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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 10 - Nr. 17 (3. Februar - 27. Febraur)
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kidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 11.

Samstag, den 6. Februar

1886.

Die Fränlein von Paalen.
Novelle von E. von Wald⸗Zedtwitz.
(Fortſetzung.)

Marlene war ebenſo freudig im Hauſe Paalen auf-
genommen, als Marlitta. — So blieb's das ganze Leben,
Marlitta oder Marlene, es gab keinen Unterſchied, die
Elternliebe war die gleiche für die eine wie für die andere.
Und wie die Kinder ſich untereinander liebten, mit Liebe
empfangen, von Liebe umgeben, wuchſen ſie in Liebe zu
einander auf. Drei Jahre zählten ſie, als Vater Paalen
das Haus am Strande erbaute. Die friſche Seeluft that
den Kindern gut, ſie gediehen und blühten wie die Roſen.
Marlittas Locken ſchlängelten ſich wie dunkle Ringe um
Stirn und Wangen, Marlenens blondes Haar dagegen
glänzte wie der helle Sonnenſchein. Sie ſehen den Vater
gehen, im nächſten Augenblick ſtürmen ſie hinaus, die eine
hängt an ſeiner Rechten, die andere an ſeiner Linken, ſo
ſchreiten ſie den Hügelweg hinab, mit einem Satze ſind ſie
im Kahn, hinüber geht's über's Waſſer, dort ſteigt der
Vater aus, die beiden Kinder rudern allein zurück. Herr
von Paalen bleibt am Ufer ſtehen und ſchaut ihnen nach.
„Marlitta und Marlene!“ flüſtern ſeine Lippen mit
Vaterſtolz, doch während er es thut, ſteigt ein geheimes
Wünſchen in ihm auf, er hofft, damit das Kleeblatt voll-
ſtändig ſei, daß der Himmel ihm noch einen Stammhalter
ſchenke, der ſeinen Namen dereinſt weiter trägt.
„Willſt du ſchon landen?“ fragt Marlene die Schweſter.
Sie bejaht es, denn die Mutter wartet daheim, das Schreib-
heft und die Federn liegen ſchon bereit und harren der
kleinen Finger, die ſie führen ſollen. Obgleich die Schweſtern
wie gleiche Blumen in derſelben Sonne aufgewachſen, ſcheint
die eine ernſteren Sinnes zu ſein als die andere, denn ihr
Geſicht drückt Freude aus in Ausſicht auf die Arbeit, wäh-
rend der Blondkopf die Lippen ein wenig hängen läßt und
ſüßſauer darein ſchaut. — Sie ſeufzt.
„Arbeiten, ach, es fährt ſich noch fo ſchön!“
„Die Mutter will es.“
„Mutterchen iſt gut — laß uns noch fahren.“
„Nein, es geht nicht, Mutter wird ſchelten.“
„Sie wird auch wieder gut. Nur bis an den Weiden-
heger, da iſt ein Neſt, ein Rohrſpatz baute es, ſechs Junge
ſind ſchon darin.“
„Wir müſſen heim.“
„Aber ich will es!“ ruft Marlene, die Lippen hängen
immer länger herab, das Näschen legt ſich in krauſe Falten,
die blauen Vergißmeinnichtchen ſehen aus, als ob ſie in
der folgenden Sekunde ein Thränenguß befeuchten wollte.
»„Nur nicht weinen!“ ruft Marlitta, die Schweſter hat
ſie entwaffnet, wie ſchon ſo oft. Nun wenden ſie wirklich
den Kahn, hart am Ufer rudern ſie langſam dahin, mit
einemmale werden die Schläge ſchneller, ohne Verabredung
legen ſich beide Kinder gleichzeitig aus, es iſt, als ob ein
beſtimmter Beweggrnnd ſie dazu vermochte.

„Marlitta, Marlene!“ ruft's von drüben.
„Karl Janſens! Karl Janſens!“ tönt's zweiſtimmig

aus dem Kahne zurück und in dem nächſten Augenblicke
zieht der Knabe, der am Strande hinläuft, die Stiefeln
aus, ſtreift die Beinkleider ſo hoch es nur gehen will auf,
patſcht durch das Waſſer, jetzt hält er ſich am Rand des
Kahnes feſt.“
„Stillgeſeſſen, aufgepaßt, eins, zwei — drei —! So
da bin ich! Die Hoſen naß geworden, ſchadet nicht, wird
wieder trocken! Hurrah! die Schule geſchwänzt, wir räuchern
Flundern, der Magiſter bekommt die beſten!“
Marlene jubelt, doch Marlitta ſchüttelt bedenklich
den Kopf. ö
„Aber Karl!“
Karl reißt die Augen auf, noch größer als ſie ſchon
ſind, glotzt die kleine Moralpredigerin an, zieht eine ab-
ſcheuliche Fratze und brummt ihr nach:
„Aber Karl! Was iſt dabei, hier draußen iſt's weit
ſchöner, als in dem engen Loche! Ich muß zum Neſte,
die Rohrſpatzen ſind ſonſt ausgeflogen oder Jobſt Kraulſen
holt ſie nach der Schule. So puhl aus — nun vorwärts!“
Er erfaßt zwei Ruder, ſchiebt Marlitta an das Steuer
und nun ſchießt der Nachen pfeilſchnell dahin. Sie ſchüttelt
noch immer den Kopf, ſpricht etwas von ungezogenen
Jungen, welche die Schule ſchwänzen und Vogelneſter aus-
nehmen. Marlenens Augen leuchten wie in einem Freuden-
feuer, ſie ſchüttelt ſich aus vor Lachen, daß Karl dem
Magiſter ein Schnippchen ſchlägt, ja ſie geht noch weiter,
ſie macht mit dem tollen Jungen gemeinſchaftliche Sache
gegen die Schweſter, ſie ſtoßen beide in ein Horn und ver-
ſpotten Marlitta gründlich. Karl Janſens zählt wohl elf
Jahre, er iſt ein kleiner Herkules, unter dem offenen Hemde
wölbt ſich eine breite Bruſt, die Beine, ſchön geformt,
weiß wie Schnee, noch entblößt wie er durch's Waſſer
watete, zeigen eine herrliche Muskulatur. Lange, blonde
Locken, etwas ausgeblichen von der Sonne, denn eine Kopf-
bedeckung kennt er nicht, fallen ungeordnet bis auf den
kräftigen Nacken. Das Geſicht iſt fein geſchnitten, unter
ſcharf gewölbten Augenbrauen leuchten zwei große, veilchen-
blaue Augen luſtig in die Welt, die ſich in lichtem Sonnen-
glanze vor ihnen ausbreitet. Die Hände zeigen, daß er
trotz ſeiner Jugend an harte Arbeit gewöhnt iſt, die
Schwielen und die Muskelſträhnen hat er ſich nicht beim
Tändelſpiel geholt. Karl Janſens iſt ein ächter Nord-
landsſohn, ſelbſtredend geht er ſpäter zur See, wie es ſein
Vater that und alle ſeine Vorfahren. Das Waſſer iſt ſein
Element, ohne Waſſer kann und will er nicht leben. Es
entſtand nun ein Durcheinander von Fürs und Widers
zwiſchen den drei Genoſſen. Karl Janſens rühmte ſich
gewaltig mit ſeinen Heldenthaten, die er in und außerhalb
der Schule vollbrachte, Marlene klatſchte ungetheilten Bei-
fall und feuerte ihn durch Lob und Lachen zu immer
größern Aufſchneidereien an, wohingegen Marlitta ein über
das andere Mal ſagte: ö
„Prahlhans, ich glaube es dir doch nicht! Es iſt gar
nicht hübſch, den Mund ſo voll zu nehmen.“ ö
Aber nun ging es über ſie her. Sie hörte alles ruhig
mit an, nur ab und zu vernahm man wieder das Wort
„Prahlhans“, welches Karl und Marlene lachend zurück-
 
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