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Heidelberger Familienblätter — 1886

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Nr. 70 - Nr. 78 (1. September - 29. September)
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heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Ar. 70.

Mittwoch, den 1. September

1886.

— ——

Der Ring.
Novelle von E. Hartner.
Gortſetzung.)
V.
Viktor verlebte eine ruheloſe Nacht. Die Wahrheit zu
ſagen, war er ſeit ſeinem übereilten Wort nie wieder recht
zur Ruhe gekommen, und ſo ſehr er geſtrebt, Paulas Bild
zu bannen, ſo beharrlich war es wieder und wieder in ſeiner
Seele aufgetaͤucht. War ihr aber ſein widerſtrebender Geiſt
in das Leben des Luxus gefolgt, von dem das vornehme

und verwöhnte Mädchen umgeben war, um wieviel mehr

gedachte er ihrer nun, da er ſie am Sterbebett des Vaters und
dem hereinbrechenden Ruin gegenüber wußte. Hatte er bisher
das unüberlegt raſche Wort des erſten Abends bereut, ſo
beklagte er jetzt bitterlich, daß er ſich ſelbſt den Boden unter
den Füßen weggezogen, ſich ſelbſt des Rechtes beraubt
hatte, ihr in dieſer ſchweren Kriſe beiſtehen zu dürfen.
Seine erregte Phantaſie folgte ihr in alle Situationen dieſer
ſchrecklichen Nacht. Er ſah das ſchöne ſtolze Mädchen am
Sterbebett des Vaters, die Augen verweint, die Haltung
gebrochen, — er ſah ſie die Mutter tröſten und ſtützen und
er wünſchte ſehnlich den Morgen herbei, als wenn Tages-
licht und Tageshelle ihm einen Weg enthüllen könne, den
er im Dunkel der Nacht nicht zu finden vermochte.
Der Tag brach endlich an und der Burſche, den er nach
der Wohnung des Grafen ſchicken wollte, um Erkundigungen
einzuziehen, ſagte ihm, daß Graf Erk bereits geſtorben ſei.
Der Tod ſei bald nach Mitternacht eingetreten, Gräfin
Paula, die bis zuletzt beim Vater geblieben ſei, habe ſich
alsdann zur Ruhe begeben. Der Diener, der mit Depeſchen
auf das Telegraphenamt geſchickt worden, ſei ihm auf der
Straße begegnet und habe ihm alles erzählt. Die Gräfin
ſei ganz gebrochen, das gnädige Fräulein wie verſchüchtert,
Gräfin Paula jedoch gefaßt und ſtill. Der Burſche wun-
derte ſich ſelbſt über ſeine eigene Redſeligkeit, da der Herr
jedoch aufmerkſam zuhörte, trug er vor, was er wußte.
Um acht Uhr mußte Viktor zum Dienſt in die Kaſerne.

Als derſelbe aber nach zwei Stunden beendigt war, duldete

es ihn nicht länger. Er mußte wenigſtens ſeine Theilnahme
ausſprechen und ſeine Dienſte anbieten! Es war ja doch
alles aus und vorbei, aber in einem falſchen Licht wollte
er doch nicht erſcheinen. Er kleidete ſich haſtig um und
begab ſich in die gräfliche Wohnung.
Hier traf er auf jene Verwirrung, die der Tod, beſon-
ders wenn er plötzlich eintritt, im Gefolge zu haben pflegt.
Die Flurthüre ſtand offen, Leute liefen hin und her, von
dem keiner etwas Rechtes zu thun zu haben ſchien. Nur

mit Mühe gelang es Viktor, einen Diener zu finden, der

ihn anmeldete. Die Herrſchaft könne Niemand empfangen,
wurde ihm kurz erwidert. Die Jungfer übernahm es end-
lich, Gräfin Paula zu fragen. Zu ſeinem Erſtaunen wurde
er vorgelaſſen.
Das junge Mädchen empfing ihn allein; ihre Toilette
war weder reich noch koſtbar, es war ein in aller Eile zu-
ſammengeſtellter Traueranzug, der hier und da Spuren

den Kopf zerbrochen,

einer gewiſſen Unordnung zeigte. Das Geſicht war bleich,
die Augen unnatürlich groß, doch nicht verweint. Sie ging
ihm ruhig entgegen und reichte ihm die Hand, die er ehr-
furchtsvoll mit ſeinen Lippen berührte.
„Sie haben uns Ihre Dienſte anbieten laſſen, Herr
von Mannhardt; — verzeihen Sie, wenn ich Sie beim
Wort nehme!“ ſagte ſie mit jener ſeltſam verſchleierten
Stimme, die ſo wunderbar zu Herzen dringt. „Nehmen-
Sie Platz, ich bitte, und bedenken Sie noch einmal, ob Sie
wirklich geneigt ſind, ſich unſerer Angelegeuheiten anzu-
nehmen, — ich fürchte, es möchte Ihnen mehr Mühe daraus
erwachſen, als ſich im Augenblick überſehen läßt!“
AIch bitte, gnädigſte Gräfin, ganz über mich zu ver-
fügen!“ ſagte Victor von Mannhardt, ſich ſetzend.
„Der plötzliche, ſo gänzlich unerwartete Tod meines
Vaters hat uns in die ſchwierigſte Lage geſtürzt,“ fuhr
Paula in einem Tone fort, der es dem jungen Manne
zweifelhaft machte, ob ſie ſich ihrer Worte vollkommen be-
wußt war. Mein Vater hat uns in ſeiner Herzensgüte
ſtets von allem Geſchäftlichen fern gehalten, weder ich noch
meine Mutter haben die leiſeſte Ahnung davon gehabt, wie
ſeine Angelegenheiten ſtanden. — Nach einigen Andeutungen,
die ich nur halb verſtand, ſcheinen ſie nicht ſo gut zu ſtehen,
als wir immer geglaubt haben. Meine Mutter iſt augen-

blicklich und vielleicht noch für einige Zeit unfähig, die

Sache in die Hand zu nehmen, die doch geſchehen mu 5ß.
Wollen Sie mir dabei behilflich ſein?“
„Ich kann nur wiederholen, gnädigſte Gräfin, daß ich
immer und überall zu Ihren Dienſten ſtehe!“ ſagte Viktor.
„Doch gebe ich zu bedenken, daß einer der Verwandten,
oder vielleicht ein bewährter Adminiſtrator ſehr raſch tele-
graphiſch herbeizurufen wäre!“ ö
Das junge Mädchen lehnte ſich wie erſchöpft zurück, ein
ſeltſam bitteres Lächeln ſpielte um die blaſſen Lippen. „Ich

habe allerdings einen Onkel, — doch dieſer Onkel hat

einen Sohn und man könnte meinen Hilferuf falſch aus-
legen! Die Vertrauenswürdigkeit des Adminiſtrators iſt
mir in letzter Zeit zweifelhaft geworden. Ich habe mir
wen ich um den Beiſtand bitten
könnte, der mir und meiner armen Mutter in dieſem Augen-
blick nöthig iſt, die Meldung Ihres Namens war mir wie
eine Erlöſung.“ Es zuckte ſeltſam um den jungen Mund.
„Wir beide wiſſen ja ganz genau, wie wir zu einander
ſtehen! Sie können mir meine Bitte nicht falſch aus-
legen oder mißdeuten!“
„Ich bitte, ganz über mich zu verfügen!“ ſagte er leiſe
und neigte ſein Haupt. ö
Weder Viktor noch Gräfin Paula hatten gewußt, was
ſie thaten, als ſie dieſe Worte wechſelten. Die Arbeitslaſt,
die Viktor damit auf ſeine Schultern nahm, war eine un-
geheure, ſchon nach wenigen Stunden ſah er ein, daß er
ſeine militäriſchen Berufspflichten nicht damit vereinigen

konnte. Kurz entſchloſſen ging er zum Oberſten und bat

um einige Tage Urlaub. Der wohlwollende Mann ſah
ihn erſtaunt an. „Ich wußte nicht, habe nie bemerkt, auch
nie gehört, daß Sie mit den Erks ſo liirt ſind!“ ſagte er.
„Nun, der Dienſt ſoll Ihnen nicht im Wege ſtehen! Die
 
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