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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 70 - Nr. 78 (1. September - 29. September)
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jeidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſ 6 x Beilage zur Keidelberger Baitung.

Ur. 71.

Samstag, den 4. September

18⁸⁶.

Der Ring.
Novelle von E. Hartner.
(Schluß.)
Viktor von Mannhardt hatte ſein Wort gehalten, —
jetzt war ſeine Arbeit gethan. Wenn den beiden trauernden
Damen da drinnen im Schloſſe noch ein ſtattlicher Reſt
ihres einſt ſo fürſtlichen Beſitzes geblieben war, ſo war
dieſes günſtige Reſultat nicht zuletzt ſeinen mannhaften An-
ſtrengungen zu verdanken. Er hatte unabläſſig, unermüdlich
gearbeitet. Als der gutmüthige, aber äußerſt läſſige und
bequeme Oheim nur zögernd und widerwillig Paulas Vor-
mundſchaft übernehmen wollte, hatte er ſich bereit dazu er-
klärt und dieſelbe im Verein mit einem tüchtigen und ge-
wiſſenhaften Advokäten auch übernommen. Der Graf wär
ohne Teſtament geſtorben, das ließ den beiden Männern
ziemlich freie Hand. Die Gräfin, die, nachdem ſie ſich von
dem erſten ſchweren Schlage aufgerichtet hatte, ſich als gar
nicht ſo untüchtig für geſchäftliche Dinge erwies, hatte ihre
Einwilligung dazu gegeben, daß man die Schale aufopferte,
um den Kern zu retten. Schönheide ſollte um jeden Preis
erhalten bleiben, man gab die Nebengüter preis. Als die
Gläubiger erſt das Zutrauen gewannen, daß man es mit

einer energiſchen, gewiſſenhaften Verwaltung zu thun habe,

verzichteten ſie auf die Subhaſtation und bewilligten frei-
händigen Verkauf. Da man keine hohen Forderungen
machen durfte, hatten ſich bald Käufer gefunden. Ein hal-

bes Jahr der Mühe hatte genügt, jetzt waren die Glänbiger

befriedigt, Schönheide, nur wenig belaſtet, freies Eigenthum
der beiden Damen, an Stelle des alten, nicht ganz zuver-
läſſigen Adminiſtrators ein junger, tüchtiger Inſpektor ein-
geſetzt, die ungeheure Laſt der Schreibereien, Rechnungen,
Berechnungen erledigt, — die Gräfin und ihre Tochter
konnten einem ſtillen, aber ſorgenfreien Winter entgegengehen.
Und Viktor? — Nun, Viktor hatte ſeine Arbeit gethan,
er konnte gehen. ö
Und mußte er nicht auch gehen? Hatte er nicht noch
andere Pflichten zu erfüllen, als die gegen ſein Mündel, —
denn Paula in dieſem Licht zu betrachten, hatte er ſich all-
mälig gewöhnt. ö ö
War nicht der Oberſt bereits unwillig über ſeine be-
ſtändigen Bitten um Urlaub, ſein ewiges Verſchwinden nach
Schönheide? Grollte Wilhelm nicht ſchon längſt über den
Blödſinn, ſich für fremde Leute abzuarbeiten und waren
nicht, last not least! Mutter und Schweſter tief verletzt,
raß er den langen Urlaub nach dem Manöver nicht, wie
lljährlich, bei ihnen, ſondern in Schönheide zugebracht
gatte? Freilich war ſeine Anweſenheit hier nöthig, um die
Beſchäfte zum Abſchluß zu bringen, Mutter und Schweſter

wurden auf einen kurzen Beſuch zu Weihnachten vertröſtet.

„Es muß ſein!“ murmelte er, als er die Stufen der
Freitreppe emporſtieg. „Es muß ſein!“ ö
Oben auf der Treppe wendete er ſich noch einmal um
und überblickte den Garten. Da war die Raſenfläche, auf
der er ſich damals mit dem Kinde getummelt, da der Teich,
auf dem er es gerudert. Dort unter alten Eichen ragte
die Kirche, über deren Stufen er die Wankende geführt,

ihm entfaltete.
gehen!

konnte nicht anders ſein!

als man den Vater zur letzten Ruhe gebettet! Wie oft,
wie oft waren ſie an langen Sommerabenden unter dieſen
Bäumen in eifrigem Geſpräch auf- und abgegangen, und
das Nüchternſte und Häßlichſte auf dieſer Erde, Geldſorgen,
Geſchäfte und Aergerniſſe aller Art, hatten ihm tiefe und
immer tiefere Einblicke in ein Frauengemüth verſchafft, das
ſich wie reines Gold im Feuer, immer edler und klarer vor
Nun war auch das vorbei und er konnte

Aber konnte er denn gehen? Gehörten dieſe beiden
trauernden Frauen, dieſer einſame Garten, den er im kei-
menden Frühling, im ſommerlichen Blumenſchmuck, im Ver-
fall des Herbſtes geſehen, denn nicht zu ſeinem Daſein,
zu ſeinem innerſten Leben? Konnte er ſich denn losreißen,
ohne zu verbluten? — Und wenn er daran verblutete, es
Eine Stunde der Vergangenheit
warf ewig trennend ihren Schatten zwiſchen ſie. Er hatte
das Mädchen verſtanden: er durfte ihr nahe ſein in der
Stunde der Noth, weil er ſie nicht liebte, weil nie wieder
zwiſchen ihnen von Liebe die Rede ſein konnte. Er hatte
ſie verſtanden, es mußte ſein, vorwärts!
Und Viktor von Mannhardt wandte dem Garten ent-
ſchloſſen den Rücken und trat ins Haus.
Er fand die Damen in dem Wohnzimmer, in dem ſie

ſich jetzt gewöhnlich aufhielten, ſie mochten von ihm ge-
ſprochen haben, denn die Unterhaltung ſtockte, als er ein-
trat. Die Gräfin war blaß und bewegt, in Paulas un-

durchdringlichem Antlitz zu leſen, war ihm unmöglich, es
war völlig ruhig, der Blick frei, wenn auch nicht heiter.
„Ich komme, um Abſchied zu nehmen!“ ſagte er leiſe.
Er hatte es ſich anders gedacht, er hatte noch alles Mög-
liche ſagen wollen, in dieſer letzten Stunde, aber er fand
nur das eine Wort, das einfache, „ich komme, um Abſchied
zu nehmen!ꝰ ö
„Sie ſagen das ſo feierlich, Herr von Mannhardt, als
handle es ſich um Abſchied auf Tod und Leben!“ ſagte
die Gräfin mit einem ſchwachen Verſuch zum Scherzen.
„Doch ich denke, wir ſind uns in dieſen ſchweren Stunden
ſo nahe gekommen, um unſere Beziehungen jetzt abzubrechen!
Für das, was Sie uns in dieſer Zeit geweſen ſind, kann
ich Ihnen freilich nie genug danken; ich denke, Sie werden
mir auch in Zukunft geſtatten, Ihre Freundin zu bleiben.“
Er verbeugte ſich ſchweigend; die ſchicklichen Worte
wollten ſich nicht finden.
Vnnd jetzt geſtatten Sie mir, Ihnen wenigſtens noch
einen kleinen Imbiß vorzuſetzen, ehe Sie reiſen!“ ſagte die
Gräfin und ging. — ö
Nun war er mit Paula allein. Es war ihm nichts
Seltenes, er hatte oft ſtundenlang mit ihr allein geſeſſen.
und gearbeitet, aber damals war das Weh der Trennung

nicht über ihnen geweſen. Eine große Bewegung ergriff

„Gräfin Paula!“ ſagte er leiſe und ſtockte.
„Herr von Mannhardt!“
„Gräfin Paula, Ihre Frau Mutter habe ich mit einer
Höflichkeitslüge getäuſcht, — Sie kann ich nicht täuſchen,
will ich nicht täuſchen! — Ich gehe, um nicht wiederzu-
kehren, ich nehme Abſchied — auf immer!“

ihn.
 
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