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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 18 - Nr. 26 (3. März - 31. März)
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kidelberger Familienblütter.

Belletriſtiſche Weilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 26.

Mittwoch, den 31. März

1886.

Eitik.
Novelle von Hertha von Polenz.
(Schluß.)

Dampfer gehen allwöchentlich von Arendal nach Eng-
land. Dort ſchiffte ſich Eirik ein und gelangte in wenig
Tagen nach Hull.
Kohlendunſt und dichter Nebel lagerten über See und
Land, langſam und zögernd lief die Seeſchwalbe in den
afen. ö ö
5 faann gelandet, erkundigte ſich Eirik nach Kapitän
William Roberts' Wohnung. Man bezeichnete ihm eine
kleine Villa am Strande. Das Mädchen, das er auf gut
Glück fragte, ſchien den Kapitän und ſeine Familie näher
zu kennen.
„Ihr ſeid wohl der Bruder der Dame, Sir?“ fragte
ſie neugierig. „Eine liebe Dame, eine hübſche Dame. —
Ich bin mit der Köchin befreundet und erlebte es gerade,
als Mr. Roberts neulich von ſeiner langen Reiſe heimkam.
Der hatte das Kind noch gar nicht geſehen, das während
ſeiner Abweſenheit geboren wurde. O Sir, ein herziges
Baby, ſo rund und fein, Sir. — Es hätte der guten Lady
beinahe das Leben gekoſtet! ö
„Aber Mrs. Roberts iſt nicht geſtorben, bewahre nein!
Obgleich ihr ſchon viele viele Wochen vor dem Ereigniß
der Schweiß auf die Stirne trat, wenn ſie mich in der
Küche traf, und ich ihr eine rechte gute Stunde wünſchte. —

„Nun, Kapitän Roberts hat nun die Freude von alle-

dem geſehen, denn als er heimkam, war das Kleine ſchon
zwei Monate alt und die gute Lady trug es ihm im
Triumph entgegen. Sie war wohl noch recht ſchwach, aber
ſie konnte doch ſchon wieder gehen und ſah ſo glücklich aus,
o Sir — ſo glücklich! ö
„Aber hier geht mein Weg ab. Verzeiht mein Ge-
ſchwätz, Sir — dort um die Ecke, das gelbe Haus, das
iſt's, Sir — —“ ö
„Seltſamer Gentleman der,“ ſagte das Mädchen im
Weitergehen, „ſo blaß und ſchweigſam und o ſo groß!
Größer wie James! — Ob es wohl der Bruder der
Lady iſt? — “
Eirik ſtand vor dem Hauſe. Ein kleiner Garten lief
rings herum, alle Beete waren mit Muſcheln und Auſtern-
ſchalen eingezäunt, dazwiſchen lagen Seeſterne. Ueber der
Thür hing ein hölzernes Schifflein und darunter ein See-
teufel, der den Wind anzeigt. Eine ächte Seemanns-
wohnung.
Auf der rechten Seite befand ſich eine Veranda, dicht
mit Virginienblättern überwachſen. Dort ſaß eine Frau
und ſtrickte, zu ihren Füßen ſtand ein Korb und darinnen
zappelten kleine Hände und Füße.
„Schlaf doch, Liebling!“ rief ſie mehreremals halb
ſingend vor ſich hin. Als das aber nichts fruchten wollte,
fing ſie wirklich zu ſingen an: ö
„Schlaf, Herzensſöhnchen, mein Liebling biſt du,
Schiehe ne kiauen Euckingelein zu!“ b
Wie's deutſcher Mütter Weiſe iſt.

So ging's fort, viele Lieder, die Eirik im vorigen Jahr
von Doris und Lisbeth gehört.
Eirik hatte ſich an eine mächtige Kaſtanie gelehnt. Die
Ereigniſſe und Schmerzen der letzten Jahre zogen wie ein
Traum an ſeiner Seele vorüber.
Er ſchloß die Augen. Ihm war zu Muthe, als ſei er
ſelber das kleine Kind in der Wiege, und Hanna, ſeine
Mutter, ſänge ihn ſchmeichelnd zur Ruhe!
Plötzlich ſtand Hanna auf und ging in's Haus. In
der Thür wandte ſie ſich noch einmal um. Sie meinte ein
leiſes Seufzen gehört zu haben. ö
„Biſt du's, mein Liebling, mein Kind, mein Eirik?“
ſagte ſie. „Willſt du denn heute gar nicht einſchlafen,
kleiner Böſewicht?“ ö
Der am Baume ſah ihr ſtarr in's Geſicht. Sie war
voller und ſchöner geworden. Das Roth zufriedener Ge-
ſundheit lag auf ihren ehemals ſo bleichen Wangen. Alle
Falten waren verſchwunden, ſogar die Silberfäden im blon-
den Haar verbarg der matte Zwielichtsſchimmer.
Jetzt fuhr ſie mit der Hand über's Geſicht. „Was iſt
denn heute? Nun meine ich wieder, es habe mich Jemand
bei Namen gerufen — vielleicht William. Ich komme
ſchon!“ Und damit verſchwand ſie im Hauſe.
Ein Anderer trat an ihre Stelle. „Cirik,“ flüſterte
er und ſank an der Wiege nieder.
Die Rieſengeſtalt beugte ſich über das kleine hilfloſe
Weſen. „ECirik,“ wiederholte er leiſe, „Eirik?“ als ob er
dieſen Namen eben zum erſten Mal gehört.
„Vater,“ ſagte er dann leiſe und faltete die Hände,
„gib dieſem kleinen, was du dem großen Eirik verſagt —
mache ihn glücklich, unausſprechlich glücklich!“
Zärtlich küßte er des Kindes Stirn. Das ſchlug die
blauen Augen erſchrocken auf — Hannas Augen — ſchließ-
lich lachte es und wollte weiter ſchlafen.
Eirik zog einen Ring vom Finger und legte ihn in die
Wiege. Es war Marucinas Brautring geweſen und er
hatte ihn niemals von ſich gelaſſen. ö
Dann ſtand er auf und ſtreckte beide Hände wie ſeg-
nend gegen das Haus aus. „Behüt dich Gott,“ ſagte er
leiſe und ging.
Wenige Sekunden ſpäter trat Hanna aus dem Hauſe.
Ein großer Mann bog eben um die Straßenecke in's Innere
der Stadt. Sie ſah ihm ſtaunend nach.
„Ich kannte nur einen, der ſo groß war,“ ſagte ſie
halb in Gedanken. „Aber Thorheit, es mag noch viele
andere geben.“ — ö ö
Dennoch folgte ihm ihr Blick, bis er im Grau der
Häuſer und Menſchen verſchwunden war. ö
Dann trat ſie ſinnend an Eiriks Wiege.
Etwas Goldenes funkelte auf des Kindes Bruſt. Sie
nahm es haſtig auf — Marucinas Ring.
„Alſo doch Eirik!“ murmelte ſie und bedeckte das Ge-
ſicht mit beiden Händen. —
*
Im hohen Norden wohnt ein einſamer Mann in einem
großen Hauſe, dunkle Föhren wachſen ringsherum.
Der Mann hat ſchlohweißes Haar und iſt rieſengroß,
 
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