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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 62 - Nr. 69 (4. August - 28. August)
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kidelberger Fanilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ur. 64. Mittwoch, den 11. Auguſt 1886.
Der Ring. kenne ſie nicht! — Es iſt vier Jahre her, — ich ſtand

Novelle von E. Hartner.
Nachdruck verboten. Geſetz v. 11. Juni 1870.
I

Das heute ſtattfindende Ballfeſt beim kommandirenden
General hatte ſchon wochenlang den Geſprächsſtoff für die

Bewohner der Stadt gebildet, jetzt war es im vollen Gange

und es entſprach allen Erwartungen, die man gehegt.

Rauſchende Muſik, Kerzenſchimmer, Blumenduft, blanke

Uniformen und ſtrahlende Toiletten, — dies alles ſind
Dinge, die jedes Ballfeſt beſitzt, was aber dem Ball des
kommandirenden Generals ſeinen beſondern Reiz verlieh,
das war die Fülle an ſchönen Frauen und lieblichen Mäd-
chen, die es ſchmückten, denn nicht nur waren alle Kreiſe

der Stadt in ihren Spitzen vertreten, ſondern der Landadel

hatte auch zahlreiche Familien entſendet, um dem großen
Feſte beizuwohnen, mit welchem die diesjährige Saiſon er-
öffnet wurde. ö
„Eine von ihnen iſt ſehr hübſch, wahrhaftig reizend!“
ſagte ein tief in der Fenſterniſche ſtehender Offizier zu
ſeinem Kameraden, der, die Arme über der Bruſt gekreuzt,
zerſtreut vor ſich hinſtarrte. „Sieh doch, die kleine Blonde.“
„Recht niedlich, ja!“ erwiderte der Angeredete und
folgte dem Blick des Freundes.

„Mir zu ſchlank und zu dunkel!“ meinte der erſte. „Ich

liebe die zerbrechlichen Frauen nicht. — Weißt du übrigens,

wer die Damen ſind 2“ ö
„Keine Ahnung!“ lachte der andere. „Heute kennt
man ja zwei Drittel der Damenwelt nicht.“ ö
„So geht es dir nicht beſſer als mir! Doch da iſt
der kleine Grüttner, der kennt alle! — Grüttner, bitte,
können Sie uns zwei Minuten Ihrer koſtbaren Zeit
widmen 2“
„Fünf, wenn ich Ihnen nützen kann,“ ſagte der leb-
hafte, kleine Huſarenofſizier, dem die Freude an der Geſell-

ſchaft aus den braunen Augen lachte. „Womit kann ich

dienen?“
„Sie kennen ja alle Welt! — Wer ſind die beiden
Damen, die eben jetzt eingetreten ſind?“ ö
„Die kleine Blonde und die große Brünette? — Die
Blonde iſt Fräulein von Cramer, die andere ihre Couſine,
die Gräfin Erk!“
„Die Gräfin Erk auf Schönheide?“ rief der zweite, der

bis jetzt ziemlich apathiſch dem Geſpräch gefolgt war. „Ja,

wahrhaftig! — daß ich ſie nicht erkannt habe!“
„Die Gräfin Paula Erk, Tochter des Grafen Erk-

Schönheide, Mitglied des Herrenhauſes u. ſ. w.!“ beſtätigte

Bart. „Wie man's nehmen will, — ich kenn

Herr von Grüttner und war verſchwunden, denn ſeine Tanz-
karte wies noch einige Lücken auf, die er mit klingenden
Namen füllen mußte.
„Kennſt du die Gräfin Erk? Ich habe nie den Namen
von dir gehört!“ wendete ſich der in der Fenſ vie-
der an den Freund.
Herr von Mannhardt ſtrich ſich gedankenvol klen

2 ich

„Aber eigentlich iſt die
Brünette mehr nach meinem Geſchmack! ö

Tante!

noch bei den Küraſſiren, da war ich einmal bei dem Ma-
növer in Schönheide einquartirt. Tempi passati! Gräfin
Paula war damals ein lang aufgeſchoſſener, entſetzlich eckiger
Backfiſch, aus dem alles und nichts werden konnte, ich ein
flotter Kavallerieoffizier, — ſie wird mich eben ſo wenig
erkennen, als ich ſie! Doch laß uns unſern Beobachtungs⸗—
poſten aufgeben und ans Licht treten, ſonſt ſchnappt uns
dieſer nichtsnutzige Grüttner alle Damen weg!“
„Nun, nun, er kann für jeden Tanz doch nur eine
Dame engagiren!“ tröſtete der Freund lachend, als beide
die ſchützende Fenſterniſche verließen.
Das Erſcheinen der Gräfin Erk hatte jenes Aufſehen
in den Sälen des Generalkommandos verurſacht, das dem
endlichen Eintreffen längſt Erwarteter zu folgen pflegt.
Geſpräche ſtockten, Gruppen traten auseinander, andere bil-
deten ſich, aller Augen richteten ſich auf die Stelle, an der
ſich die beiden jungen Damen gerade befanden, und das
Geſpräch ſchwirrte um das edle junge Haupt, wie ein
Mückenſchwarm im Sommer. ö ö ö
Die junge Gräfin bemerkte von dem allen nichts, und
zwar aus dem einfachen Grunde, weil ſie für die erſte

halbe Stunde überhaupt nichts bemerkte und nur undeutlich

ſah und hörte. Aus der tiefen Einſamkeit des Landlebens
erſt vor wenigen Tagen in die Stadt, heute zum erſten
Mal auf den Ball gekommen, ſchwirrte und ſummte, flim-
merte und ſchwankte alles in ſo unbeſtimmten Umriſſen um
ſie herum, daß ſie am liebſten die ſchützende Nähe der
Mutter gar nicht verlaſſen hätte und es der ganzen welt-
gewandten Sicherheit ihrer kleineren und jüngeren Couſine
bedurfte, um ſie glücklich durch das Ehaos zur Frau vom
Hauſe zu ſteuern.
„Ich glaube, ich kenne keine Seele,“ murmelte die
Gräfin ängſtlich und folgte den voranſchreitenden Eltern
dicht auf dem Fuße nach. ö ö ö
„Ob Seelen in ihren Körpern ſtecken, weiß ich nicht
mit Beſtimmtheit, aber Bekannte ſind genug hier!“ tröſtete
die kleine Blondine, ſich freimüthig umſehend. „Sei doch
nicht ſo verzagt, Paula, ſie beißen wirklich nicht, — we-
nigſtens nicht ſo, daß man es merkt!“
„Du biſt ſo muthig, Sophie, — ich werde das nie
lernen! Ich wollte, ich wäre wieder in Schönheide!“
„Meine Tochter!“ ſagte der Graf vorſtellend. Paula

verneigte ſich tief, der ſchreckliche Moment war gekommen.

Doch er wurde nicht ſo ſchrecklich, wie Paula gefürchtet
hatte. Das ſanfte, blaue Auge der ſelber etwas verlegenen

alten Dame ruhte mütterlich auf dem jungen Mädchen.

„Wir haben mit dem Beginn des Tages auf Ihr Er-
ſcheinen gewartet, Gräfin Paula!“ ſagte ſie freundlich.

„Haben Sie denn ſchon viele Bekannte unter unſern

Tänzern?“ ö
„Ach nein, Excellenz, ich kenne Niemand!“ ſtammelte
Paula verwirrt.
V„Nun, dieſem Mangel iſt leicht abzuhelfen! — Ah, da
ſind Sie ja, Sophiechen, dieſes Mal unter dem Fittich der
Liebe Gräfin, ich fürchte, Sie werden es ſchwer
finden, dieſes unruhige Küchlein zu hüten!“
 
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