JEAN DE DINTEVILLE
1504-1555
Man hat mit Recht den Auftraggeber unseres Bildes
als das Muster eines französischen Edelmannes der
Epoche Franz’ I. bezeichnet. Noch steht er, durch Her-
kunft und Erziehung, fest in mittelalterlicher Tradition,
schon ist er, durch seinen beweglichen Geist und den Um-
gang mit vielen bedeutenden Männern seiner Zeit, den
modernen Ideen der Renaissance verpflichtet. Gewiß ist
Jean de Dinteville, Seigneur de Polisy, keine Persön-
lichkeit von weltgeschichtlichem Format gewesen, und
was er geleistet und erstrebt hat, tritt zurück hinter dem
einen Entschluß, sich von Holbein porträtieren zu lassen,
der allein ihn berühmt gemacht hat, aber sein Lebenslauf,
soweit er sich aus den Quellen erschließen läßt, ergibt
ein typisches Bild von Glanz und Schatten ehrenvoller
öffentlicher Tätigkeit, dauernder Gefährdung und künst-
lerisch-philosophisch verbrachter Muße der Großen jener
Zeit.
Schloß Polisy liegt in der Champagne, im ehemaligen
Herzogtum Burgund. Claude de Dinteville, der Groß-
vater des „Gesandten“, stand im Dienst Karls des Küh-
nen und fiel, an seines Herrn Seite kämpfend, mit ihm
1477 in der Schlacht von Nancy. Die burgundischen
Lande fielen an Frankreich, und Claudes Söhne beklei-
deten hohe französische Staatsämter: Jacques war unter
Ludwig XII. Stadtkommandant von Paris, Franjois
wurde Bischof von Auxerre, Pierre, der dem Johanniter-
orden angehörte, verteidigte als Seneschall von Rhodos
die Insel vergeblich gegen die Türken bei der denk-
würdigen Belagerung von 1522, Gaucher endlich, Jeans
Vater, war fast sein ganzes Leben hindurch dem fran-
zösischen Hof auf ehrenvollen Posten verbunden, er
begleitete Karl VIII. auf seinem Zuge nach Italien und
war Kommandant von Siena während der französischen
Besetzung der Stadt. Als Bailly von Troyes lebte er zu-
nächst auf seinem Schloß Thennelieres, dann auf Polisy.
Bailly, das ist der höchste juristische Kronbeamte eines
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1504-1555
Man hat mit Recht den Auftraggeber unseres Bildes
als das Muster eines französischen Edelmannes der
Epoche Franz’ I. bezeichnet. Noch steht er, durch Her-
kunft und Erziehung, fest in mittelalterlicher Tradition,
schon ist er, durch seinen beweglichen Geist und den Um-
gang mit vielen bedeutenden Männern seiner Zeit, den
modernen Ideen der Renaissance verpflichtet. Gewiß ist
Jean de Dinteville, Seigneur de Polisy, keine Persön-
lichkeit von weltgeschichtlichem Format gewesen, und
was er geleistet und erstrebt hat, tritt zurück hinter dem
einen Entschluß, sich von Holbein porträtieren zu lassen,
der allein ihn berühmt gemacht hat, aber sein Lebenslauf,
soweit er sich aus den Quellen erschließen läßt, ergibt
ein typisches Bild von Glanz und Schatten ehrenvoller
öffentlicher Tätigkeit, dauernder Gefährdung und künst-
lerisch-philosophisch verbrachter Muße der Großen jener
Zeit.
Schloß Polisy liegt in der Champagne, im ehemaligen
Herzogtum Burgund. Claude de Dinteville, der Groß-
vater des „Gesandten“, stand im Dienst Karls des Küh-
nen und fiel, an seines Herrn Seite kämpfend, mit ihm
1477 in der Schlacht von Nancy. Die burgundischen
Lande fielen an Frankreich, und Claudes Söhne beklei-
deten hohe französische Staatsämter: Jacques war unter
Ludwig XII. Stadtkommandant von Paris, Franjois
wurde Bischof von Auxerre, Pierre, der dem Johanniter-
orden angehörte, verteidigte als Seneschall von Rhodos
die Insel vergeblich gegen die Türken bei der denk-
würdigen Belagerung von 1522, Gaucher endlich, Jeans
Vater, war fast sein ganzes Leben hindurch dem fran-
zösischen Hof auf ehrenvollen Posten verbunden, er
begleitete Karl VIII. auf seinem Zuge nach Italien und
war Kommandant von Siena während der französischen
Besetzung der Stadt. Als Bailly von Troyes lebte er zu-
nächst auf seinem Schloß Thennelieres, dann auf Polisy.
Bailly, das ist der höchste juristische Kronbeamte eines
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