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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 1 - Nr. 9 (2. Januar - 30. Januar)
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Heidelberger Fanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Seitung.

Ar. 8.

Mittwoch, den 27. Januar

1886.

Der Banuerndoktor.

Novelle von Helene Naumburg.

Fortſetzung.)

„Unterdeß rückte die Zeit immer näher, in der ich einen
Eniſchluß faſſen mußte, und in einer ſolchen Lage hofft
man im Stillen, daß ein äußeres Ereigniß den Ausſchlag
geben werde, und iſt ſehr geneigt, den geringſten Anlaß
für einen Fingerzeig des Schickſals zu halten. Bei mir,
der das Bleiben um jeden Preis wünſchte, bedurfte es denn
auch in der That nicht viel. ö
„Ich erwähnte ſchon, daß die Rauhenſteins Proteſtanten
waren; dieſer öſterreichiſche Beſitz war ihnen erſt beim Aus-
ſterben einer älteren Linie zugefallen, aber ſie lebten trotz
der Verſchiedenheit des Bekenntniſſes in gutem Einverneh-
men mit der katholiſchen Bevölkerung. Namentlich war der
alte joviale Pfarrer ein häufiger und gern geſehener Gaſt
im Schloß, und ich kam auch allmälig täglich in das
Pfarrhaus. Der alte Herr war ein eifriger Botaniker und
unermüdlicher Bergſteiger, er hing mit der innigſten Liebe
an ſeiner Heimath und konnte es ſich nicht entfernt vor-
ſtellen, daß man ſich draußen in der Ebene auch nur halb
ſo wohl wie hier fühlen könne. Außerdem hatte ich den
Vorwand, aus Geſundheitsrückſichten meinen Aufenthalt hier
ſo lange auszudehnen, ſo oft wiederholt, daß er als feſt-
ſtehende Thatſache galt.
„Der Pfarrer kam eines Tages allen Ernſtes mit dem
Vorſchlage heraus, ob ich nicht dauernd als Doktor hier
bleiben könne. Freilich wäre der Zulauf zu mir jetzt ſo
groß, da ich keine Bezahlung nähme, und die Bauern ſich
ſchnell genug ſo etwas zu nutze machten, aber ein beſchei-
denes Auskommen würde mir, auch wenn ſie zahlen müßten,
nicht fehlen, umſomehr, da das Leben ſehr wohlfeil wäre.
Man hätte ſchon oft hier die Niederlaſſung eines Arztes
gewünſcht, da die nächſte Stadt ſehr weit und der dortige
Arzt ſtark beſchäftigt ſei. Graf Rauhenſtein wünſche es
dringend. Einſpruch der Behörden brauche ich nicht zu
befürchten, er kenne die Herren und ich ſollte ihn vorkom-
menden Falls nur machen laſſen. ö
„Der Vorſchlag wäre ſchwerlich für irgend einen an-
dern verlockend geweſen, mir aber kam er wie gerufen,
und ich mußte mich nur zuſammennehmen, nicht allzubereit-
willig darauf einzugehen. Er räumte mit einemmale alle
Hinderniſſe hinweg, die ſich meinem Bleiben hier in den
Weg geſtellt hätten, wenn ich es ohne dieſe Aufforderung
einzuleiten verſucht hätte“ Elſa, die ein paar Tage in Ge-
ſchäften verreiſt war, erfuhr es erſt, nachdem mein Ent-
ſchluß eine vollendete Thatſache war, und ich meine Stelle

in K. angeblich wegen Geſundheitsrückſichten niedergelegt

hatte. Ich wußte lange Zeit nicht, wie ſie darüber dachte,
denn außer ein paar freundlichen Redensarten, die wir in
Gegenwart ihres Mannes und des Pfarrers wechſelten,
ſprach ich ſie nicht ullein. Der Graf wie der Pfarrer
waren beide zufrieden, einen ärztlichen Berather und, was
ihnen beinahe ebenſoviel werth war, einen

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T*ehmer

ihrer Whiſtpartie beſtändig bei der Hand zu haben, und
unterſuchten nicht die Gründe, die mich zu dem Entſchluß
bewogen haben mochten.
„Ich ſelbſt hielt es für keine definitive Entſcheidung,
nur für ein Mittel Zeit zu gewinnen. Ich meinte, es ſei
unmöglich, daß eine Frau ſich lebenslang der Idee einer
Pflichterfüllung opfern kann, wenn ihr die Möglichkeit des
Glücks um den Preis einer Pflichtverletzung geboten wird.
„Für einen definitiven Entſchluß hatte es auch Elſa
nicht gehalten, wenn auch in anderm Sinne, als ich es
meinte. Und doch iſt es dabei geblieben, wie du ſiehſt.
— — Ob ich es nie bereut habe? Eine ſchwer zu be—⸗
antwortende Frage — und die ich doch wohl mit gutem
Gewiſſen verneinen kann, denn ich würde es genau ebenſo
machen, hätte ich die letzten zehn Jahre noch einmal zu
leben. Das ſchließt aber nicht aus, daß ich Zeiten ſchwerer
Kämpfe zu beſtehen gehabt habe, bis ich mich mit dem be-
gnügen gelernt, was ſie mir nach ihrer Ueberzeugung allein
gewähren durfte.“
„Du wirſt ihn ja ſehen; er iſt hilflos und kindiſch ge-
worden, aber er kann in dieſem Zuſtande uns alle über-
leben; es iſt keine Hoffnung, daß ſein Tod ſie frei macht
— du ſiehſt, ich hänge als unverbeſſerlicher Träumer noch
immer an dieſer einen fixen Idee. Ich glaube, die Frauen
empfinden darin anders, und ſie würde jetzt nicht mehr
eine Aenderung des Zuſtandes wünſchen. Was ſie im
übrigen in dieſen Jahren geleiſtet hat, iſt bewunderns-
würdig. Die Herrſchaft über den willenloſen Mann hat
ſie benutzt, durch große perſönliche Einſchränkungen und
zweckmäßige Verpachtung allmälig Ordnung in die ver-
wirrten Verhältniſſe zu bringen und ihren Kindern nicht
nur einen fleckenloſen Namen, ſondern auch ein bedeutendes
Vermögen zu ſichern. In dem Grafen ſehen die Leute
nur noch einen bemitleidenswerthen Kranken; was er früher
geweſen, hat ſich in der Erinnerung ſchon verwiſcht, und
in ſo weit hat ſie den Zweck ihres Lebens erreicht, ihre
Kindern ein geachtetes Familienleben zu erhalten.“ ö
„Auf deine Koſten, mein armer Freund,“ dachte ich,
nachdem er mich verlaſſen; ich konnte mich eines gewiſſen
Mitgefühls gegen die Frau nicht erwehren, welche die Ur-
ſache geweſen war, daß ſein Leben dieſe Wendung genom-
men hatte. Er war nach der herkömmlichen Anſicht für
einen großen bedeutenden Wirkungskreis angelegt geweſen,
mußte ich ſein Leben nicht verfehlt nennen, weil er frei-
willig einen kleinen gewählt, aus Liebe zu einer Frau, die
ihm gleichwohl kein Opfer bringen wollte? Wäre es aber
wirklich beglückend für ihn geweſen, wenn ſie ſeinem
Drängen nachgegeben hätte und mit ihm nach Amerika ge-
gangen wäre, Mann und Kinder ihrem Schickſale über-
laſſend? Oder wenn ſie die Kinder mit ſich genommen
hätte, die dadurch eine immerwährende Mahnung an die
Vergangenheit geworden wären, und denen ſie mit dem
Vater auch die angeſtammte Heimath genommen hätte?
Würde dieſe Frau überhaupt im Stande geweſen ſein, eine
ein ganzes Leben erfüllende Neigung einzuflößen, wenn ſie

ſelbſt nicht eine außergewöhnliche Natur und ungewöhnlicher

Opfer fähig geweſen wäre?
 
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