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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 44 - Nr. 52 (2. Juni - 30. Juni)
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Hridelberger gamilieublätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 48. Mittwoch,

den 16. Juni 1886.

— —

Zum Jindpurn.
Roman von B. Renz.
(Fortſetzung.)

„Ja, ja!“ fuhr die Geſchwätzige fort, „es wäre doch
ein Jammer, wenn er das Mädchen nicht bekäme; er iſt
ein ſo feiner gebildeter Herr, ich kann das beurtheilen,
Frau Schmidt, denn ich bin in der Reſidenz erzogen.
Wie ſchön ſpricht er, und wie richtig ſpricht er ſeine Mutter-
ſprache, und das empfiehlt immer ſehr; mich wenigſtens
läuft's jedesmal kalt über den Rücken, wenn die Leute das
mich und das mir verwechſeln. Ja, was ich ſagen wollte,
da habe ich nun etwas unternommen, ganz im Geheimen,
darf es Ihnen auch nicht ſagen, aber es iſt was Großes
und von unberechenbaren Folgen, und daraus ſoll endlich
eine Hochzeit werden, — das können Sie mir glauben.“
„Aber was denn nur?“ forſchte Frau Chriſtel immer
neugieriger. „Eine Hochzeit? Mit wem denn?“ ö
Die beiden Frauen ſtanden jetzt vor dem Hauſe der
Wittwe Grieben und dieſe ſagte halblaut, indem ſie einen
Blick nach der oberen Etage warf: „Nun, mit ihm und
Fräulein Billa, und das ſoll meine Aufgabe ſein; beide
Hände will ich über ſie halten, Frau Schmidten, beide
Hände; und der Herr Juſtizrath hilft mir dabei, heute
noch ſchreiben wir — — na, ich habe ſchon zuviel geſagt!
Aber,“ fuhr ſie in anderm Tone fort, „kommen Sie ein
bischen mit herein, Frau Schmidten; ich habe einen pracht-
vollen Nußſchnaps fabrizirt, das Recept ſtammt von meinem
Seligen, den müſſen Sie koſten und müſſen mir erzählen
von Fräulein Billa.“
„Lange habe ich nicht Zeit,“ erwiderte Frau Chriſtel,
die gleichwohl immer neugieriger geworden war und, als
ſie den Juſtizrath nennen hörte, gleich beſchloß, der Sache
näher auf den Grunb zu kommen. Auch wollte ſie gern
ihrer jungen Herrin erzählen können, daß ſie den Offizier
geſehen habe. — Frau Grieben, gefolgt von ihrer Be-
gleiterin, trat alſo in den Flur, fand aber ihre Parterre-
wohnung verſchloſſen und rief: „Lene! Lene!“ in's Haus
hinein. Aber keine „Lene“ erſchien, und kurz reſolvirt ſchritt
ſie nach der hofwärts gelegenen Küche und ſtieß die Thür
auf. Es bot ſich beiden hier ein anmuthiges Bild; am
Küchentiſch ſaß Herr Friedel, der Offiziersburſche, vor einer
großen Schüſſel delikater Bratkartoffeln, und Lene ſaß ihm
gegenüber, eben im Begriff, ein Gläschen des berühmten
Nußſchnapſes einzuſchenken. Aber beide fuhren wie elektri-
ſirt empor; Friedel in tadelloſer dienſtlicher Haltung mit
der Gabel in der rechten Hand, auf welcher eine ganze
Reihe appetitlicher Kartoffelſcheiben ſteckte.
„Ei, das geht ja recht gemüthlich hier zu,“ ſagte Frau
Grieben, nachdem ſie einen Augenblick die Inkulpaten be-
trachtet und zugleich mit der ihr eigenen Geiſtesgegenwart
die Flaſche Nußſchnaps in Sicherheit gebracht hatte. „Ei,
ei, Friedel, alſo darum werden jetzt immer ſoviel Kar-
toffeln gekocht? Das iſt ja wohl Ihr Leibgericht? Aber
was wird der Herr Lieutenant dazu ſagen? Ja, ja, ſtille
Waſſer ſind tief!“

„Er hat geſtern den ganzen Nachmittag mit an der
Rolle geholfen,“ wagte Lene entſchuldigend zu bemerken.
„So, das iſt recht liebenswürdig von Ihnen, Friedel,“
lobte die Dame des Hauſes, „aber laſſen Sie die Kartoffeln.
nicht kalt werden, — Iſt Herr Lieutenant zu Hauſe?“
„Zu Befehl! Iſt eben gekommen,“ erwiderte der
Burſche ängſtlich. „Aber bitte, ich will lieber die Kartoffeln
nicht eſſen —“ ö
„O nein, nein, Friedel, ich verrathe nichts. Lene,“
befahl Frau Grieben dann, „bringe zwei Liqueurgläſer in
meine Stube.“
„Und ich möchte erſt meinen alten Brinkmann einen
Augenblick beſuchen,“ bemerkte Frau Chriſtel, dem Burſchen
einen verſtändnißvollen Blick zuwerfend. „Ich komme aber
gleich wieder, liebe Frau Grieben.“
Zwei Minuten ſpäter hielt Lieutenant von Fliſſen es
für dringend nothwendig, nach dem Pferde zu ſehen, und
Frau Chriſtel mußte wohl denſelben Gedanken gehabt haben,
denn auch ſie trat in den Stall, und Dame Grieben mußte
ungebührlich lange warten, ehe ihr Beſuch den Nußſchnaps
würdigen lernte. ö ö
„Sie haben ihm doch nichts geſagt, Frau Schmidten?“
„J, wo werd' ich!“ lachte dieſe, „ich weiß ja auch
nichts. Er fragte nur nach ihrem Befinden; und von ihr
zu reden, iſt mir nicht verboten.“
„Na, ich bitte mir's auch aus, Frau Schmidten. Es
wäre wir ſehr unangenehm, wenn der Herr Rath hören
ſollte, daß ich von meinem Plane geſprochen habe. —“
So war denn das Geheimniß überall auf fruchtbaren
Boden gefallen, und die Damen trennten ſich, beide ſehr
zufrieden mit dem angenehmen Vormittag.

XIV.

„Weißt du was Neues, Fliſſen?“ fragte der Lieutenant
Olberg ſeinen Freund, als ſie in der Bierſtube des gol-
denen Hirſches gemüthlich beim Frühſchoppen ſaßen und
dazu einige der delikaten Würſtchen verzehrten, die in Reicha
fabrizirt werden.
„Nun?“ war die Gegenfrage. ö
„Wir bekommen Eiſenbahn! Im nächſten Frühjahr
beginnen die Arbeiten, und das iſt famos. Dann können
wir binnen zwei Stunden in der Reſidenz ſein.“
Die Kameraden hatten ſich zufällig vor dem Hotel ge-
troffen; Olberg war eben vom Dienſt gekommen, erfroren
und hungrig, und Fliſſen hatte die Büreaugeſchäfte vor-
läufig abgemacht und noch beinah eine Stunde freie Zeit,
ehe er zum Rapport ging, und ſo genoſſen ſie den Früh-
ſchoppen gemeinſchaftlich; endlich trug Olberg auch noch
einen ganzen Sack voll Neuigkeiten bei ſich für ſeinen
Freund. Das Wetter forderte ebenfalls zu einer kleinen
Erquickung auf, denn über Nacht hatte es ſcharf gefroren,
eben begann der erſte Schnee zu fallen und ein eiſig kalter
Wind ließ die Gaſtſtube um ſo behaglicher erſcheinen.
„Wer hat dir das erzählt?“ erkundigte ſich neugierig
Lieutenant von Fliſſen, indem er das Glas zuklappte und
den Schnurrbart ſtrich. ö
 
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