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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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Heidelberger

amilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Beitung.

ur. 103.

Freitag, den 24. December

1886.

Ein Opferlamm.
Novellette von A. W. Gellrich.
(Fortſetzung.)

Sie ſtreichelte zärtlich ſein Haar und ſagte:
„Aber wie iſt es denn — Du haſt doch Dein Gut?
Oder hat man Dir das auch genommen?“ ö
„Das nicht, Liebſte,“ erwiderte er. „Aber ich fürchte,
man wird es thun. Vielleicht nicht jetzt, nicht ſogleich.
Aber ſieheſt Du, alle dieſe ſchwebenden Dinge werden ſich
ſchließlich darauf ſtützen und es auffreſſen, ohne daß ich
es hindern kann! Woher ſollte ich denn das Geld neh-
men, um dieſe zu beſeitigen?!“
„Ich werde Mama bitten,“ ſagte Fränzchen, „daß ſie
uns hilft, ſoweit ſie irgend kann. Sie thut es ganz ge-
wiß und vielleicht iſt es dann nicht ſo ſchlimm mit Deinen
Verpflichtungen, wie Du ſelbſt glaubſt.“
„Siehſt Du, Kind, das iſt ja eben meine ſträfliche
Art, ſolche Dinge zu behandeln! Ich weiß in der That
ſelbſt nicht genau, wie es eigentlich damit ſteht. Ich habe
da eine Menge Briefe bekommen, denen ich anſah, daß ſie
von dieſen vertrackten Geſchäftsdingen handelten, ſie ſchienen
ſogar zum Theil vom Gericht zu ſein. Die habe ich alle,
um mir meine Stimmung nicht zu verderben, ungeleſen
auf einen Haufen gelegt. Die Leute, die dies ſchrieben,
mögen nun erbittert ſein, daß ſie keinerlei Beſcheid be-
kommen, und das Uebel iſt dadurch größer geworden.“
Seine Geſtändniſſe hatten eine Zentnerlaſt von ihm ge-
nommen. Er verſuchte ſogar, einen ſcherzhaften Ton an-
zuſchlagen. ö ö

„Bitte, lieber Fedor,“ ſagte Franziska, „gib mir dieſe
Briefe, Du glaubſt gar nicht, welch ein ſchrecklich ernſt-

haftes und geſchäftseifriges Geſchöpf in Deiner Frau ſteckt!
Siehſt Du, ich — ich ſcheue mich nicht vor dieſen Dingen.
Jedenfalls bloß,“ beeilte ſie ſich entſchuldigend zu ſagen,
„weil meine Nerven weniger ſenſibel ſind. Ich werde alle
die Briefe leſen und ſie dann zu Mamas Anwalt tragen.
Dann gehe ich zu Mama und Du ſollſt ſehen, es wird
alles nach und nach in Ordnung kommen, ohne daß Du
Dich damit zu ärgern brauchſt, Du armer Mann!“ Sie
ſtreichelte ihn, faſt wie man es einem Kinde thut.
„Aber nicht wahr, wir ziehen jetzt auf's Land? auf
Dein Gut — und geben die theure Wohnung auf und die
theuern Vergnügungen dazu? Es wird Dir hart ankom-
men, liebes Männchen, ich weiß es. Du biſt ja berühmt
als der beſte Geſellſchafter, den es gibt; aber ich fürchte,
das wird ſich nicht ändern laſſen. Doch kannſt du viel-
leicht auch dort angenehmen Umgang finden. Aber die
Briefe! Nicht wahr, du holſt die Briefe ??2:2
ö „Wenn Du es denn durchaus willſt,“ ſagte Fedor, der
eine Anwandlung von Beſchämung empfand, daß ſeine Frau
in ihrer Zärtlichkeit ihn, ohne daß ſie es merkte, behandelte
wie ein der Schonung bedürftiges Kind, „ich werde ſie
holen.“ Und er ging wirklich und brachte einen Stoß der
verſchiedenſten Briefſchaften zurück. ö

Seine Gattin nahm ſie an ſich und bat, ehe ſie weg-
ging, noch einmal ſchmeichelnd: „Nicht wahr, du glaubſt
es auch, daß ich nichts dafür kann, daß Du durch mich
in Sorgen gekommen biſt ?ꝰ
Er küßte ſie ſtatt aller Antwort auf den Mund, und
ſie ging. ö ů
* *
*

Einige Wochen ſpäter befand ſich das junge Ehepaar
weit hinten in Oſtpreußen, auf dem Gute Fedors. Die
Gegend, in der daſſelbe gelegen war, machte keinen allzu
freundlichen Eindruck. Daſſelbe war der Fall mit dem
Herrſchaftshauſe, das ſich von den umliegenden Wirthſchafts-
gebäuden nicht ſonderlich impoſant abhob. Dennoch ge-
hörten ziemlich ausgedehnte Ländereien zu dem Gute; nur
bedurften dieſelben, mager wie ſie waren, der ſorgſamſten
geſehlt um gedeihlich zu ſein, und dieſe hatte ihnen bisher
gefehlt.
Der Mangel an heimelnder Traulichkeit, der über dem
Ganzen lag, war auch in dem Zuſammenleben hervor-
tretend. Nicht daß es zu Diſſonanzen gekommen wäre —
vielmehr herrſchte ſtets die größte Einigkeit, wenn dieſelbe
ſich auch nicht allzu ſehr in die Tiefe erſtreckte. Aber das
gemüthliche Element, eine freudige Lebensſtimmung, wie
ſie frohen, jungen Eheleuten eigen, fehlte, ſo innen wie

außen. ö

Es war ein eigenthümliches Eheleben, was da geführt
wurde. Als die beiden in möglichſter Stille die Reſidenz
verlaſſen hatten und hier einzogen, ebenfalls nicht ſo mit
Glanz und Pomp, wie es der junge Gatte ſich vorher aus-
gemalt hatte, da hatte Fedor geglaubt, vor ſeiner Frau
mit landwirthſchaftlichem Wiſſen glänzen zu müſſen. Er
war bald hier, bald dort, ſchalt und ſchaltete, gab Befehle
über Befehle, die er eben ſo oft widerrief, und ſtellte alles
auf den Kopf, ſo daß in kurzer Zeit Niemand in der
ganzen Wirthſchaft mehr aus noch ein wußte. Dem ſetzten
jedoch die zähen, ſchwer begreifenden oſtpreußiſchen Dienſt-
leute bald einen hartnäckigen, paſſiven Widerſtand entgegen,‚
der den jungen Gebieter auf's äußerſte aufbrachte und ge-
gen den er doch zuletzt machtlos war. Das kühlte das
Strohfeuer ſeiner landwirthſchaftlichen Begeiſterung ſehr
raſch ab, und gar bald zog er vor, mit der Flinte auf
dem Rücken durch die ſchlecht beſtandenen Kieferwaldungen
zu ſtreichen oder hier und da bei den Gutsnachbarn zu
Jagd und Spiel vorzuſprechen, wobei er immer lange aus-
blieb. Darüber bekam der alte, viel geſcholtene Verwalter,
der wohl viel Erfahrungen beſaß, aber in ſeinen An-
ſchauungen um fünfzig Jahre zurück war, die Zügel der
Wirthſchaft bald wieder mehr und zuletzt ganz in ſeine
Hände. ö ö ö
Die junge Frau mit ihren ſinnenden klugen Augen ſah
das alles, ſagte aber nichts; ſie konnte hier jetzt noch
nichts thun, ſo ſehr ſie die Nothwendigkeit dazu einſah.
Denn während der Gatte unthätig herumſtrich, ſaß ſie da-
heim am Schreibtiſch, vergraben in Briefen und Doku-

menten, damit beſchäftigt, die wirren Angelegenheiten ihres
Gatten zu ordnen. ö ö
 
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