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Heidelberger Volksblatt (69) — 1934 (Nr. 226-299)

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Nr. 231 - Nr. 240 (6. Oktober - 17. Oktober)
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WMnschaft und Kunst / Aus drr Mit der Frau / Sie Lrsestunde

Wzer Bote Samstag, 6. Oktober 1934

69.Zahrgang/Ar.2Zi

Generalstreik in ganz Spanien
Revolutionärer Ausstand gegen die neue Regierung / Schwere Ausschreitungen in Madrid
und in der Provinz / Nie Regierung beherrscht die Lage

zei ergeben. Der Eisenbahnverkehr ist teilweise

mit großer Verspätung ein.

DRV. Madriv, 5. Okt.
3« der Nacht zum Freitag ist von den marxi-
stischen Gewerkschaften der Generalstreik
«Niirt worden, als Antwort darauf, daß der
Staatspräsident den Weg für eine Entwicklung
«ach rechts und für eine antimarxistische Regie-
*««» srrigemacht hat. Es verkehren weder Auto-
busse noch Straßenbahnen noch Untergrundbah-
«*«- Auch die Telesonverbindungen in das Aus-
land find außerordentlich erschwert.
! Ä« Madridkam es am Freitag an mehre-
r«n Stellen zu heftigen Schießereien
Mischen Streikenden und der Polizei. Die weni-
9tn Straßenbahnen, die, von der Polizei be-
dacht, den Verkehr aufzunehmen versuchten, wur-
M von Arbeitergruppen beschossen und mit
«t«in«n beworfen. Bis jetzt sind über 20 Ver-
wundete festgestellt.
Besonders ernste Formen hat der Generalstreik
in Asturien angenommen, wo die Gruben-
arbeiter allerlei Gewaltakte verüben. Unter
anderem wurden mehrere Uebersälle von Syn-
dikalisten auf Polizeiposten durchgeführt, wobei
bi» jetzt fünf Polizisten als getötet, vier als
schwer verwundet gemeldet sind Mehrere Arbei-
itr sollen getötet und verwundet sein. In S e -
villn und Barcelona ist der Generalstreik
ausgerufen worden. Einzelheiten fehlen, da die
^elefonleitüngen zum größten Teil zerstört sind.
Die Regierung hat, nachdem die ernsten Nach-
richten aus Asturien eingetrosfen sind, den
Kriegszustand über diese Provinz verhängt.
Wie verlautet, sollen mehrere Flugzeuggeschwa-
der von Madrid aus dorthin unterwegs sein. In
Eibar stürmten die Marxisten eine Waffenfabrik.
Auch von dort fehlen Einzelheiten. s v °- - »- -
Der den Linksbürgerlichen angehörende Prä-' In Eibar haben die Ausstandeschen auf de-nN-
sident des Staatsgerichtshofes ist aus Protest haus die weiße Flagge gesetzt und sich der Poli-
Segen die neue Regierung zurückgetreten. ! - —
Die Lage ist außerordentlich ernst. Man be- § unterbrochen. Im allgemeinen treffen d,e Zug
fürchtet, daß sich der Generalstreik zum revo - »u -!
lutionären Angriff des Marxismus. Die Regierung ist außerordentlich zu §
°uf den Staat entwickelt. ! »ersichtlich und hofft, binnen kurzem die.

In Valladolid überfiel eine marxistische
Bande eine Polizeikaserne, wobei zwei Offiziere
getötet wurden.
In Saragossa sind die Streikenden eben-
falls zu Gewalttaten übergegangen. Es kam dort
an mehreren Stellen zu Schießereien, die angeb-
lich zahlreiche Opfer gefordert haben. Mehrere
Lastkraftwagen wurden in Brand gesteckt. In
Mondragon wurde ein Abgeordneter erschos-
sen und in S a n S e b a st i a n ein hoher Beam-
ter der Provinzialverwaltung ermordet. Gerücht-
weise verlautet, daß Militärabteilungen nach
Asturien entsandt worden seien, wo sich die
Arbeiterschaft im Minenviertel verschanzt habe
Die Regierung ließ durch Rundfunk in Madrid
mitteilen, daß die Einwohner nach 20 Uhr mög-
lichst nicht mehr auf der Straße weilen sollten,
da die Polizei strenge Anweisungen habe.
Die Streikleitung der Marxisten hat den Be-
fehl ausgegeben, den Streik am Freitag „fried-
lich" zu führen und ab Mitternacht, falls keine
Eegenorder erfolgt, zum „revolutionären" Gene-
ralstreik Lberzugchen. Hiermit dürfte die von
der Regierung veranlaßte Zusammenziehung von
Militär in den Madrider Außen-!
bezirken in Zusammenhang stehen. An ver-
schiedenen Stellen der Stadt sind Maschinenge-
wehre in Stellung gebracht. Zahlreiche Patrouil-
len durchstreifen die Straßen. Der Verkehr liegt
still. Während die rechtsstehenden Madrider
Abendblätter, die von Nichtorganisiertem Per-
sonal hergestellt werden, erscheinen konnten, kam
die übrige Presse nicht heraus.
Den letzten Meldungen zufolge haben die
Minenarbeiter in Mieras erneut die Staats-
organe angegriffen. Bei den Schießereien sollen
i dort zehn Arbeiter getötet worden sein.

Ruhe und Ordnung i-m Lande wieder Herstellen
zu können.
Der Generalstreik in Madrid dauert unver-
mindert an. Die Eisenbahnzüge, die zu-
nächst noch regelmäßig, wenn auch mit großen
Verspätungen verkehrten, mußten im Laufe des
Freitag abend zum Teil ihren Verkehr einstel-
len. Die Weichensteller des Clldbahnhofs ver-
ließen ihre Arbeitsplätze, sodaß die Züge weder
ein- noch auslaufen konnten. Der Schnellzug von
Iran nach Madrid mußte seine Fahrt in Valla-
dolid aufgeben, da dort keine Wechselmaschine
zur Verfügung stand. Der aus Santander kom-
mende Zug lief zwar in Madrid ein, führte aber
keine Fahrgäste.
Während die Zwischenfälle in der Hauptstadt
am Tage von geringerer Bedeutung blieben,
häuften sie sich nach Einbruch der Dunkelheit. An
einer Weichenkreuzung der Straßenbahn stellten
die Aufständischen die Weichen so ein, daß die
Straßenbahnen aus verschiedener Richtung in-
einanderfuhren, wobei es eine Reihe von Ver-
letzten gab. An anderen Stellen der Stadt wur-
den Sprengstoffanschläge verübt, die
außer Materialschaden einige Verletzte im Ge-
folge hatten. Die Streikenden steckten ferner eine
Droschke in Brand, deren Fahrer den Streikbruch
gewagt hatte. Der Fahrer wurde schwer ver-
wundet. Die Polizei ist im übrigen Herr der
Lage. Zahlreiche Streifen zu Fuß und zu Pferde
durchziehen die Stadt, ferner sieht man häufig
Polizeikraftwagen mit Ueberfallkommandos und
aufmontierten Maschinengewehren. Zur besseren
Ueberwachung der Umgebung der Polizeidirek-
tion wurden auf dem Dach dieses Gebäudes starke
Scheinwerfer eingebaut. Bis jetzt sind ins-
gesamt 500 Verhaftungen vorgenommen
worden.
Zur Niederwerfung des revolutionären Auf-
standes der Minenarbeiter im asturischen Kohlen-
gebiet wurden von Valladolid, Astorga und
Leon Artillerieabteilungen und M a -
schinengewehrkompagnien in Marsch
gesetzt.

Grundlinien
der neuen Lehrerbildung
Im Mittelpunkt die totale Wissenschaft
von Volk und Staat
NdZ. Berlin, 5. Okt. Für Wesen und Inhalt
der neuen deutschen Schule wird die zukünftige
Lehrerbildung von ausschlaggebender Bedeutung
jein. Wichtige programmatische Ausführungen
darüber enthält die von Professor Dr. Krieck
herausgegebene Zeitschrift „Volk im Wer-
°en". In dem Streben, jedem Standesdünkel
entgegenzuwirken, könne es nicht das Ziel natio-
nalsozialistischer Lehrerbildung sein, Akademiker
als Lehrer an die Volksschule zu entsenden.
Vielmehr werde in Zukunft allein die Hoch-
schule für Lehrerbildung für die Aus-
bildung des deutschen Volksschullehrers sorgen.
Seine Aufgabe werde es sein, der deutschen Ju-
gend das elementarste Rüstzeug für den Lebens-
kampf auf den Lebensweg mitzugeben. Es werde
Weniger seine Aufgabe sein, pädagogische Sy-
steme zu erproben, als die deutsche Jugend Rech-
nen, Schreiben und Lesen zu lehren. Der von
ledem Handwerksmeister während der System-
lahre festgestellte und immer wieder beklagte
ständige Rückgang der Kenntnisse der Lehrlinge
sst diesen Elementargebieten sei warnendes
Mahnzeichen für eine innerliche Umkehr. Vor
allem werde eine planmäßige Sprachpflege den
Bildungsgang der Hochschule für Lehrerbildung
»urchziehLn. Die Muttersprache sei das erste und
wichtigste Fuch jeder Lehrerbildungsanstalt. Sie
wu» keinerlei oberflächliche Vielwisserei vermit-
tln. Im Mittelpunkt stehe die totale Wissen-
dst von Volk un'' Staat.

Wie wenig sich Frankreich im Grunde
men wirklich um das Saargebiet kümmert,
wenn die Interessen seiner eigenen Industrie auf
dem Spiele stehen, beweist jetzt der Hilferuf
der „Saarbrücker Zeitung". Das Saar-
gebiet ist trotz seiner zollpolitischen Zugehörig-
keit zu Frankreich auf den Absatz nach Deutsch-
land angewiesen. Nun haben sich infolge der
Mängel auf französischer Seite im deutsch-fran-
zösischen Handelsaustausch überaus unerfreuliche
Folgen ergeben, weil die französische Regierung
jetzt zu einer Drosselung der französischen Aus-
fuhr nach Deutschland übergegangen ist, da sich
in wenigen Monaten ein großer französischer
Ausfuhrüberschuß ergeben hatte. Die Kosten die-
ser rigorosen Maßnahme trägt ausschließlich das
Saargebiet. Nicht weniger als 130 Mill. Fr.
Außenstände haben sich binnen fünf Wochen bei
der deutsch-französischen Ausgleichskasse zu Eun-

angesammelt. Jede wei-
tere Woche erhöht diesen Betrag um 20 Mill. Fr.
Die Existenz der Schwerindustrie und des Han-
dels erscheint schwer bedroht. Infolgedessen for-
dert die saarländische Industrie die sofortige
Oefsnung der Saargrenze für die deutsche Ein-
fuhr, damit die saarländische Ausfuhr nach
Deutschland bezahlt werden könne. Frankreich
allein trägt die Schuld für diese üblen Hemmun-
gen des saarländischen Wirtschaftsverkehrs. Dis
französische Regierung mag jetzt beweisen, ob die
vielen schönen Worte, die Barthou in Genf ge-
brauchte, auch ehrlich gemeint sind. Liegt das
Wohl der Saarbevölkerung Frankreich wirklich
am Herzen, danü muß Frankreich wohl oder übel
der deutschen Einfuhr nach dem Saargebiet die
Tore öffnen, mag auch darunter die iranzöfisch-
saarländische Zollunion leiden.

Saarwirtschast in Not!
genom- sten des Saargebietes

Sie Betriebsordnung
Säumige Firmen werden gemahnt
NDZ. Berlin, 5. Okt. Der Treuhänder der
Arbeit für das Wirtschaftsgebiet Brandenburg,
Dr. Daeschner, hat, nachdem die Frist zum
Erlaß von Betriebsordnungen am 30. Septem-
ber abgelaufen ist, die Vertrauensräte seines

Bezirks aufgefordert, ihm schnellstens sämtliche
Betriebe zu melden, die zum Erlaß einer Be-
triebsordnung verpflichtet, aber dieser Ver-
pflichtung nicht nachgekommen sind. Bei der
Meldung soll kurz angegeben werden, was der
Grund der Verzögerung ist und ob bereits Ver-
handlungen mit dem Vertrauensrat ausgenom-
men wurden.

Frankreich«
KanSorralwahlen
Wie denkt der französische Bürger? Welches
Bild macht sich eigentlich der Durchschnittsfran-
zose von den politischen Geschehnissen der jüng-
sten Vergangenheit? Die Tumulte auf der
Place de la Concorde am 6. Februar, die zum
Sturz der Linksregierung Daladier und zur
Bildung der Union nationale unter Doumer«
gue führten, geben ja nur höchst unvollkommen
Aufschluß über die seelische Verfassung der brei-
ten Volksschichten in Frankreich. Paris ist nicht
Frankreich! Die kleinen Weinbauern in Süd-
frankreich, die Industriearbeiter im Norden, di«
Fischer an der bretonischen Küste reagieren auf
politische Geschehnisse anders als die bündische«
Elemente von Paris.
Welche politische Meinung hat also heut« der
französische Bürger? Eine Antwort auf diese
Frage geben bereits die französischen Kanto-
nal w a h l e n, die am 7. und 14. Oktober abg«.
halten werden. Zum erstenmal seit den Kam-
merwahlen von 1832 nimmt der französische
Wähler zu den politischen Dingen Stellung. Wie
wird er sich entscheiden? Stellt er sich hinter die
von Doumergue propagierte Union national«
und bekräftigt er damit die von dem Minister-
präsidenten vorgeschlagenen Staatsreformmaß-
nahmen? Oder entscheidet er. sich für eine'aus-
gesprochene Linkspolitik, wie sie von der Front
commun der vereinigten Sozialisten und Kom-
munisten vertreten wird? Auf jeden Fall hängt
das weitere Schicksal der Regierung Doumergue
von dem Ausfall dieser Kantonalwahlen ab.
Kantonalwahlen blieben in ruhigen Zeiten
ziemlich unbemerkt. Die Lokalpolitik beschattet
sehr oft diese Kantonalwahlen. Der französische
Bürger entschied sich nicht auf Grund seines poli-
tischen Glaubensbekenntnisses, sondern im Hin-
blick auf besondere lokale Vorgänge. Die letzten
Monate haben aber nun das gesamte französische
Volk dermaßen politisiert, daß die Stimmabgabe
voraussichtlich ganz unter politischen
Gesichtspunkten erfolgen wird. Bei den
Kantonalwahlen muß man an die französisch«
Verwaltungsgliederung erinnern. Departement,
Arondissement, Kanton — in dieser Reihenfolge
baut sich die französische Verwaltung auf, wobei
dem Kanton als der kleinsten Verwaltungsein-
heit wahltechnisch die größte Bedeutung zu-
kommt. Alle drei Jahre müssen bei den Kanto-
nalwahlen die „Provinzialräte" ersetzt
werden, in diesem Jahre nicht weniger als 1452.
Diese abtretenden Abgeordneten verteilen sich
auf folgende politische Gruppen: Rechte 93, Re-
publikanische Demokraten (Rechtszentrum) 263,
Linksrepublikaner (Zentrum) 272, Radikals 384,
Gruppen des Linkszentrums 299, Sozialisten 125,
Kommunisten 16. In der Provinz haben also die.
Radikalen — die Partei Herriots — einen
ansehnlichen Besitzstand zu verteidigen. Diese
Verteidigung würde ihnen nicht schwer gefallen
sein unter der Voraussetzung, daß das berühmte
„Linkskartell" noch funktioniert Aber gerade
da liegt der Hase im Pfeffer. Herriot alr Sach-
walter der Nationalen Union kann mit einer
sozialistischen Unterstützung bei Stichwahl««
nicht mehr rechnen. Zum ersten Mal« wii v oa«
taktische Zusammenarbeiten von Sozialisten und
Kommunisten in die Erscheinung rrrt-n. Vox
dieser Seite aus erfolgt der heftigst« Vorstcch
gegen die Union nationale Doumergurs D« oie
Front commun über die Gewerkschaften nnd dr«
Beamtenverbände ziemlich breite Votr^schichke«
erfaßt, muß man mit starken Verschiebungen b«i
den Kantonalwahlen rechnen.
Freilich droht der Regierung Dounuergu««
noch keine unmittelbare Gefahr Das ratkräfti-e
Eintreten Doumergues für Ruhe und Ordnung
machte auf breite Volksschichten einen große« .
Eindruck. Wer von seinen Renten lebt — und
das sind immerhin sehr viele Franzosen —
sich kaum für die revolutionäre Front comman
entscheiden. Andererseits hat di« Wahl dr» radi-
kalen Parteiführers Thautemx« f,- den
Senat merkwürdigerweise gezeigt, datz
 
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