Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1886

DOI Kapitel:
Nr. 70 - Nr. 78 (1. September - 29. September)
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.53862#0293

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
amilirublätter.

03

Ur. 73.

Samstag, den 11. September

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

1886.

Der Sänger von Salto.
Eine braſilianiſche Geſchichte von B. Riedel⸗Ahrens.
(Fortſetzung.)

„Ob Marietta wohl kommen wird? Ob etwas Ent-
ſcheidendes daheim geſchehen iſt?“ Unter dieſen ausſchließ-
lichen Gedanken nahm Juca auf dem Geländer ſeinen
gewohnten Sitz ein, warf den Hut neben ſich ins Gras

und lehnte den Rücken gegen den Hauptpfahl des Eingangs.

Die Hände, welche die Geige gefaßt hielten, ruhten auf
ſeinem Schooße — ſpielen konnte er noch nicht — die
rechte Stimmung zum Singen fehlte auch bis dahin gänz-
lich. Den durchdringenden Blick auf den Endpunkt der
Palmenallee gerichtet, wartete er mit brennender Ungeduld
auf die Erſcheinung der geliebten Marietta.
Vergeblich; die wettergebräunten Wangen des ovbalen
Antlitzes färbten ſich mit wärmerem Roth, die Augen
glühten in leidenſchaftlicherer Sehnſucht, und das Herz
ſchlug raſcher und banger unter dem am Halſe offenen,
weißen Bluſenhemde, welches ſich um die Taille mit einem
breiten, rothen Gürtel an das helle Beinkleid ſchloß.
Endlich! Nahten dort unten aus dem Schatten der
ernſten Mangobäume hervor nicht die flüchtigen Schritte
eines weiblichen Weſens? Ein unterdrückter Jubelruf ent-
rang ſich den Lippen Jucas, denn jetzt konnte er deutlich
erkennen, daß es wirklich Marietta war, die er ſchon ſeit
mehreren Monaten heimlich ſeine Braut nannte.
In der nächſten Sekunde war er mit einem Satze an
der Seite des Mädchens, welches, in kurzer Entfernung
von einer Sklavin gefolgt, jetzt näher getreten war. Mit
Ungeſtüm zog er die ſchlanke, zitternde Geſtalt gegen ſeine
Bruſt, und ehe noch ein Wort der Begrüßung gewechſelt,
bedeckte er das kindlich liebliche Antlitz mit glühenden
Küſſen.
Nach einer Weile, in der Marietta die leidenſchaftlichen
Liebkoſungen des jungen Fiſchers in ſanfter Erwiederung
geduldet, entwand ſie ſich leiſe der Umſchlingung, und ſeine
Hand ergreifend zog ſie ihn nach dem Platze, wo er vor-
hin geſeſſen; dann nahm ſie die koſtbare Geige, das Ge-
ſchenk eines großmüthigen Fremden, welche vorhin beim
Aufſtehen ſeinem Schooß entglitten war, vom Boden auf
und reichte ſie ihm.
„Nun, was für Nachrichten bringſt Du, Geliebte? Ich
wette, keine guten,“ flüſterte er, ſie mit verzehrenden Blicken
betrachtend.
Marietta hob das blaſſe Geſichtchen und ſchlug die
großen ſchwarzen Augen traurig zu ihm auf; ehe ſie zu
ſprechen begann, ſah ſie ſich ängſtlich nach allen Seiten
um, als ob ſie befürchte, es könne Jemand in der Nähe
ſein, der ihre Worte vernehme.
„Höre mir zu, Juca, ich habe Dir viel zu ſagen, ſo-
viel, daß ich kaum weiß, womit beginnen! Man will uns
trennen! Aber Du mußt Alles ausführlich erfahren, denn
ich fürchte nur allzuſehr, wir ſehen uns in dieſer Stunde
zum letztenmal für lange Zeit, — o Gott, ich wage es

kaum auszudenken — vielleicht für immer, weil die Mutter
davon ſprach, mich weit fortzuſchicken!“
Juca Soredanos Hände griffen mit einer Gebärde
zornigen Unwillens in ſeine kurz geſchnittenen Locken; dann
ſchlang er den Arm um Mariettas Körper und zog ſie
näher an ſich. ö
„Das darf nicht ſein, nur keine Trennung, denn Du
weißt es, daß ich ohne Dich nicht leben kann noch will.
Ich kann mir ſchon denken, was Du mir mitzutheilen haſt,
ich ahne es, da mir ſchon längſt aus dem Benehmen Deiner
Eltern klar geworden, wie wenig ſie geneigt ſind, in mir
den künftigen Schwiegerſohn zu ſehen. Der Gruß Deines
Vaters iſt kalt und herablaſſend, wenn er an mir vorüber
geht; in ſeinen Mienen liegt ein Etwas, Marietta, ſiehſt
du, ſo ein Blick der Geringſchätzung, der mir das Blut in
den Adern kochen macht! Weiß Gott, wäre dieſer Mann
nicht Dein Vater, Du ſüßes Mädchen, dem ich Ehrfurcht
ſchulde, weil ich Dich ſo namenlos liebe, — o, dann würde
ich ihn zur Rede ſtellen und fragen, was ihm ein Recht
gibt, mich zu verachten. Bin ich auch nur der Sohn eines
Fiſchers und ſelbſt ein ſolcher, ſo ruht doch auf meiner
Familie kein Makel; und daß wir nicht die Aermſten ſind
im Dorfe, wiſſen die Deinen auch. Wir beſitzen ein eignes
Haus am Strand mit einem hübſchen Stückchen Land und
fahren mit neuen Kähnen, die unſer Eigenthum. Außer-
dem habe ich zwei Hände, welche die Arbeit lieben; Jeder-
mann, der den Juca kennt, weiß, ſo lange er lebt, wird
auch das Weib an ſeiner Seite keinen Mangel leiden!“
„Aber Juca, wie erregt Du heute biſt, ſo ſah ich Dich
noch nicht,“ flüſterte das Mädchen, ſich ſanft an den Ge-
liebten ſchmiegend, während ſie mit der kleinen brünetten
Hand ſanft über die ſtolz zurückweichende Stirn des jungen
Mannes ſtrich. „Ach, mir iſt ſo bang und ſeltſam zu
Muthe, ich war ſo fieberhaft erregt von ungewiſſer Furcht
in der letzten Woche, da ich keine Gelegenheit fand, ein
Wort mit Dir zu wechſeln; mir kamen wunderliche Ge-
danken und Phantaſien, ich weiß nicht woher! Ich liebe
Dich, Juca, Gott verzeihe mir, wenn ich mich verſündige
mit ſolchen Worten, aber — ich liebe Dich viel mehr als
meine Eltern, ja — — meine Verehrung für Dich iſt in-
niger, als für die heilige Jungfrau ſelbſt! Glaube mir,
Geliebter,“ fuhr ſie mit leiſerer, vibrirender Stimme fort,
während ein Lächeln unendlicher Liebe um ihre ſchönen
Lippen ſchwebte, „daß auch ich nie, ſo lange ich lebe, von
Dir laſſen kann und ich mir eine Zukunft ohne Dich nicht
zu denken vermag, was auch immer die Meinen beginnen
mögen. Ja, ich bin bereit, zu thun, was Du von mir
forderſt! Verlange es, und wir fahren in Deinem kleinen
Kahn hinaus auf das Meer, der Gegend zu, wo am Abend
die Sonne rothglühend die weißen Wolken färbt, und der
Himmel erſcheint, als bilde er den goldſchimmernden Vor-
hang des Paradieſes, welches wir erſehnen! Ich willige
ein, mit Dir zu gehen auf Nimmerwiederkehr; komm, Juca,
laß uns fliehen, denn hier bedroht uns nichts als Tren-
nung, die ich wie Du — nicht ertragen kann, nicht er-
tragen will!“

Juca betrachtete mit düſteren und doch verzehrenden
 
Annotationen