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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 70 - Nr. 78 (1. September - 29. September)
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Heidelberger Familienbläkter.

Beletriſiſche Beilage zur Heidelberger Beitung.

Ur. 75.

Samstag, den 18. September

1886.

Der Sünger von Jalto.
Eine braſilianiſche Geſchichte von B. Riedel⸗Ahrens.
Fortſetzung.)

Senhor Francisko war, ſobald ſich ſeine Mutter der
Schweſter zugewandt hatte, dem Fiſcher näher getreten,
und nahm nach kurzem Gruß einige Schritte entfernt von
dieſem Platz; er lehnte ſich mit verſchränkten Armen gegen
das durch Alter morſch gewordene Geländer am Ufer.
„Guten Abend, Juca,“ begann der Student, indem er
mit leicht zuſammengezogenen Brauen in die tobenden
Waſſer tief unten zu ſeinen Füßen hinabblickte, „ich kam
des Weges daher mit meiner Mutter, dachte aber nicht,
auch die Schweſter zu finden unter den Leuten, die gern
des Abends Deinen ſchönen Liedern lauſchen; beſonders
nicht um dieſe ſpäte Stunde.“
Juca hatte den einſtigen Spielgefährten mit finſterer,
faſt hochmüthiger Miene willkommen geheißen.
„Sollen Deine Worte einen Vorwurf enthalten, Fran-
cisko de Serro, dann thäteſt Du beſſer, frei und offen mit
mir zu reden, ein Mann dem andern in's Angeſicht; wozu
die Umwege und inhaltloſen Phraſen, der es zwiſchen uns
doch wahrlich nicht bedarf. Nannteſt Du mich nicht einſt
Deinen liebſten Spielgefährten, ja, Deinen Freund, denn
dem Juca war kein Unternehmen zu toll, kein Wageſtück
zu kühn, das er nicht unternahm, aus Zuneigung zu Dir,
ſobald es Dein Wunſch geweſen?“
„Ei gewiß, Juca, davon iſt ja nicht die Rede, aber,
wie das ſo geht — die Kinderjahre ſind vorüber, die Zeiten
änderten ſich....“
„Du haſt recht, Francisko, ich vergaß das; die Zeiten
haben ſich geändert,“ wiederholte Juca mit kurzem ge-
zwungenem Auflachen, „ich habe das beſonders vor einigen
Tagen recht wohl bemerkt, als Du drüben auf dem Strand-
wege vorübergingſt mit einem Deiner Kameraden aus Rio;
ich hörte, wie Ihr Euch luſtig machtet über die hieſigen
kleinlichen Verhältniſſe, während ich unweit unſerer Boote
ſaß, die Netze auszubeſſern. Ich wollte aufſpringen, Dir
entgegen eilen, um den alten Freund willkommen zu heißen,
Du aber warfſt den Kopf zurück mit der Gebärde eines
Hidalgo und bannteſt mich mit der Miene Deiner Unnah-
barkeit an meinen Platz! Ich ſtutzte, ein Stich fuhr mir
ins Herz, der Pfeil hatte wohl getroffen.“
„Ich denke, Du übertreibſt die Sache, Juca; ſiehſt Du,
wir ſind dem Knabenalter entwachſen, die Anſchauungen
ſowohl wie die Grundſätze im Menſchen ändern ſich, Du
wirſt das auch erfahren haben.“ ö
„Ach was,“ unterbrach ihn Juca barſch, „unterlaß dieſe
nichtsſagenden Redensarten, ſeit jenem Augenblicke weiß ich,
wie wir zu einander ſtehen. Du biſt eben in Rio ein
vornehmer Herr geworden, wie das ſchon Dein tadelloſer
ſchwarzer Anzug nach franzöſiſcher Mode bekundet. Hm,“
fuhr er mit ſchneidendem Hohne fort, „es müſſen aber doch
ganz kurioſe Sachen ſein, die ihr lernt da draußen in der
Kaiſerſtadt: den Freund verachten, ſich der Heimath ſchämen,

auch wohl Gott verleugnen, wie das heutzutage ſo Mod
iſt unter den gelehrten Leuten. Beim Himmel, wenn das
Eure Weisheit iſt — ich würde dafür danken.“ ö
„Du ereiferſt Dich ganz unnütz, Juca, mein Wort
darauf, ich wollte Dir nur in aller Ruhe etwas ſagen.“
„Und wen betrifft das?“ fragte der Fiſcher.
„Nun, Marietta, meine Schweſter.“
„Damit weiß ich genug, ich ſehe ganz genau, wie die
Sache ſteht. Ihr wollt uns trennen, weil Du vergeſſen
haſt, Francisko de Serro, daß, wenn ich nur ein Fiſcher
bin, Dein Vater vor Jahren auch nichts anderes war als
ein ſchlichter, italieniſcher Händler, der mit ſeinem Waaren-
kaſten im Lande von Farm zu Farm wanderte. Nun,
jeder Stand in Ehren, er verdiente ſein Brod rechtſchaffen,
— und ich war ſeinem Sohne zum Spielgenoſſen gut
genug. Jetzt aber, nachdem Du in der Hauptſtadt ſtudirteſt,
füllte ſich Dein Kopf mit leeren Floskeln, die Dir das
Herz verknöcherten bis in's Mark, und vor lauter Gelehr-
ſamkeit und hohlen Wahngebilden die Stimme der heiligen
Natur in Dir erloſch! Ja, ich ſehe es deutlich, — Du
biſt ein erbärmlicher Wicht geworden, der, genährt von
Staub und Bücherwürmern, nur den einen Gott verehrt,
ſich ſelbſt! Der ſich ſpreizt in dem Hochmuth eines ein-
gebildeten Wiſſens, deſſen armſelige Grenzen uns, den
freien, klarſehenden Kindern des Waldes, doch nur lächer-
lich erſcheinen. Da haſt Du meine Meinung, denn ich be-
ſitze den Muth, Dir in's Angeſicht zu ſagen, was ich denke.
Ich fürchte Niemand als Gott und habe Niemand Rechen-
ſchaft zu geben von meinem Thun und Laſſen, als ihm

und mir ſelbſt. Ich, der Sänger des Urwaldes, der Fiſcher

von Salto, bin freier wie ein König auf meinem ſtolzen
Gebiete — der Fluthen des Parahyba!“
Francisko de Serro ſaß nicht mehr ganz ſo ſelbſt-
bewußt vor dem erregten jungen Manne, als im Momente,
da er ſeine Anrede an ihn begonnen; er wußte ſelbſt nicht
genau, woher es rührte, daß er ſich mit einemmale ein
wenig kleinlich vorkam, und der mühſam erworbene feſte
Boden des vertrauenden Selbſtbewußtſeins unmerklich unter
ſeinen Füßen ſchwand. Es ſchien aber auch, als ob ſich
in dieſer Stunde alles gegen ihn und ſeine errungenen
Kenntniſſe verſchworen hätte; ſchon die Natur, welche ihn
umgab, war von wahrhaft unheimlich großartiger Pracht.
Da lehnte wenige Schritte von ihm, an dem aufſtrebenden
Brückenpfeiler, die geſchmeidige Geſtalt Jucas in ihren ed-
len Umriſſen, die Strahlen des Vollmonds, welche in geiſter-
hafter Klarheit auf das Antlitz des jungen Fiſchers fielen,
ließen das funkelnde Spiel der vor innerer Empörung
glühenden Augen und das Zucken der Lippen über den
ſchneeweißen Zähnen deutlich erkennen. Ueber ihren Häup-
tern vereinten ſich die lichtdurchfloſſenen Kronen der Palmen
zu hohem Dome, und darüber wölbte ſich der ſchwarzblaue
Nachthimmel mit den funkelnden Sternen, in zitterndem,
verſchwiegenem Glanz. Zu ihren Füßen gähnte die ſchauer-

liche Tiefe des Saltofalles, in dem donnernden Gebrauſe

unter glitzerndem Nebelmeer. Durch die Lüfte aber wehte
es belebend, wie der Hauch der ſchaffensfreudigen Schöpfung,
und hundert lebendige Stimmen ſprachen aus jedem Stern,
 
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