebten, ſo werden Sie
diejenige vermiſſen, deren heiterer Sinn mir das Leben ſo
ſüß niachte. Sie iſt nicht mehr, ſie iſt das Opfer gewor-
den der Schändlichkeit Ihrer Familie. Ich kann, ich mag
nicht — —“
„Ruhig, ruhig, alter Freund!“ warnte der Juſtizrath,
„rede dich nicht wieder hinein in dieſe unſelige Stimmung,
die dich unglücklich macht und dein Kind dazu. Wir alle,
deine Freunde, und Herr von Rheinau nicht am wenigſten,
begreifen und würdigen deinen Schmerz. Aber die Urheber
ſtehen längſt vor einem höheren Richter; laß es nicht Un-
ſchuldige entgelten, — was kann der Sohn für das Ver-
gehen der Eltern!“
„Ich haſſe den Namen jener Menſchen!“ fiel der alte
Mann gereizt ein, „er ſoll nicht in dieſem Hauſe genannt
werden!“
„Es war meine Schweſter, die die That ausführte,“
nahm der Fremde ruhig das Wort. „Ich habe ſie ſchon
damals verurtheilt, als ich hinüberging, ich verurtheile ſie
heute zehnfach mehr. Aber — könnte ſie nicht das unſelige
Wort in leidenſchaftlicher Stimmung, im Affekt nieder-
geſchrieben haben? Wollen Sie als poſitiv erwieſen an-
nehmen, daß ſie mit dieſem Briefe auch dieſen Ausgang
herbeizuführen trachtete? Sollte ſie nicht ſelbſt erſchrocken
geweſen ſein über die traurigen Folgen ihrer That? Mit
einem Worte, iſt gar keine Möglichkeit vorhanden, das Er-
eigniß in etwas milderem Lichte zu betrachten? Und wenn
Ihnen dies in der That nicht gelingt, Herr Carſtens,
dann — ich ſtimme Ihrem Freunde hier bei — muß jetzt
der Sohn büßen, da Sie die Mutter nicht mehr erreichen
können? Ich gebe Ihnen die Verſicherung, der arme Menſch
iſt ſchon unglücklich genug über das Andenken an eine ſolche
Mutter.“ ö ö
„Mildernde Umſtände? In der That — nein!“ er-
widerte der Stadtrath nicht ohne Ironie. „Indeß, Sie
haben recht, die Frau iſt meiner Rache entgangen, oder
vielmehr — ich habe keinen Verſuch gemacht, mich zu rächen,
auf den Rath meines verſtändigen Freundes hier, dem ich
noch heute dafür danke. Das Andenken an mein Weib
ſollte nicht beſchmutzt werden durch einen Skandalprozeß. —
— Aber, wer will es mir verargen, wenn ich die Träger
jenes Namens fern zu halten ſuche? Mag ſein, daß der
junge Mann ſeiner Mutter nicht gleicht, daß er unglücklich
wird durch meine Zurückweiſung — ich wiederhole, es wird
mir Niemand verargen, ſo zu handeln — die Sünden der
Väter werden heimgeſucht an den Kindern!“
 
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