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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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hkeidelberger Familirublätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 19.

Samstag, den 6. März

1886.

Eitik.
Novelle von Hertha von Polenz.
Nachdruck verboten. Geſetz v. 11. Juni 1870.

Eirik iſt nicht im Hauſe, Bard?“ x
„Nein. Er ging vor Stunden hinauf in den Wald
und kehrte nicht wieder,“ gab der alte Diener langſam zur
Antwort. ö
„Nun?“ fragte Hanna, der ſein Zögern auffiel, „Ihr
wolltet noch etwas ſagen, Bard. Sprecht nur.“
„Frau,“ ſagte der alte Mann,
von Eirik reden — 's iſt was nicht recht mit ihm — ich
glaube, er wird uns krank.“ ö
„Meint Ihr, Bard?“ und dabei flog ein feines Roth
über die bleichen Schläfe und Wangen und die ſchmale
Stirn, auf der die Wittwenſchnebbe thronte.
„Wißt Ihr noch,“ nahm der Alte auf, „wie er im
vorigen Herbſt pfeifend und ſingend in Haus und Feld
herumging? Wie er uns allen das ſchwere Herz froh und
leicht machte? — Was thut er jetzt? Er mag nicht reiten,
fiſchen noch jagen. Dafür ſitzt er ſtundenlang unten bei
der Mühle auf den großen Steinblöcken und fährt erſchrocken
auf, wenn ihn einer bei Namen ruft. — Er iſt wie aus-
gewechſelt, ſtill und blaß.“
Hanna ſchaute ſchweigend zum Fenſter hinaus. „Er
hat ſich des Vaters Tod ſchwerer zu Herzen genommen,
als wir ahnten, Bard,“ ſagte ſie dann mit einem Tone,
der überzeugend klingen ſollte.
„Mag ſein,“ erwiderte Bard kopfſchüttelnd — „aber
es fehlt ihm ſonſt noch was.“ ö
„Darauf ſchwiegen beide wieder eine Weile.
„Bard,“ ſagte Hanna endlich, „ich weiß, was ihm
fehlt: Der Umgang mit Freunden und Altersgenoſſen, das
heiter anregende Studentenleben der letzten Jahre. Hier iſt
es auch gar zu ſtill und einſam für ſolch ein junges,
thatenluſtiges Blut. — Wir ſind ſchlechte Geſellſchaft, Bard,
Ihr und ich — zu ernſt und alt.“ *
„Ihr mögt recht haben, Frau.“
„Sicher, Bard; und nun ſollt Ihr auch den Plan er-
fahren, mit dem ich mich ſchon geraume Zeit trage: Wir
dürfen Eirik nicht länger hier in unſerer menſchenleeren
Einſamkeit behalten — er muß reiſen, Bard.“ ö
Der alte Mann ſah ſeine Herrin groß und erſchrocken an.
„Er ſoll das kalte einſame Norge für einige Monate
verlaſſen, meine Verwandten im lieben deutſchen Heimath-
land aufſuchen,“ fuhr Hanna fort. „Schon habe ich das
Nöthige eingeleitet. Der Brief hier enthält die Antwort
meiner fernen Lieben, die ihn mit tauſend Freuden auf-

nehmen und behalten wollen, ſolange er ſelber bleiben mag.

Dort wird er an Leib und Seel' geſunden, — man iſt

ſehr heiter und glücklich in Deutſchland,“ fügte ſie leiſer

hinzu. —
„Es handelt ſich nur um ſeine eigne Einwilligung,
und die hoffe ich heute von ihm noch zu erlangen.
mir ſo bald als möglich abreiſen, Bard.“
Kopfſchüttelnd verließ der Alte das Zimmer.

„da wir nun einmal

Er ſoll

Im ſelben Augenblick ſchallten ſchwere langſame Männer-
tritte den Flur entlang. Hanna hatte ſich wieder zum
Fenſter gewandt. „Ganz des Vaters Gang,“ murmelte ſie.
Die Schritte kamen immer näher. Vor ihrer Thüre
wurden ſie langſam und unſicher, wie bei einem, der wohl
eintreten möchte — nur einen Augenblick, dann tönten ſie
ſchon am unteren Ende des Flures, wo die Stiege zu
Eiriks Zimmer hinaufführte.
Hanna lauſchte den Schritten, wie Mütter zu thun
pflegen. Doch war der Vorübergehende nicht ihr eigen-
geborener Sohn, ſondern das Kind ihres verſtorbenen
Gatten aus erſter Ehe, kaum drei Jahre jünger als ſie.
Thord, Eiriks Vater, hatte auf ſeinen Reiſen in jungen
Jahren eine Italienerin kennen gelernt und gegen den
Wunſch der beiderſeitigen Verwandten geheirathet. Sie

folgte ihm in den kalten Norden, wo ſie zwei Jahre lang

unſäglich glücklich mit einander waren. Dann mußte ſie
bei Eiriks Geburt ſterben. Thords Kummer ſchien grenzen-
los. Er lebte an zwanzig Jahre wie ein Einſiedler, ſprach
ſelten und lachte nie. Der Anblick des Kindes, das ſeiner
Marucina das Leben gekoſtet, war ihm unerträglich. Man
mußte es ihm aus den Augen ſchaffen. In einem Seiten-
flügel des großen Hauſes ließen der alte Bard und Igard,
ſeine Gattin, dem Knaben die erſte Pflege angedeihen.
Frühzeitig kam Eirik außer Haus auf eine Schule, wo er
fleißig lernte und zu einem großen ſchönen Jüngling
heranwuchs. ö
Nach einer Reihe einſamer Jahre erwachte eines Tages
plötzlich die alte Reiſeluſt in Thords Bruſt. Er fuhr auf
und davon durch Schweden und Dänemark nach Deutſch-
land. Von da aus wollte er Florenz, Marncinas Heimath-
ſtadt, aufſuchen. Aber er kam nicht ſo weit.
Ein Zufall machte ihn mit Hanna bekannt, die ihm
nach kurzem Zögern — Thord war damals ein Mann von
achtundvierzig Jahren, Hanna zweiundzwanzigjährig — ihre
Hand reichte.
Wieder brachte er ein junges fremdes Weib in ſeine
einſame nordiſche Heimath und verlebte mit ihr drei ruhige
glückliche Jahre. Darauf fand man ihn eines Morgens
todt im Bett. ‚
Eirik, der durch Hanna vom Hinſcheiden des Vaters
benachrichtigt wurde, eilte herzu. Seit achtzehn Jahren

zum erſtenmal, daß ſein Fuß die väterliche Schwelle betrat.

Im Flur ſtand die Leiche aufgebahrt, mit Farnwedeln und
Tannenreis geſchmückt, ringsum Lichter geſteckt. Langſam

trat er herzu, nahm Abſchied von dem Vater, den er kaum

gekannt. Thränenlos blieb ſein Auge, ſeitwärts zu Boden
gerichtet, ungerührt ſeine Bruſt. Er fühlte nur, daß er
nun gänzlich verwaiſt und vereinſamt ſei.
Als er wieder aufſah, erblickte er neben ſich die junge
Stiefmutter — zum erſtenmale. Ohne ſie noch zu kennen,
hatte er einen Widerwillen gegen ſie gefaßt. Jetzt, da er
ſie weinen ſah, ſchmolz ſein Herz. Er weinte mit ihr und
nahm ſich vor, ihr ein guter Sohn zu ſein.
Nach dem Begräbniß, als alle Leidtragende und Freunde
hinaus und fortgegangen waren, ſaßen Mutter und Sohn
ſtumm bei einander in der Stube.
 
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