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Heidelberger Familienblätter — 1886

DOI Kapitel:
Nr. 79- Nr. 87 (2. Oktober - 30. Oktober)
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Ihr Verſuch, tapfer zu ſein, mißlang gründlich, die
großen Augen füllten ſich mit ſchweren Thränen, welche
langſam die Wangen entlang rollten. Fanny legte den
Kopf in der Mutter Schooß. —1

„Armes Kind,“ flüſterte dieſe, „ſteht es ſo? Dein

Herz wird eine bittere Täuſchung erfahren, mögeſt Du bald
darüber hinwegkommen und vergeſſen lernen.“ Liebkoſend
ſtreichelte ſie der Tochter das glänzende Haar. ö
Das junge Mädchen hatte ſich raſch gefaßt; ſie erhob
den Kopf und ſprang auf.
ſein, Mama, gelt, Du haſt Dich geängſtigt? Armes
Mütterchen! Deine Fanny iſt Gott ſei Dank nicht ſo
ſentimental, daß ſie nicht einen Schmerz und eine uner-
widerte Liebe verwinden könnte.“ Sie trat vor den großen
Spiegel und ordnete ihr Haar, dabei machte ſie aber die

Bemerkung, daß die eben vergoſſenen Thränen ihre ſchönen

Augen getrübt hatten. Im nämlichen Augenblick meldete

der Diener: „Herr und Fräulein Harding, Herr Doktor

Ranke.“ Mit einem liebenswürdigen Lächeln wendeten ſich
beide Damen der Thüre zu; Fannhs Geſicht verfinſterte ſich
zwar für einen Moment, als ſie ſah, wie der treuloſe
Freund die Fremde am Arm hereinführte und ſo zärtlich
auf ſie herniederblickte. Trotzdem begrüßte ſie Jeſſy mit
der gewinnenden, feinen Liebenswürdigkeit, die ihr eigen
war, und bald befanden ſich die jungen Leutchen im eifri-
gen Geſpräche. Dadurch entging ihnen, daß Herr Harding
ſowohl wie die Hausfrau betroffen und erſtarrt ſich gegen-
überſtanden, während namentlich Frau von Merving be-
denklich die Farbe wechſelte. Sie faßte ſich jedoch zuerſt

und bot Harding die Hand, welche er einen Augenblick in

ſeiner zitternden Rechte liegen ließ.
„Es freut mich, Herr Harding,“ begann ſie unſicheren
Tones, „daß Sie meiner Einladung ſo freundlich Folge
leiſteten; unſer gemeinſamer, junger Freund hat mir viel
von Ihnen erzählt.“
„Sehr ſchmeichelhaft, gnädige Frau. Wenn man ſo
völlig fremd in eine Stadt kommt, wie wir, thut ſolche
Liebenswürdigkeit doppelt wohl. Jeſſy, mein Kind, komme
hierher und begrüße unſere gütige Gaſtgeberin.“
Lieblich erröthend folgte Jeſſy ihres Vaters Geheiß;
Fanny blieb mit dem jungen Arzt allein in der Fenſter-
niſche, wohin ſich die Jugend zurückgezogen hatte.
„Sie kommen eben ſo ſelten, Herr Doktor,“ begann
das junge Mädchen vorwurfsvoll, „haben Sie über den
neuen Freunden die alten ſchon vergeſſen?“

„Aber Fräulein Fanny, wie können Sie ſo ſprechen?

Sie wiſſen, daß ich Ihnen und Ihrer Mama mit der
größten Freundſchaft und — Dankbarkeit zugethan bin!“
ö „Jawohl, ich weiß, Sie haben es uns ſo oft erzählt,
wie wir ſchuld waren an Ihrem Glück. Aber was haben
wir denn dafür gethan? Welches Glück, daß ich ſo haſtig
die Treppe hinunterlief und mir den Fuß verſtauchte!
Was dieſer Fuß nicht alles zuwege gebracht haben ſoll!
Als ob Sie nicht auch ohne uns, allein durch Ihre Tüch-
tigkeit würden bekannt geworden ſein! Nein, reden Sie
mir nicht immer von der Dankbarkeit, heben Sie dieſelbe
nicht immer ſo hervor, ſonſt könnte ich glauben, daß Ihnen
die Pflicht, welche dieſe eingebildete Dankbarkeit Ihnen
auferlegt hat, nämlich die, uns ab und zu zu beſuchen,
ſchon längſt läſtig iſt.“ ö
Unaufhaltſam ſtieß Fanny dieſe Worte heraus, ohne
zu bedenken, daß der junge Arzt ihren Groll nicht ver-
ſtehen konnte. Was wußte er von dieſer Liebe des Mäd-
chens, mit dem er bisher ſtets nur geſcherzt und gelacht?
Keine Ahnung ſtieg in ſeiner Seele auf, daß Fanny, welche
noch ſehr wenig mit jungen Herren verkehrt hatte, an ſei-
nem offenen herzlichen Weſen Gefallen fand, daß dieſes
Gefallen ſich langſam in die Leidenſchaft umwandelte, welche
das junge Mädchen faſt verzehrte. Auch jetzt noch, da ſie

„Wie kann man ſo thöricht

ſo heftig geſprochen, verſtand er ſie nicht. Erſtaunt und

kopfſchüttelnd ließ er den Ausbruch ihres offenbaren Miß-
fallens über ſich ergehen.

„Ich verſtehe Sie nicht, Fräulein Fanny, was that ich,

daß Sie in ſolch bitterem Tone zu mir reden?“

Sie lachte gezwungen auf. „Sie thaten mir nichts,
Herr Doktor, aber bitte,“ ſie machte eine Handbewegung
nach Jeſſy, „bitte, laſſen Sie ſich nicht abhalten, Fränlein
Harding iſt gewiß liebenswürdiger als ich.“
hen. eilte hinaus und ließ den jungen Mann verblüfft
ehen. ö

Während dieſer kleinen Scene war Frau von Merving

mit Herrn Harding durch ihre Räume gewandelt; in ihrem

reizenden Boudoir machten ſie einen Augenblick Halt. Der
Amerikaner ſah ſich mit bewundernden Blicken in dem kleinen
Raume um, der mit fürſtlicher Eleganz ausgeſtattet war.
Die hohen Wände bedeckten Draperien von dunkelrothem
Plüſch, ebenſolcher Stoff mit türkiſchen Bordüren bildete
den Bezug der vielen Sophas, des Fußbodens und der
zahlreichen Seſſel, welche hier aufgeſtellt waren. Sonſt
befand ſich außer einem Schreibtiſch in Ebenholz keinerlei
Möbel darin. Angenehm überraſcht hatte Harding dies
alles betrachtet. ö
„O, gnädige Frau, welches Juwel haben Sie ſich hier
geſchaffen!“ rief er begeiſtert aus.
Tiefe Bewegung malte ſich auf Frau von Mervings
bleichem Geſicht. „Haben Sie keinen andern Gruß für
mich? Iſt Ihnen die Vergangenheit ganz aus dem Ge-
dächtniß entſchwunden, Herr — Harding?“
Dieſer war nun auch ernſt geworden. „Mahnen Sie
mich nicht daran, Pauline, zu viel liegt zwiſchen uns.“
„Der Schein war gegen mich, ich ſelbſt habe mir nichts —
außer das eine, das mein Leben vergiftete, — vorzuwerfen,
und dieſes eine habe ich mit meinem Lebensglück bezahlt.“
„Sie waren nicht glücklich, Pauline?“
„Nein, mein erſter Mann war ein Tyrann, der mich
ſtets mein Unrecht fühlen ließ, und der zweite war ein
Wüſtling, der verſuchte, mein großes Vermögen durchzu-
bringen. Aus letzter Ehe iſt meine Fanny, und hätte ich
das Kind nicht gehabt, würde ich nicht bei Merving aus-

gehalten haben.“
(Fortſetzung folgt.)

„V Die Verbindungsbahn Kreudeuſladt-
Alpirsbach⸗Wolfach.

Mit der Eröffnung der Verbindungsbahn Frendenſtadt-
Wolfach, welche einen der ſchönſten Theile des badiſchen
und württembergiſchen Schwarzwaldes durchſchneidet, iſt die
alte Straße von Schwaben nach Straßburg in zeitgemäßer
Weiſe erneuert worden. Als Gebirgsbahn, welche größere
Steigungen aufzuweiſen hat, wie die bad. Schwarzwald-
bahn, bietet dieſelbe des Intereſſanten genug, daß eine
genauere Beſchreibung der Strecke, beſonders bei dem regen
Beſuch, deſſen ſich ſeit den letzten Jahren dieſer Schwarz-
waldtheil erfrenen durfte, willkommen ſein dürfte. ö
Vom Bahnhof Freudenſtadt, wo die Bahn eine Meeres-
höhe von 663,5 m erreicht hat, zweigt ſich dieſelbe in einer
ſchönen Kurve von 350 m Radius ab durch üppige Wäl-
der und erreicht bald das freundlich gelegene Lauterbad,
Beſitzthum des Herrn Holzhändlers Dietrich, wo ſie über
einen 210 m langen und 34 m hohen Viadukt mit 5 Oeff-
nungen das Thal der Lauter überſchreitet. Durch herrliche
Tannenwälder, in welchen unſer Auge noch manchem „Hol-
länder“ begegnet, gelangen wir bald mit einem Gefäll von
1:500 zur Station Loßburg⸗Rodt, 655 m über dem
Meere. Hier eröffnet ſich unſeren Blicken eine herrliche,
 
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