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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 70 - Nr. 78 (1. September - 29. September)
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heidelberger Familienblätter.

Belehiliche Reilage zur Heidelberger Beitnng.

Ur. 76.

Mittwoch, den 22. September

1886.

Der Sünger von Salto.
Eine braſilianiſche Geſchichte von B. Riedel⸗Ahrens.
Fortſetzung.)

„Juca Soredano!“ erſchallte kreiſchend im Uebermaß

des Schmerzes Dona Virginias durchdringende Stimme,
„rette meinen Sohn, er war dein Freund, wenn Jemand
zu helfen vermag, ſo biſt Du es — o, ich flehe Dich an,
verſuche es!“
Retten? Es wäre vergebliches Beginnen. Juca warf
einen Blick in die kochende Tiefe und wandte ſich ſchaudernd
ab; jeder Blutstropfen war aus ſeinem Antlitz gewichen
vor dem Jammerbilde dieſer gebeugten Frau, aber ach, hier
war doch jeder Verſuch zur Hilfe undenkbar.
Unmöglich, — ſollte er ſein junges Leben wagen für
eine Sache, die nach ſeiner feſten Ueberzeugung eine ver-
lorene war? Hatte überhaupt ſchon jemals ein Menſch
den Gedanken gehegt, die ſchwarzen Felſen dort hinabzu-
klettern? Er ſchwankte indeſſen, griff mit der Hand nach
ſeiner Stirn, — ſollte er? Es galt ein Menſchenleben,

vielleicht lebte Francisko doch noch. Da fiel ſein irrender

Blick auf Marietta,‚ die nur wenige Schritte von ihrer
Mutter entfernt ſtand, wie verſteinert, die gefalteten Hände
ihm entgegengeſtreckt; ihre Lippen ſprachen nicht, doch in

den dunklen Augen lag eine leidenſchaftliche Bitte, ein

Strahl der Hoffnung und Zuverſicht blitzte aus ihnen, und

da war es um ihn geſchehen! Während er die linke Hand

mit raſcher Gebärde gegen das Herz preßte, winkte er mit
der Rechten der Geliebten einen Gruß des Abſchieds zu,
ein letztes Lebewohl. Dann näherte er ſich raſchen Schrittes
dem Rande des Abgrundes und ſpähte in die grauſenvolle
Finſterniß hinab.

„Fackeln!“ rief er den Leuten, die ſich hinter ihn dräng-

ten, mit lauter Stimme zu, „Fackeln zur Stelle und leuchtet
mit ihnen von der Brücke aus, den Abgrund hinunter, mir
ſcheint es faſt, wenn mich nicht alles trügt, als bemerkte
ich den Körper Franciskos dort auf der hervorragenden
Klippe, zwiſchen den Waſſern, liegen.“ ö
Einige der Anweſenden rannten eilends davon, das
Verlangte zu bringen, andere brachen in Rufe der Ver-
wunderung und Warnung aus, ſobald ſie erfuhren, Juca
beabſichtige hinabzuſteigen, um die Rettung des Verunglück-
ten zu verſuchen. „Juca,“ hörte man ſie äußern, „wollt
Ihr in den ſichern Tod gehen ? Um Gotteswillen, der
Salto möchte ſich nicht mit dem einen Opfer begnügen,
ſetzt Euer Leben nicht in tollkühnem Wagen auf's Spiel.“
Aber Juca ließ ſich nicht beirren, wie Begeiſterung hatte
es ihn ergriffen. Er ſpähte brennenden Auges nach unten
und überflog die ſchwarze, abſteigende Felswand, deren
ſchwarzes Geſtein im Mondlicht flimmerte. Dort zeigte ſich
ein winziger Vorſprung, breit genug, dem Fuße eines
Mannes beim Niedergleiten einigen Halt zu gewähren, da-
zwiſchen entſprangen den Riſſen und Furchen des Geſteins
hier und dort langherabhängende Pflanzengewinde, die Ge-
legenheit boten, ſich anzuklammern. ö ö

Er warf noch einen Blick auf Marietta, dann zum
Himmel, als wolle er in ſtummem Gebete Gott anflehen,
ihn zu ſchützen. Dann beugte er ſich nieder, ſtützte die
Hände auf den ſteinigen Boden, ſchmiegte den Körper feſt
gegen das Geſtein und ließ ſich bis zum erſten Vorſprung
hinabgleiten. Es gelang; hierauf ſprang er mit Todes-
verachtung auf eine weiter unten vorſtehende, kleine Klippe
und — war verſchwunden. — —
Todtenſtille herrſchte unterdeſſen im Kreiſe der Zurück-
gebliebenen; mit angehaltenem Athem, Entſetzen in den
blaſſen Geſichtern, folgten ſie ſo lange als möglich den
Bewegungen des jungen Sängers. Marietta war auf ihre
Kniee geſunken, das Haupt zur Erde gebeugt, während
Donna Virginia halb bewußtlos in den Armen ihrer
Sklavin lehnte. Jetzt erſchien am Eingang der Palmen-
allee eine Anzahl Leute mit brennenden Fackeln und
Stricken verſehen. Sie gingen nach der Brücke, wie Juca
es geheißen, und weit über die Bküſtung gelehnt ſenkten
ſie die gluthroth flackernden Flammen in den finſter gäh-
nenden Schlund. Einen Augenblick ſpäter und die im
weißen Giſchte raſenden Wogen leuchteten dort unten plötz-
lich in glühendem Purpurſchimmer auf, die dunkeln Klippen
traten deutlich hervor, denn ein magiſches Licht breitete
ſich in weitem Bogen über die ganze Fläche der brauſenden
Fluthen.
Aber Niemand achtete der erhabenen Schönheit dieſes
Anblickes; die vom Fackellichte grell übergoſſenen Geſichter
neigten ſich ängſtlich forſchend weit hinab, ob die Geſtalten
der beiden Jünglinge in der Tiefe zu erkennen ſeien, ob
noch lebend oder todt und zerſchmettert. Da, — aus
mancher Bruſt rang ſich ein Ausruf der Erleichterung, un-
mittelbar am Fuße der Felswand, auf einem winzigen Ab-
hange, der ſchon vom Waſſer leicht beſpült wurde, bewegte
ſich etwas, die Umriſſe einer menſchlichen Geſtalt wurden
ſichtbar neben einer andern, die am Boden lag. Das war
jedenfalls Francisko, welcher, anprallend gegen die Vor-
ſprünge der Wand, auf den breiten Stein gefallen war.
Lebte er noch? Das vermochte bis dahin Niemand zu
ſagen, aber Juca lebte und konnte demnach gerettet werden.
„Jetzt ſchnell,“ befahl ein alter Fiſcher, dem alle willig
Gehorſam letſteten, „laſſen wir vorſichtig die Stricke hinab,
befeſtigt ſie ſicher an den Stamm des nächſtſtehenden
Baumes.“ Es geſchah; Marietta war, ſobald ſie die
Freudenrufe der Erwartung unter den Leuten vernommen,
aufgeſprungen und zur Stelle geeilt.
Sollte es möglich ſein, war wirklich Hoffnung auf die
Rettung des Bruders und des Geliebten vorhanden? Sie
ſtand nun auf der Brücke, von wo aus ſie den unheim-
lichen Schauplatz des Heldenmuthes ihres Juca beſſer über-
ſehen konnte. Scheu und ehrfurchtsvoll wich die Menge
zurück, ſchweigend war Jeder bemüht, ihr den beſten Platz
einzuräumen.

Gleich darauf waren die äußerſten Enden der Stricke
unten angekommen, die Fackeln flammten rother und glühen-

der auf, ein Schrei ertönte, man ſah, wie Juca die Arme
emporſtreckte und ſich dann wieder zu dem am Boden
Liegenden niederbeugte. Jetzt richtete ſich dieſer auf, müh-
 
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