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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 53 - Nr. 61 (3. Juli - 31. Juli)
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Heidr berger Fanilieublätter.

BVelletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Seitang.

Ur. 53.

Samstag, den 3. Juli

1886.

Ein ſeltſames Duell.

Erzähluug von F. Arnefeldt.
Nachdruck verboten. Geſetz v. 11. Juni 1870.
I.

In einem bis an die Decke mit Büchern, Karten, Glo-
ben und Feſtungsmodellen vollgeſtopften Zimmer der Rue

du Bac in Paris ſaß an einem Apriltage des Jahres 1840,

ein junger blonder Mann in der kleidſamen Uniform eines
Sergeanten der leichten Dragoner an einem mit Papieren
bedeckten Tiſche, emſig mit einer Zeichnung beſchäftigt. So
ſehr er aber auch in ſeine Arbeit vertieft war, vernahm ſein
Ohr doch das Nahen eines leiſen elaſtiſchen Schrittes; er-
wartungsvoll wandte er das Auge nach der Thüre und ein

Ausruf halb des Jubels, halb der Beſtürzung entfuhr ihm,‚

als ſie ſich öffnete und in ihrer Umrahmung ein Mädchen
von vielleicht achtzehn Jahren mit dunklem Haar, dunklen,
ſammetartigen Augen und einem bräunlichen Teint von
ſeltener Reinheit erſchien.
„Endlich ein Hoffnungsſtrahl!“ rief ſie mit wohllauten-
der Stimme. „Der Vater hat meiner Mutter und mir er-
zählt, er habe Ihre Beförderung zum Offizier vorgeſchlagen
und warm befürwortet.“
„Er hat es auch mir mitgetheilt,“ erwiderte der junge
Soldat; er war aufgeſprungen, der Eintretenden entgegen-
geeilt und ſtand nun neben ihr, ſie mit ſeinen tiefen grau-

blauen Augen voll zärtlichſter Liebe und gleichzeitig doch

unſäglich traurig anblickend.
„Sie ſprechen das ſo ruhig, ſo traurig,“ entgegnete ſie
lebhaft, „erblicken Sie darin nicht auch eine Hoffnung?“
„Eine Hoffnung, aber nur eine ſehr ſchwache, meine
liebe Claire,“ verſetzte er in gedämpftem Tone. „Selbſt
wenn ich Unterlieutenant bin, iſt der Abſtand zwiſchen mir
und der Tochter des Oberſten von Beaumont noch ein un-
ermeßlicher. 0
„In Frankreich trägt jeder Soldat ſeinen Marſchallſtab
im Torniſter, um wie viel mehr ein Offizier,“ lächelte ſie.
„Das war zu den Zeiten Napoleons.“
„Und iſt unter Louis Philipp nicht anders,“ fiel ſie
ein und fügte ſchelmiſch hinzu: „Ich kenne Sie gar nicht
wieder, mein Herr, wie, Sie der geprieſene Held, laſſen
ſich durch den Muth eines Mädchens beſchämen? Woher
dieſe Zaghaftigkeit?“
„Sie entſpringt meiner Liebe,“ antwartete er voll leiden-
ſchaftlicher Zärtlichkeit und ergriff ihre Hand, „ich fürchte
ein unbeſonnenes Wort, ein unbewachter Blick könnte mich
für immer aus Ihrer Nähe verbannen.“
„Mein Vater hält Sie werth, er hat Ihr Loblied ſo
oft geſungen, daß mein Herz ſchon halb für Sie gewonnen
war ehe ich Sie ſah.“
„Dieſe Wirkung ſeiner gütigen Worte hat der Oberſt
ſchwerlich beabſichtigt.“
„„Sie ſind ſein Lebensretter.“
„Er hat mich für den Dienſt, den ich ihm leiſten durfte,
bereits überreich belohnt dadurch, daß er mir ſein Haus
öffnete, mich weit über die Stellung, welche ich einnahm,
erhob. Claire, liebe, ſüße Claire, der Vorwurf legt ſich

ergänzte Claire mit verſtellter Ernſthaftigkeit.

hob feierlich die Hand.

bonne, Lieutenant in demſelben Regiment,

mir oft recht ſchwer auf's Herz, daß ich ſein Vertrauen
mißbrauche. Beim erſten Blick in Ihr holdes Antlitz hätte
ich fliehen müſſen, um nie wiederzukehren.“
Sie ſchlug ein ſilberhelles Lachen auf. „Das wäre ja
Inſubordination geweſen, Ihr Oberſt kommandirte Sie in
ſein Arbeitszimmer, Sie mußten gehorchen.“
„Und ich that es nur zu gern, ja ich wußte Vorwände
zu erſinnen, aus dem Arbeitszimmer in die Familienzimmer
zu gelangen.“
„Sie mußten mir Bücher aus der Bibliothek bringen,“
„Henri, Sie
ſind franzöſiſcher Soldat, ſind Franzoſe geworden, laſſen
Sie den wägenden, grübelnden Deutſchen bei Seite, ſeien
Sie keck, ſeien Sie dreiſt, dem Kühnen gehört die Welt!“
„Und meine Welt ſind Sie, Claire,“ ſagte er, das in
ſeiner Begeiſterung doppelt ſchöne Mädchen mit flammenden
Blicken betrachtend; „wohl, ich werde es wagen. Sobald
ich die Epauletten habe, entdecke ich mich Ihrem Vater und
bitte um Ihre Hand, verweigert er ſie mir —“
„So erkläre ich ihm, daß ich nie eines andern Mannes
Gattin werde und lieber in ein Kloſter gehe!“ rief ſie und
Hingeriſſen ſchloß er ſie in ſeine
Arme und in ſüßer Verſchämtheit barg ſie ihren Kopf an
ſeiner Bruſt.
Das haſtige Oeffnen der vom Vorſaal in das Arbeits-
zimmer führenden Thür ließ die Liebenden betroffen auf-
fahren; mit einem Schreckensruf wand ſich Claire aus
Henris Armen. Auf der Schwelle ſtand Victor von Nar-
in welchem der
Sergeant diente und wie dieſem nicht unbekannt war, ein
eifriger und von der Mutter lebhaft unterſtützter Bewerber
um Claires Hand.
Einen Augenblick ſtand der Lieutenant wie vom Blitz
getroffen und ſtarrte auf das Paar, als traue er ſeinen
eigenen Sinnen nicht, dann machte er plötzlich Kehrt und
verließ, ohne nur eine Silbe zu äußern, das Zimmer.
Sein ſporenklirrender Tritt ging die Treppe hinunter, die
athemlos Lauſchenden hörten, wie er das Haus verließ.
Claire brach in Thränen aus, der Muth, welchen ſie
noch wenige Minuten zuvor zur Schau getragen, war gänz-
lich von ihr gewichen. „O, nun iſt alles verloren!“ ſchluchzte
ſie, die kleinen Hände ringend, „wenn er der Mutter, dem
Vater hinterbringt, was er geſehen hat!“
Jetzt war es Henry, der ihr Troſt zuſprach. „Eine
ſolche Niedrigkeit haben wir von Lieutenant Narbonne nicht
zu befürchten,“ verſetzte er, „ich habe nie eine unehrenhafte
Handlung von ihm geſehen.“
„Aber die Eiferſucht, 0 flüſterte Claire, „ich habe Ihnen
nie geſagt —“
„Und doch weiß ich, daß er Sie liebt und um Sie
wirbt,“ fiel er dem heiß erglühenden Mädchen ins Wort,
„die Liebe iſt ſcharfſichtig. Dennoch dürfen Sie ruhig ſein,
er iſt Soldat und Edelmann, ich werde an ſeine Groß-
muth appelliren.“
„Sie wollen mit ihm ſprechen?“
„Ich gehe auf der Stelle zu ihm, geſtehe ihm unſere
gegenſeitige Liebe und beſchwöre ihn,‚ das entdeckte Geheim-
niß bewahren zu wollen.“
 
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