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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0402

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Stimmung, die ihn gewöhnlich auszeichnete, durch das

Trällern eines luſtigen Liedchens Ausdruck gab.

Nur noch einmal kehrten die leiſen Befürchtungen, die

ihn heimlich beſchäftigten, zurück. Denn als er ſich die
Kravatte umband, murmelte er vor ſich hin: „Es iſt doch ein
eignes Volk, dieſe überfeinen, alten Weiber! Warum kann
ſie ſich denn nun nicht hübſch in benannten Zahlen aus-
drücken, Fränzchens Alte? Macht ſie mir da, wie wir uns
verloben, ſo allgemeine Redensarten, ich ſollte in materieller
Hinſicht nur ja nicht zu viel erwarten und dergleichen.

Das kann wörtlich gemeint ſein, kann aber auch ebenſo gut

heißen: „Lieber Sohn, Fränzchen bekommt eine kleine halbe
Million' mit; ich ſage Dir aber noch nichts, denn das ſoll
auf Dich keinen Einfluß üben. Verdammte Anſtandsreiterei!
Und ich bin eben ſolcher Kerl, der ſich nicht in Klarheit
zu ſetzen weiß! Nie, nirgends, an keiner Stelle!“ Er
ſtieß es faſt haſtig heraus. „Und dabei verlobe ich mich,
mir nichts, Dir nichts, bin es nun ſchon ſeit ſechs Wochen,
krebſe in Ungewißheit herum, werde in Kurzem heirathen
und wo möglich auch da noch es ſo weiter treiben.
„Aber nein, ſo wörtlich gemeint haben kann es die
Geheimräthin doch kaum mit ihrem jich ſolle ja nicht ſo
viel erwarten!‘ nein, das kann nicht ſein; ich glaube es

ſelbſt nicht“ bekräftigte er ſeine Zuverſicht nach einer Pauſe

und ſeine vorherige Sorgloſigkeit kehrte auf ſein angenehmes
glattes Geſicht zurück.
Zugleich war ſeine Toilette beendet und er begab ſich
mit liebebeflügelten Schritten nach der Behauſung ſeiner
Braut, wo er zum Mittagbrod erwartet wurde.
Seine Verlobte empfing ihn mit jubelnder Zärtlichkeit,

wie ſie es immer that, in einer Weiſe, die jeden Zweifel

darüber ausſchloß, daß er der Inhalt und Inbegriff ihres
ganzen Lebens und Webens war. Faſt ſchien es ſogar,
als ob die größere Zärtlichkeit auf ihrer Seite ſei und er
nur mehr ihre Liebkoſungen als das natürliche Produkt
des Eindrucks, den ſeine vorzügliche Perſon hervorbrachte,
entgegennähme. Das fiel um ſo mehr anf, als Fränzchen
mit ihrem tiefen, ſinnigen Augenausdruck, mit ihrer kräftig
entwickelten Stirn — die für ein Mädchenantlitz ſtörend
geweſen wäre, hätte ihr nicht ein gewiſſer, kindlich-lieblicher
Zug um den Mund und die unangekränkelte Friſche der
Geſichtsfarbe die Wage gehalten — wenn ſie neben ihrem
Verlobten ſtand, den Eindruck der größeren Bedeutung, ja
faſt der geiſtigen Ueberlegenheit machte. Sein feingeſchnit-
tenes Geſicht mit dem zierlichen Offiziersſchnurrbart machte
wohl einen intelligenten Eindruck der männlichen Kraft und
Energie.
Dieſem Ausdruck des Geſichts, der ganzen Geſtalt Fe⸗—
dors von Zeidlitz war auch das innere Weſen deſſelben
entſprechend. Eine gutartige, wohlbefähigte Natur von
nobler Denkungsart, aber mit Eitelkeit und Selbſtliebe
ſtark verſetzt, ſo daß ſie mit ihrem lieben Ich, als einem
ſelbſtverſtändlich bevorzugten, einen zärtlichen Kultus trieb
und darüber zu männlicher Kraft und Entſchiedenheit des
Charakters nicht gelangen konnte. ö
Fedor liebte Fränzchen wirklich und ehrlich; dennoch
that die zärtliche Schwärmerei, zu deren Gegenſtand ſie ihn

machte, ſeinem lieben Ich viel zu wohl, als daß er ſich

nicht hätte mit Freuden ein wenig anbeten laſſen. Das
gab ihrem Liebesverkehr jenen Anſtrich von einſeitiger Zärt-
lichkeit der Braut, der die alte Geheimräthin ſchon oft be-
ſorgt gemacht hatte. Doch gab es auch wieder Momente
für Fränzchen, wo die wirkliche Neigung ihres Verlobten
zu ihr ihre egoiſtiſche Verſchalung durchbrach, und dieſe
Momente genügten ihr, ſo ſelten ſie auch waren.
ö Auch heute wieder hatte die Liebe und Liebenswürdig-
keit Fränzchens ihren Verlobten ſo vollſtändig gefangen
genommen, daß er ganz und gar nur glücklicher Bräutigam
war und darüber alle die heimlichen Beſorgniſſe und nach-

denklichen Selbſtgeſpräche des Vormittags vergaß. Seine
leichtlebige Natur ergriff ja ohnehin ſchon jede Gelegenheit
nur zu gern, ſich des Sorgens und Bedenkens zu ent-
ſchlagen. ö
In dieſer Stimmung war er denn, wie ſeine Braut
ſelbſt, ganz Freude und Glück, als die Geheimräthin Ge-
legenheit nahm, ihre Zuſtimmung zu einem baldigen Ver-
heirathen endlich zu geben. Was waren ihm in dieſem
Augenblick die ſchwarzſeheriſchen Anwandlungen eines zu-
künftigen Hausherrn und Familienvaters — er ſollte mit
ſeinem geliebten Fränzchen vereinigt werden — dieſe ſelige
Vorausſicht ließ alle Liebenswürdigkeit ſeines Weſens her-
vorquellen, ſo daß daneben nicht der kleinſte ſorgende Ge-
danke mehr Platz hatte. Und ſo wurde denn der Hoch-
zeitstag auf die nächſte Zeit angeſetzt.
* *
Der Abend war recht luſtig geweſen; einige Beſucher
waren gekommen, und da hatte man doch die Feſtſetzung
des Hochzeitstages ein klein wenig feiern wollen. So kam
Fedor von Zeidlitz denn ziemlich ſpät Abends in aufge-
räumteſter Stimmung nach Hauſe und legte ſich ſchlafen,
ohne auch nur daran zu denken, daß ſein Geſchick nun in
ſo kurzer Zeit einen lebhaften Wandel erfahren werde,
ohne daß er ſich bisher über die, dabei doch gewiß nicht
unwichtigen, äußern Begleitumſtände mit ſich ſelbſt in's
Klare geſetzt hätte. ö
Seine erwartungsfrohe Stimmung hielt auch am nächſten
Tage aus. Seine Liebe für Fränzchen, die ſich wieder
lebhaft Bahn gebrochen, beſiegte eben alles andere.
So beeilte er ſich denn am frühen Nächmittag, ſeine
Freiersfüße wiederum Fränzchens Behauſung zuzuwenden.
Wider Erwarten traf er dieſe nicht an; doch verſicherte
ihm ſeine Schwiegermama in spe, die ihn auf's freund-
lichſte begrüßte, ſie werde bald zurück ſein. ö
In leichtem Geplauder nahm er mit der alten Dame
den Kaffee ein. Dann nahm dieſe ihm gegenüber Platz,
ſah ihm mit ihren tiefernſten Augen eine Weile in's Ge-
ſicht und begann plötzlich:
„Mein lieber Sohn, ich habe mich Ihnen gegenüber
bisher einer ſchweren Unterlaſſungsſünde ſchuldig gemacht,
die ich mir kaum verzeihen würde, hätten Sie ſelbſt mich
nicht zu ihrer Begehung faſt gezwungen. Jetzt, wo Ihre
Vermählung mit meiner Tochter ſo nahe hevorſteht, dürfen
Sie nicht länger hindern, daß ich den Gegenſtand be-
rühre.“ — — —
Fedor rückte unruhig und geſpannt auf ſeinem Seſſel;
er wußte ſehr genau, was kommen würde, ſagte jedoch:
„Aber liebe Mama, ich verſtehe nicht ganz““ — — —
„Als Sie um Franziskas Hand anhielten,“ fuhr die
Geheimräthin unbeirrt fort, „wollte ich Ihnen meine, das
heißt Franziskas materielle Lage darlegen, wie es meine
Pflicht war. In Ihrer Verlobungsſtimmung ſchnitten Sie
mir jedoch das Wort ab mit der Erklärung, das ſchiene
Ihnen in ſolchem Moment zu hören und zu beſprechen un-
möglich; ich möchte Sie um alles in der Welt damit ver-

ſchonen.“

(Fortſetzung folgt.)

O Muſikbrief aus der Reſdenz.
III. ö
Die letzten Wochen ſind beſonders reich an Concerten
geweſen. Unter ihnen zeichneten ſich aus, ſowohl bezüglich
ihrer intereſſanten Programms, als auch durch vorzügliche
Ausführung derſelben: die zwei erſten Abonnementsconcerte
des Großh. Hoforcheſters und das Concert des Violin-
virtuoſen Pablo de Saraſate. Das erſte dieſer Concerte
 
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