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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 88 - Nr. 95 (3. November - 27. November)
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jridelberger Fanilirnbläkter.

Belletriſtiſche Beilage iur Heidelberger Zeitung.

ur. 95.

Mittwoch, den 27. November

1886.

Die Grafen von hartenegg.
Roman von Hermine Waldemar.
Schluß.)

„Mein geliebter Neffe, ſchrieb der ältere Graf, „mit
großer Freude las ich die Anzeige von der Geburt Deines
Sohnes und Erben, wie magſt Du ſtolz ſein, mein Junge!

Ich hoffe nur, daß es mir bald vergönnt ſein wird, Euch

perſönlich meinen Glückwunſch auszuſprechen und zu danken
für die mir angebotene Pathenſchaft. Natürlich nehme ich
ſie gerne an, wünſchend, daß dem kleinen Pathenkinde die
Schickſale erſpart bleiben, die mich verfolgten. —
„Es iſt nun nahezu ein Jahr, daß wir Europa ver-

ließen, und erſt vor wenigen Tagen haben wir die nöthigen

Nachrichten erhalten. Du weißt, daß die Hambach bereits
meinen Dienſt verlaſſen hatte, als wir hier ankamen, und
daß keine Spur von ihr aufzufinden war. Ranke, der
ſonſt ſo übermüthige, energiſche Mann, war wie umgewan-
delt. Auf dem Schiffe ging er umher wie ein Träumender,
und als wir gelandet, verfolgte er mit fieberhafter Unruhe
die von mir eingeleiteten Schritte. Er war nur mehr ein
Schatten von dem, was er früher geweſen, bleich und hohl-
äugig. — Ich will Dich verſchonen mit der Beſchreibung,
wie vergeblich anfangs unſere Mühe geweſen, wie oft wir
den Faden verloren, oder wie oft er uns abſichtlich aus
der Hand gewunden wurde. Genug, es verging ein Mo-
nat nach dem andern, ohne daß wir Weſentliches erfahren
konnten. Hier in Amerika eine verſchwundene Perſon
ſuchen oder auffinden, iſt ein faſt ausſichtsloſes Unter-

nehmen, und doch iſt es uns gelungen, allerdings durch einen
Wir kehrten nämlich gerade

ganz merkwürdigen Zufall. ö
von einer vergeblichen Reiſe nach San Franzisko entmuthigt
zurück; Ranke war in einer ſchwer zu beſchreibenden Auf-
regung, welche mich das Schlimmſte fürchten ließ, als wir
unfreiwillige Zeugen einer Unterhaltung zweier Farmer aus
dem Weſten wurden, welche, da ſie in deutſcher Sprache
geführt wurde, unſer größtes Intereſſe wachrief. Die bei-
den Leute freuten ſich über das Glück, das ein Landsmann
von ihnen in einer tüchtigen, ordentlichen Frau gefunden
hatte. Der eine wußte, daß ſie ſehr arbeitſam und ſpar-
ſam ſei, der andere, daß ſie in guten Häuſern als Haus-
hälterin gedient. Daß die Frau weniger gebildet ſich zeigte,
als ihr Freund Chriſtoph, ſchlugen ſie nicht an, ebenſowenig
ihre grobe Beredtſamkeit, da, wie die Leute meinten,
Chriſtoph Dreier Mann genug ſei, ſeinen Willen in jeder
Hinſicht geltend zu machen. Auf die Frage des älteren
Reiſenden, woher ſie ſtamme, nannte der andere das kleine
Städtchen K., Ranke's Geburtsort.
leicht vorſtellen, Hans, mit welchen Gefühlen wir weiter
zuhörten. Ich miſchte mich ins Geſpräch und erfuhr, mög-
lichſt unbefangen meine Fragen ſtellend, daß die von uns
ſo lange geſuchte Kathrine Hambach dieſen ehrlichen Chriſtoph
Dreier geheirathet hatte und weit im Weſten mit ihm
hauſte.
und ein ſchwaches Roth färbte Rankes bleiche Wangen,

— Du kannſt Dir

Ein Athemzug der Erleichterung hob unſere Bruſt ö

als ich ihm verſtändnißvoll die Hand drückte. Am andern
Tage machten wir uns auf unſere äußerſt beſchwerliche

Reiſe und erreichten nach acht mühevollen Tagen und Näch-

ten, nachdem man uns die Kreuz und Ouere geſchickt, ein
einſam liegendes, aber ziemlich ausgedehntes Bauerngehöft.
Alles athmete Wohlſtand, Reinlichkeit und Ordnung. Nach
dortiger Sitte wurden wir freundlich aufgenommen und
gaſtlich bewirthet. Chriſtoph Dreier ſtrahlte, als er Deutſche
in uns fand; ſeine Frau dagegen, trotzdem daß ſie mich,
ihren ehemaligen Herrn, ehrerbietig begrüßte, blickte mich
oder noch mehr meinen jungen Ranke mißtrauiſch an, als
wir von ihrem Geburtsort zu reden begannen. — Mit ab-
ſichtlicher Ausführlichkeit erzählte ich ihr von Rankes Eltern,
berührte den Punkt, der uns nach Amerika geführt. In
dem rothen Geſichte der in die Enge getriebenen Frau
ſpiegelten ſich alle ihre Empfindungen wieder: Ueberraſchung,
Angſt und ſchließlich Trotz.. Als ſie ſich nun gar nichts

mehr erinnern wollte, ſagte ich ihr die Schandthat auf den

Kopf zu. Sie erſchrack und wurde leichenblaß, leugnete
aber hartnäckig. Was war zu thun? Ich las in Ranke's
Geſicht die äußerſte Entmuthigung, ja, ich wußte, daß ihn
Verzweiflung erfaßte, wenn wir unverrichteter Sache heim-
kehren mußten. Während ich überlegte, wie ich vorgehen,
wie ich handeln ſollte, bekam ich an dem Farmer uner-
wartete Hilfe. Er, der ſich bis jetzt gar nicht in unſere
Verhandlung gemengt, ſondern nur Zornesblicke auf ſeine
ſchuldbewußte Ehehälfte ſchoß, trat raſch auf ſie zu, faßte
ſie mit beiden Händen — er hatte rieſige Hände, deren
Umklammerung ſie ſich nicht zu entziehen vermochte — und
ſchrie: „Du ſagſt augenblicklich, was Du über die ſaubere
Geſchichte weißt und was Du ſelbſt dabei gethan, Kathrine,
ich ſehe es Dir an, daß Du allein Aufſchluß geben kannſt,
alſo rede, ſonſt — ſind wir beide fertig miteinander.“
Dieſe in drohendem Tone geſprochenen Worte wirkten
mächtig.
„Sei barmherzig, Chriſtoph,“ rief ſie angſtvoll, ich will ö
nicht länger leugnen, aber verſtoße mich nicht! —
„Dreier antwortete nicht, ſondern wies ſie mit einer
nicht mißzuverſtehenden Gebärde an uns. ö
V„Nun erzählte ſie in überſtürzender Haſt, was Haber
auch auf ſeinem Sterbebette bekannt hatte, nur mit dem
Unterſchiede, daß das fremde Kind, mein Sohn, nicht
Rankes Eltern untergeſchoben wurde, ſondern deſſen Tante
und Onkel Fahrbach, welche erſtere die Schweſter von Her-
manns Vater geweſen. Nur dadurch läßt ſich der Irrthum
Habers begreifen. — Wie ſoll ich Dir die Freude Ranke's
beſchreiben? Er lachte und weinte abwechſelnd, dann fiel
er mir wieder um den Hals, mir für die gehabte Mühe
dankend. Ich muß geſtehen, daß ich mich oft verletzt von
ihm zurückzog, wenn er ſo ſehr ſein Schickſal beklagte, aber

ich war auch gerecht und ſagte mir, daß es mir ſelbſt im

gleichen Falle ebenſo ergangen wäre; dieſe Stunde ſöhnte
mich völlig mit ihm aus. Er iſt mir als Sohn allerdings

verloren, aber als Schwiegerſ ohn gewiß, das iſt voch we-

nigſtens ein Troſt.
„Meine gute Pauline, Frau von Merving, welche mit
Fanny noch immer in Italien weilt, hatte recht. Wie Du
 
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