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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 27 - Nr. 34 (3. April - 28. April)
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elberger Fanilieublätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 32.

Mittwoch, den 21. April

1886.

Zumn Jindwurn.

Roman von B. Renz.

(Fortſetzung.)
Jedenfalls wäre eine giftige Antwort ſeitens des Vaters
dreier heirathsfähiger Töchter die Folge geweſen, aber die
Thüre öffnete ſich und, nach einigen Komplimenten wegen
des Vortrittes, erſchien der geſammte Inhalt der Extrapoſt
in der Weinſtube. Es folgten nun die üblichen Vorſtel-
lungen ſeitens des Herrn Bürgermeiſters Kleinmichel: „Herr
Major von Rohnen, Herr Hauptmann Rüvbille, Herr Inten-
danturrath Wieſebeck;“ — dann vice versa die Namen
der Herren vom Stammtiſch, und man ſetzte ſich. Ein
Geſpräch war raſch in Gang gebracht, zunächſt über das

Unangenehme einer längeren Fahrt im Wagen bei ſo ſchlech-

tem Wetter, dann bemerkte der Major, daß dieſe Unbe-
quemlichkeit bald ein überwundener Standpunkt ſein werde,
denn der Bau einer Eiſenbahn von Reicha zum Anſchluß
an die Station Z. ſei beſchloſſene Sache, wie er geſtern
vom Herrn Kriegsminiſter ſelbſt vernommen habe, — und
endlich kam man auf die brennende Tagesfrage, auf die
Verlegung eines Truppentheils nach Reicha.
„Aber, meine Herren, was wollen Sie trinken?“ fragte
ſchon wiederholt der Bürgermeiſter.
dieſe, das heißt ein Keller, wie der hier unter unſeren
Füzen, wird ſelbſt in der Reſidenz ſchwerlich zu finden ſein.“
„Deſto beſſer,“ erwiderte der Major. „Wir ſind im
Allgemeinen nicht gerade ſehr erbaut davon, daß uns das
Loos der Verſetzung getroffen hat, und werden um ſo mehr
über jeden Vorzug erfreut ſein, der die neue Garniſon uns
angenehm machen kann.“
„Nun,“ meinte der Juſtizrath, neben welchem der Offi-
zier ſaß, „dann empfehle ich Ihnen gleich etwas Vorzüg-
liches, dieſen Rüdesheimer⸗Berg. Er kann Ihnen vielleicht
als Lethe dienen und bietet außerdem noch den Vortheil,
beſſer zu ſchmecken, als abgeſtandenes Waſſer.“
Der Major lachte. „Ein vortrefflicher Wein iſt aller-
dings ein beſonders kräftiger Magnet; in der Reſidenz
wurden wir nicht verwöhnt. Ich glaube aber kaum, daß
er allein genügen wird, meinen jungen Herrn das verlorene
Paradies vergeſſen zu laſſen.“
„Oh!“ ſagte Herr Markart, „wir haben hier auch
höhere Genüſſe; wir haben einen Klub, wo getanzt wird,
wir haben eine Loge, wo getanzt wird, und an hübſchen
Damen iſt kein Mangel, im Gegentheil —“
„Und für leibliche Genüſſe jeder Art iſt gleichfalls ge-
ſorgt,“ fiel Herr Stange ein, „ächte Havanacigarren gibt
es hier viel beſſer und preiswürdiger, als in der Reſidenz,
— ich beſitze ein gut aſſortirtes Lager, und bin ſehr
gern — “ ö
„Laſſen Sie doch die Herren erſt ein Glas Wein in
Ruhe trinken,“ ſchalt der Juſtizrath, der ſich über die
Krämerſeelen ärgerte; „hübſche Damen und ächte Havana-
cigarren empfehlen ſich von ſelbſt! Aber unſern trefflichen
Wirth müſſen Sie kennen lernen, den Hüter der Tugend
ſeiner Weine, und nun wollen wir auf ein fröhliches Zu-
ſammenleben anſtoßen.“

„Eine Weinſtube wie

Aber Herr Stadtrath Carſtens war verſchwunden und
auf wiederholtes Klingeln vom Honoratiorentiſch erſchien
der alte Küfer und führte die Beſtellungen aus.
„Wie heißt der Beſitzer dieſer Weinſtube?“ fragte der
Hauptmann Rüville, nachdem er gekoſtet hatte. „Der Wein
iſt wahrhaftig exquiſit zu nennen; ſo etwas hier zu fin-
den, habe ich nicht erwartet.“
„Er iſt ein wenig Sonderling, das heißt der Herr
Carſtens,“ berichtete der Bürgermeiſter, „er iſt zumal gegen
jede Neuerung eingenommen und die Verlegung einer
Garniſon nach hier wird ihn nicht ſehr angenehm berührt
haben.“
„So iſt's,“ beſtäkigte der Juſtizrath. „Carſtens iſt
ein ſehr wohlhabender Mann, ſteht ſchon lange auf dem
Punkte, ſein Geſchäft zu ſchließen und hat dieſe Abſicht erſt

vorhin ganz direkt ausgeſprochen, als er die Verlegung des

Bataillons nach hier erfuhr. Im übrigen iſt er der recht-
ſchaffenſte Menſch, und ich laſſe nichts auf ihn kommen.“
„Carſtens?“ fragte der Major. „Mein Gott, den
Namen muß ich ſchon gehört haben, ſogar ganz kürz-
lich erſt.“
Der Hauptmann lachte und ſah den Major verſtändniß-
voll an; dann ſagte er halblaut: „Fliſſen.“
„Richtig!“ Auch der Major lachte jetzt, aber in keiner
ſehr angenehmen Weiſe; es klaug ein wenig ſchadenfroh.
— Es war ein langer ſchlanker Mann, hielt ſich etwas
vorübergebeugt, wie Leute zu thun pflegen, die lange die
Atmoſphäre des Hofes geathmet haben, und ſtand beim
Offiziercorps in dem Rufe, ein wenig neidiſch zu ſein auf
den Beſitz irdiſcher Güter und Orden. Obgleich höheren
Ortes protegirt — er war früher Gouverneur des Erb-
prinzen geweſen — glaubte er doch ſeine Verdienſte nicht
genügend anerkannt und benutzte nun jedes Mittel und jede
Gelegenheit ſich auszuzeichnen, indem er aus ſeinem Truppen-
theil ein Normalbataillon, aus jedem Mann einen Muſter-
knaben zu machen ſuchte. Im Bataillon fand dies Treiben
natürlich wenig Beifall, und namentlich war das Offizier-
corps dem Herrn Kommandeur nicht gewogen, nachdem er
einſt erklärt hatte, ein verliebter Offizier ſei für den Dienſt
verloren und ein verheiratheter Offizier ſei ein Nonſens.
„Hat Herr Carſtens nicht eine Tochter?“ fragte er
jetzt ſeinen Nachbar wie beiläufig.
„Ein ſehr hübſches Mädchen, jawohl,“ lautete die Ant-
wort des Juſtizraths, „das einzige Kind und ſomit eine
Erbin.“ *
Unnd iſt in D. erzogen? Nicht wahr, Herr Juſtizrath 2“
warf der Hauptmann dazwiſchen. ö
„Allerdings, in der erſten Anſtalt bei Demoiſelle —
Demoiſelle — —“
„Clemence,“ vollendete der Major den Satz. „Nun,
das ſind ja nach allen Richtungen erfreuliche Ausſichten;
ich bedauere nur, den Herrn Stadtrath Carſtens nicht kennen
gelernt zu haben, ich glaube, es gibt zwiſchen uns Be-
ziehungen von beſonderem Intereſſe.“ ö
„Herr Major meinen den Wein?“ ſagte der Bürger-
meiſter, verbindlich lächelnd.

„O nein!“ widerſprach der andere. „Der Wein iſt
 
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