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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 96 - Nr. 104 (1. Dezember - 29. Dezember)
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https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0403

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— 399 —

war nach zwei Seiten hin intereſſant. Einmal durch die
Vorführung von J. Brahms neueſter Symphonie RNr. 4
E-molh, die in Karlsruhe zu hören bislang noch keine
Gelegenheit war, und dann durch das Auftreten des Großh.
Weimar'ſchen Concertmeiſters Karl Halir (früher in Mann-
heim), in welchem wir einen ausgezeichneten Geiger kennen
lernten. Herr Halir vereinigt die Kraft und die Gediegen-
heit der deutſchen Schule mit der Eleganz und Leichtigkeit
der franzöſiſchen. Der Ton, den er aus ſeinem Inſtru-
mente zieht, iſt groß, rund und edel. Niemals iſt eine
Härte zu bemerken, auch im ſtärkſten Fortiſſimo nicht. Die
Paſſagen fließen ſo leicht und perlend dahin, daß jeder
Gedanke an die Schwierigkeit ſchwindet. Dabei iſt die
Intonation, auch bei den mühevollſten chromatiſchen Doppel-
griffläufen ſtets ſicher und rein. Herr Halir ſpielte zuerſt
das Violinconcert von Tſchaikowsky und zwar in einer
Weiſe, daß man die Bizzarrien der Compoſition vergaß
und nur die Schönheiten derſelben empfand.
darauffolgenden ſtimmungsvollen Romanze des norwegiſchen
Tonſetzers Svendſen entfaltete der Künſtler die ganze Süße
und Innigkeit ſeines cantablen Spiels, während er in dem
Elfentanz von Popper, urſprünglich für Violincello geſchrie-
ben und vom Vortragenden für die Violine arrangirt, das
Wehen und Weben der luftigen Geiſter mit bezaubernder
Wahrheit zum Ausdruck brachte.
lohnte den Künſtler für ſeine herrlichen Leiſtungen. Nur
geringer Beifall wurde dagegen Brahms Symphonie zu
Theil. Obwohl das Werk ſofort den Eindruck des Bedeu-
tenden, Nichtgewöhnlichen macht, ſo iſt es doch zu eigen-
artig und muſikaliſch zu complizirt, als daß einmaliges
Hören genügt, um es böllig verſtehen und genießen zu
können. Merkwürdig ſind auch die geradezu ſich entgegen-
ſtehenden Auslaſſungen der verſchiedenſeitigen Kritik über
die Symphonie, welche beweiſen, daß auch ſie ſich mit dem
Werk nicht recht abzufinden vermochte. Ein hoher, kraft-
voller Zug durchwehl die Brahms'ſche Schöpfung. Aus-
genommen den dritten Satz (Andante moderato), der mit
ſeiner einfach⸗-edlen Melodik an Beethoven's Paſtoral-
Symphonie erinnert, tritt das melodiſche Element hinter
dem harmoniſchen und rhythmiſchen zurück. Daß Brahms
ein Meiſter des Contrapunkts, zeigt die geiſtreiche Führung
der Stimmen, wenngleich ſie nicht verhindern kann, daß
dann und wann auf Koſten des freien Fluſſes das kunſt-
voll Gemachte zum Vorſchein kommt.

derſelben in überzeugender Weiſe zur Geltung. Die hierauf
von Fräulein Meilhac geſungene „Szene vor dem Marien-
bilde“ aus Schumann's einziger Oper „Genoveva“ fand eben-
falls nur mäßigen Anklang. So groß Schumann als
Lyriker war, ſo unbedeutend iſt er als Dramatiker, obgleich
er geäußert haben ſoll, in ſeiner „Genoveva“ ſei jede Note
dramatiſch. Der bekannte Muſikſchriftſteller Lobe nannte
die Oper nur ein großes, durchcomponirtes Lied. Daß
Schumann's „Genoveva“ den Anforderungen, die man an
eine Oper zu ſtellen berechtigt iſt, nicht genügt, beweiſt,
daß ſie trotz wiederholter Aufführungen — die erſte Auf-
führung fand 1850 in Leipzig ſtatt. — in verſchiedenen
Städten über den Kreis der Schumannianer hinaus keine
Beachtung gefunden hat. Den Schluß des Concerts bildete
Mendelsſohn's Ouvertüre „Ruy⸗Blas“, von dem Meiſter
einſt in wenig Stunden zu Victor Hugo's gleichnamigem
Drama geſchrieben. Das feurige, kraftvolle Tonſtück, vom
Orcheſter mit genialem Schwunge anusgeführt, erntete leb-
haften Beifall. — ö ö ö
Während im erſten Concert nur Compoſitionen neuerer
Tonſetzer zur Aufführung kamen, waren im Programm des
zweiten Abonnementsconcerts ausſchließlich Werke der Klaſſiker
Bach, Mozart und Beethoven enthalten. Eröffnet wurde
der Abend mit Mozart's G-dur-Symphonie, um deren

In der

Stürmiſcher Applaus

niß und ſchöner Tongebung vortrug.

Toccata.

Durch die vorzüg-
liche Wiedergabe der Symphonie kamen die Schönheiten

Aufführung ſich die Coneertleitung entſchieden ein Verdienſt
erworben hat. Beethoven hat im Ganzen 9 Symphonieen

geſchrieben, und dieſe bilden ſtändige Nummern auf den

Programms der Orcheſterconcerte; Mozart's Symphonieen
erreichen die Zahl 47, von denen in der Regel nur drei
(höchſtens ſechs) zu Gehör gebracht werden. Und wenn
auch nicht alle von gleichem Werthe (hat doch der unver-
gleichliche Meiſter die Symphonieen Nr. 1—4 im Alter
von 8—9 Jahren geſchrieben), ſo ſind doch viele unter
ihnen, welche zu den Perlen der Inſtrumentalmuſik gerech-
net zu werden verdienen. Aus dem Jahr 1779, Mozart's
23. Lebensjahre, ſtammend, alſo aus einer Zeit, in welcher
der göttliche Sänger der Welt bereits eine große Anzahl
hervorragender Werke, wenn auch noch keines ſeiner eigent-
lichen Meiſterwerke geſchenkt hatte, darf die G-dur-Sym-
phonie nicht mehr den Jugendprodukten beigezählt werden.
Aber lieblich und jugendfriſch, wie ein roſenwangiges, gold-
gelocktes Mädchen, das im kurzen Röckchen unter blühenden
Blumen ſich tummelt, eilt die Symphonie in drei knappen
Sätzen dahin, entſchwunden, bevor unſer Ohr den Zauber
der holden Melodien noch recht erfaßt hat. Nachdem
ſolchergeſtalt das Gemüth für die himmliſch-klare Schönheit

Mozart'ſcher Muſik empfänglich geſtimmt worden war,

wirkte um ſo eindringlicher die unmittelbar auf die Symphonie
folgende herrliche Concertarie des Meiſters „Chio mi scordi“
(daß ich vergeſſe), welche Frau Reuß mit gutem Verſtänd-
Und nun erhob ſich,
ſo recht im Gegenſatze zu den kaum verklungenen ſüßen,
ſanftdahingleitenden Harmonien, in trotziger, gigantiſcher
Kraft des Rieſengeiſtes J. S. Bach gewaltige F-dur-
Einem unaufhaltſam dahinbrauſenden Strome
vergleichbar iſt das von den Geigern mit breitem, kraft-
vollen Strich ausgeführte Figurenwerk, während die Bäſſe
auf dem Orgelpunkt verharren, um dann plötzlich in marki-
gem, erſchütternden Staccato die Paſſagen aufzunehmen.
Das dröhnt und toſt, als ob ein Wildwaſſer ſich hinab-
ſtürzt in des Abgrunds ſchwindelnde Tiefe, und die darauf
ertönenden vollen Harmoniefolgen der Blasinſtrumente er-
gänzen das Bild, indem ſie das Gewäſſer darſtellen, wie
es nach dem jähen Abſturz in dem breit gewordenen Fluß-
bett ſich ausdehnt und in majeſtätiſchem Gewoge ſeinem
Ziele zueilt. Iſt der Eindruck von Bach's Orgel⸗Toccata
in der Originalvorführung ſchon ein imponirender, ſo wird
er noch weit mehr geſteigert in der Eſſer'ſchen Bearbeitung
für Orcheſter, insbeſondere bei ſo präciſer und fein nüan-
cirter Ausführung, wie ſolche auf der Orgel ſchlechterdings
nicht möglich iſt. An die Toccata ſchloß ſich Beethoven's
„Elegiſcher Geſang“ für vier Singſtimmen und Streich-
inſtrumente. Die Geſangs-Partien lagen in den Händen
der Damen Reuß und Friedlein und der Herren Guggen-
bühler und Plank. Die Ausführung war im Allgemeinen
lobenswerth, nur wurde die Wirkung des tiefergreifenden
Werkes dadurch etwas beeinträchtigt, daß die Klangſtärke
der einzelnen Stimmen keine völlig gleiche war. Mit
Beethoven's A-dur-Symphonie ſchloß das Concert. Die
Schönheit dieſer genialen, von unſerm Orcheſter in vollen-
deter Weiſe vorgeführten Tondichtung zu rühmen, hieße
Eulen nach Athen tragen. Dagegen ſei die treffende Cha-
rakteriſtik Richard Wagner's über dieſes Werk hier erwähnt.
Wagner nennt Beethoven's „Siebente“ „die Apotheoſe des
Tanzes, in der alles Ungeſtüme, alles Sehnen und Toben
des Herzens zum wonnigen Uebermuthe der Freude wird,
die mit bacchantiſcher Allmacht uns durch alle Räume der
Natur, durch alle Ströme und Meere des Lebens hinreißt,
jauchzend, ſelbſtbewußt überall, wohin wir mit kühnem
Takte dieſes menſchlichen Sphärentanzes treten.“ —
(Schluß folgt.)
 
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