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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 44 - Nr. 52 (2. Juni - 30. Juni)
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Heide krger Fami ienblätter.

* Bellekriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 49.

Samstag, den 19. Juni

1886.

Zun Lindwurn.

Roman von B. Renz.

(Fortſetzung.) ö
„Auf mich kann ſie Häuſer bauen, Olberg!“ verſicherte
Fliſſen entzückt, „eher gebe ich mein Leben auf, als das
Mädchen, das herrliche Mädchen.“ ö ö
„Das habe ich ihr im Allgemeinen auch erwidert,“
ſagte Olberg, lächelnd über den Enthuſiaſten. „In der
großen Tanzpauſe näherte ich mich der Familie wieder und
ließ mich auch Juſtizraths Kindern vorſtellen, und dann
fuhr Vater Carſtens mit einigen Flaſchen Sekt vor, die
jedenfalls als ein Symptom innerer Befriedigung aufzu-
faſſen waren, und erkundigte ſich gnädigſt, woher ich ge-
bürtig und wer meine Eltern ſeien? Und als ich ihm
dies gewiſſenhaft auseinander geſetzt hatte, rief er: „Ol-
berg? Bankier Olberg, mein alter Freund aus den ſchönen
Tagen in der Reſidenz? — Aber es iſt lange her ſeit ich
ihn nicht geſehen.“ — Er mochte ſich hier an irgend etwas
Unangenehmes erinnern, denn er wurde ſtill und ſagte nur
noch: „Ja, ich habe lange, ſehr lange D. nicht beſucht.“
— Dann trank er einige Glas Sekt raſch hintereinander
und fragte mich: „Haben Sie etwas an Ihren Herrn
Vater zu beſtellen? Ich reiſe morgen Mittag nach der
Reſidenz, in Angelegenheiten der Eiſenbahn.“ ö
„Ich beſtellte natürlich viele Grüe und kündigte meinen
Beſuch auf Weihnacht an.“ „Und ſonſt noch was?“ fragte
er dann wieder ganz heiter und mit einem Anflug von
Humor. „Nun ja,“ ſagte ich, „mein verehrter Alter wird
gebeten, einen meiner hieſigen Freunde zum Feſte einzu-
laden; der arme Menſch iſt ohnehin unglücklich genug, ſo
einſam und verlaſſen, ohne jeden Verwandten, und da iſt
es Chriſtenpflicht, ſich ſeiner anzunehmen.“ Der Herr
Stadtrath roch nun jedenfalls Lunte, denn er fragte nicht
weiter und brach ſofort das gefährliche Thema ab, aber er
blieb heiter und Fräulein Billa warf mir einen ſtrahlenden
Blick zu, den ich natürlich für dich einkaſſirte.
„Tauſend Dank, lieber Olberg,“ ſagte Fliſſen, und
drückte ihm die Hand. „Vielleicht finde ich auch einmal
Gelegenheit, dich herauszuhauen. Aber ich glaube, meine
Zeit iſt abgelaufen, nur das Eine noch, wann war das
Feſt zu Ende?“

„Um drei Uhr Morgens,“ erwiderte der andere; „aber

ich habe nachher doch nicht geſchlafen; mir ging die Ge-
ſchichte immer wieder durch den Kopf, und ich bin ſchließ-
lich zu dem Reſultate gelangt, daß die Feſtung — ich
meine den alten Herrn — doch nicht ſturmfrei iſt. Aber

Fliſſen, nun mußt du mir auch ein Verſprechen geben,

willſt du 2“
„Ja, aber was denn?“ ö
„Von heute an kommſt du Abends wieder in das Kaſino.
Glaube mir, das Kopfhängen taugt nicht; überhaupt nimm
die Sache nicht ſo ſchwer, du ſiehſt ja, daß dir von allen
Seiten Hilfstruppen aus dem Boden wachſen, und — es
ſoll eigentlich ein Geheimniß ſein — Mutter Grieben hat
auch einen Schlachtplan entworfen und iſt Feuer und
Flamme.“ ö

den Knieen erhebend,

„Ich weiß, ich weiß!“ verſicherte der Adjutant lachend,
dem das Leben wieder plötzlich von der heiteren Seite er-
ſchien. „Ja, ich werde heute Abend kommen. Auf
Wiederſehen!“ ö

XV.

Auch Fräulein Billa hatte nicht geſchlafen, auch ihr
war wieder ein freudiges Hoffen aufgegangen; und trotz
Schnee und Eis, die Weg und Steg bedeckten, grünte und
ſproßte es in ihrem Innern und trieb wundervolle Zukunfts-
blüthen. Am liebſten wäre ſie noch geſtern Abend dem
Vater um den Hals gefallen im heißen Danke für ſein ver-
ändertes freundliches Weſen. So hatte ſie ihn noch nie
geſehen, ſo ſtill, gemüthlich, ſo heiter, und den Damen
gegenüber ſo ſicher und liebenswürdig; es war, als habe
er jede ſchwere Sorge hinter ſich geworfen und an der Seite

ſeiner Tochter ein neues Leben begonnen.

Der Kaffee war heute morgen beſonders ſchön gerathen,
und der alte Herr ſchmunzelte, als er ſein Lieblingsgetränk
koſtete, und lobte die junge Hauswirthin. Dann wurde die
Reiſe nach der Reſidenz beſprochen und der Koffer gepackt.
Tante Roſe ſollte mitfahren, um eine Reihe von Weihnachts-
einkäufen zu beſorgen, und auch Billa hatte für jeden ein
Verzeichniß von Gegenſtänden angefertigt, lauter Dinge, die
einerſeits dem Vater, anderſeits der Tante geheim bleiben
mußten. Und als endlich die Extrapoſt vorfuhr, welche die
Reiſenden nach der entfernten Bahnſtation bringen ſollte,
ging Billa mit hinab und ſorgte für Vater und Tante mit
Wärmflaſchen und Reiſedecken, und packte ſie ſorgſam ein
unter allerlei Scherzen und Ermahnungen, ſo daß der alte
Herr nachher zu ſeiner Reiſegefährtin ſagte: „Die Billa
iſt ja wie ausgewechſelt! Sollte das nur Weihnachts-⸗
freude ſein?“
Und Billa eilte wieder hinauf in ihre Stube, ſetzte ſich
an's Inſtrument und ſpielte mit jubelndem Herzen einen
flotten Walzer, wie ſie es lange nicht gethan; denſelben
Walzer, der geſtern Abend den Tanz eröffnete; und dann
rief ſie Chriſtel und ſagte: „Chriſtel, ich bin ſo vergnügt,
ich weiß nicht wie es kommt, ich fühle mich ſo leicht, —
und nun hilf mir, wir wollen noch einmal im Schreibtiſch
ſuchen; heute ſtört uns Niemand.“
Draußen begann es eben wieder zu ſchneien, und der

Wind klopfte vernehmlich an die hohen Doppelfenſter und

malte köſtliche Winterblumen auf die Scheiben, und drinnen
lag eine rüſtige Frau auf den Knieen vor dem eleganten
Möbel und ein Paar leuchtende Mädchenaugen folgten jeder
ihrer Bewegungen, und „Chriſtel, wo können wir noch
ſuchen?“ klang es endlich von den friſchen Lippen, „ſollte
Vater das Buch dennoch gefunden haben, ohne es mir ein-
zugeſtehen?“
„Nein, gnädiges Fräulein,“ tröſtete die Frau, ſich von
„was der Herr Stadtrath ſpricht, iſt
immer wahr.“ ö ö
„Aber weißt du ganz gewiß, Chriſtel, daß Mama ſolch
ein Buch beſeſſen hat 2“ forſchte das Mädchen, nachdem ſie
zum hundertſten Mal den kleinen Schrank durchſucht hatte,
der die Koſtbarkeiten und die Hausſtandskaſſe barg.
 
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