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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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Heidelberger kanilienblätter.

Belletriſtiſhe Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 100.

Mittwoch, den 15. December

1886.

Ein Opferlamm.
Novellette von A. W. Gellrich.

Nachdruck verbeten. Geſetz v. 11. Juni 1870.

„Guten Tag, Kamerad! Ein dienſtliches Geſchäft führt
mich gerade in die Nähe und da wollte ich ſehen, ob Du
zu Hauſe. ö
„Weißt Du, weßhalb ich komme? Lediglich, um Dir

noch einmal, und diesmal aus voller Ueberzeugung zu Dei-

ner Verlobung zu gratuliren! Deine Braut iſt wirklich
ein herrliches Mädchen. Geſtern Abend bei Regierungs-
raths hatte ich zum erſtenmal Gelegenheit, länger mit ihr
zuſammen zu ſein. Uebrigens waren alle entzückt von ihr,
ſogar die alten Weiber in der Geſellſchaft.“
„Das frent mich, freut mich außerordentlich, mein
Junge, daß Du dieſe Entdeckung gemacht haſt, ein reines
Glück, wie ich an Deiner Begeiſterung ſehe, daß ich ſie
etwas früher machte, als Du, ſonſt wären wir wohl heut
in der umgekehrten Lage. — Aber vor allem, willſt Du
nicht einen Augenblick Platz nehmen und eine Cigarre an-
ſtecken?“
Damit nöthigte der alſo Beglückwünſchte, Herr von
Zeidlitz, ſeinen früheren Waffengefährten, den Hauptmann
von Schenke, in die Ecke der Chaiſelongue, die ſeiner ele-
ganten Junggeſellenwohnung einen beſonders traulichen
Charakter gab, und bot ihm eine Cigarre, nachdem er ihm
und ſich ein Gläschen guten, alten Weines, wie er ihn im-
mer zu Hauſe führte, eingeſchenkt hatte.
Dann ſetzte er ſich bequem in den Schaukelſtuhl, blies
eine lichte Rauchwolke anf und begann: „Ja, was ich vor-
hin ſagen wollte, es freut mich nicht bloß, daß Dir, lieber
Freund, mit Deinem klugen Urtheile, meine Braut gefällt,
mehr noch freut mich die Thatſache, daß ſie Dein ruhiges
Weſen hinreichend entflammen konnte, um Dich die zwei
Treppen zu mir hinaufzutreiben. Das bürgt mir dafür,
daß Dein Lob meines Fränzchens über die gewöhnliche
Redensartenmacherei hinausgeht.“ ö
„Letztere iſt zwar meine Sache ſonſt nicht,“ ſagte der
Hauptmann, „aber Du haſt recht! Wäre Deine Braut
nichts weiter, als das erſte, beſte Gänſeblümchen, man
würde ja aus bloßer Rückſicht auch nichts anderes ſagen
können, als: „ſie gefällt mir recht gut!“ Warum ſollte
einem auch ein leidlich hübſches junges Mädchen mißfallen?
Bei Deiner Braut iſt das was andres. Wegen jeder wäre

ich ja auch wirklich um dieſe Stunde nicht zu Dir hinauf-

geſtolpert, bloß um Dir zu ſagen, daß Du einen glück-
lichen Griff gethan haſt. Erſt kürzlich wieder war ich
Zeuge einer maßlos unglücklichen Wahl, die ein Bekannter
traf. Das ſah ich ſchon öfter mit an, und deßhalb freut
mich Deine Wahl doppelt, lieber Freund.“
Der junge Bräutigam ſah, mit dem Ausdruck ſtolzer
Genugthuung in ſeinen Schankelſtuhl gelehnt, nach der
Decke und ſagte: „Wie kommt es eigentlich, daß Du nicht
heiratheſt?“ ö
„Sehr einfach, Theuerſter! Ich habe von Hauſe aus
kein Vermögen wie Du; eine Arme kann ich nicht heirathen
und ein Heirathsjäger mag ich noch weniger ſein. Ein

Mädchen aber, das ich nicht wegen, ſondern trotz ſeines
Vermögens hätte heirathen wollen, fand ich nicht. Dn haſt
auch darin augenſcheinlich mehr Glück gehabt.“
Der Andere nickte; dennoch zog es dabei wie ein leich-
ter Schatten über ſein hübſches Geſicht. Der Hauptmann

bemerkte es jedoch nicht.

Als dieſer ſich kurz darauf verabſchiedet halte — ſeine
Pflicht rief ihn — ging Herr von Zeidlitz mit langen
Schritten in ſeinem Jnnggeſellengemach auf und ab. Seine
Miene war nicht mehr ſo heiter und glückſtrahlend, als ſie
bei den Beglückwünſchungen ſeines früheren Kameraden ge-
weſen. „Du haſt auch darin mehr Glück gehabt“,
wiederholte er vor ſich hin die Worte des Hauptmanns.
„Das ſagt er, das ſagt alle Welt, alſo wird es doch wohl
wahr ſein. Was mache ich mir da noch Sorge darum.“
Er ſtrich nachdenklich ſeinen Schnurrbart und ſetzte ſeinen
Marſch fort. ö
„Aber freilich, alle Welt iſt auch überzeugt, daß ich
reich ſei. Selbſt der Hauptmann hat es ſoeben geſagt.
Keiner hat eben eine Ahnung von der vertrakten Lage, in
der ſich meine Verhältniſſe befinden. Weiß ſelber nicht
mehr recht, wo ich eigentlich ſtehe; zum beſten nicht!
„Reich! Ja ich könnte es allenfalls ſein, wenn ich hübſch
zuſammen gehalten hätte, wie ein Krämer, der ein Haus
kaufen will, und wenn ich mich auf's Erwerben, auf Plus-—
macherei verſtände, wie heutzutage uͤblich.
„Aber kann man ſein Leben zweimal leben? Eins

braucht man allein, um zu erwerben, wo bleibt das andere,

um es zu genießen? Beides zu vereinigen, geht nicht.“
Er ſchenkte ſich noch ein Glas Wein ein und ſtürzte es
hinunter.
„Die Vorſehnng hat das eingeſehen und die Einrich-
tung getroffen — in den meiſten Familien wenigſtens —,
daß immer eine Generation, welche erwirbt, mit einer ab-
wechſelt, welche genießt. Will man alſo gern zu der letzten
zählen, zu den Genießenden, ſo muß man folglich darauf
achten, daß man auf eine Generation von Erwerbern folgt.
„Nun,“ nahm er ſein Selbſtgeſpräch wieder auf,
„Fränzchens verſtorbener Vater ſcheint ja allerdings in dem
Rufe geſtanden zu haben, zu den Erwerbern und Zuſam-
menträgern zu zählen. Sicher iſt wenigſtens, daß er ein
ſehr ſolider Herr war, der für ſich nichts verbrauchte.
„Meine ganze Hochachtung nachträglich dafür, theurer,‚,
verſtorbener Schwiegerpapa!“ Er hob ſein Glas, wie wenn
er ihm zutränke. „Sieheſt Du, ich, Dein Schwiegerſohn
in spe, bin ſonſt ein ganz guter Kerl, habe aber über die
Maßen Luſt, mit Deinem lieben Töchterchen zuſammen das
Leben ſo recht toll und voll zu genießen! Du begreifeſt
alſo, daß wir unmöglich die Zeit haben, uns dafür erſt
auf das Zuſammenſcharren der nöthigen Batzen zu verlegen
und haſt hoffentlich den Fall vorausgeſehen und eine recht
ſtattliche Menge davon für uns zuſammengebracht!
„Was, ſchon ſo ſpät?“ — Er ſchaute nach der Uhr —
„da muß ich ja ſchnell Toilette machen.“ —
„Mit dieſer Erwägung unterbrach Herr von Zeidlitz
ſein philoſophiſches Selbſtgeſpräch, das ihn zuletzt wieder

ganz heiter gemacht hatte, ſo daß er der leichten, fröhlichen
 
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