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Karl Ernst Henrici <Berlin> [Hrsg.]
Arnim und Brentano, Des Knaben Wunderhorn: Handschriftliches aus dem Nachlaß der Bettine v. Arnim ; Besichtigung: Freitag, den 22. März 1929 ..., Versteigerung: Sonnabend, den 23. März 1929 ... (Katalog Nr. 149) — Berlin, [1929]

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https://doi.org/10.11588/diglit.17001#0012
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1829 hatte er sich in Leipzig entschlossen, nach München zu reisen, von da Wien aufzusuchen
und über Prag heimzukehren. München und Wien hatte er seit 1802 nicht wiedergesehen. Von
Leipzig auserfolgte die Reise über Borna, Chemnitz, Zwickau, Hof, Nürnberg, Augsburg, zunächst
nach München. Er vermerkt u. a.: „Der Reisende meint auf Brandstätten zu kommen,
soviel Schutt erscheint neben den neuen Gebäuden. Die Residenz hat doch etwas, als ob sie
nicht aufgegangen wäre. Die Säle malt Schnorr. 10 Jahre Arbeit. — König Max. Die
Constitution und das Oktoberfest sind, wenn auch nicht von ihm ersonnen doch für ihn, be-
sonders die Einleitung zu jener . . . dauernde Zeichen seines Wohlwollens. Besonders bey dem
Oktoberfeste fühlt man die Volksgesinnung, welche grosse Interessen des Landes mit dem Ver-
gnügen und Wohlleben des Volkes verknüpft. — Oktoberfest. Die Eifrigen wünschen
dabey ein religiöses Fest, aber niemand sonst vermisst es, da jeder vorher sehr bequem die
Kirche besuchen kann, ein christliches Religionsfest im Freyen unter grosser Schwierigkeit,
das wohl gar unmöglich scheint bey einer so zufälligen gemischten Versammlung von 70 000
Seelen." Die Reise ging dann weiter über Salzburg, Berchtesgaden, Lambach, Linz bis W i e n.
Ueber das Zeughaus daselbst wird von Achim vermerkt: „Später eingerichtet als das Ber-
liner von Maria Theresia nach dem siebenjährigen Kriege." Ueber Prag, Lowositz, Töplitz,
Dresden (wo als Neuigkeit die „Gasbeleuchtung" erwähnt wird) und Elsterwerda
ging es wieder heim nach Wiepersdorf.

20 Taschenbuch. Eigh. Manuskript, zum grössten Teile Sentenzen und zeitgemässe mora-
lische Betrachtungen. Etwa 195 Seiten. 8°. (Die übrigen Seiten leer.) 1811. Pergament-
band (Brieftasche) mit Verschlussklappe.

Interessanter Inhalt. Zum grössten Teile philosophische Betrachtungen über literarische
und sonstige Zeitgenossen. Bemerkungen allgemeiner Natur werfen auf die psychologische
Einstellung Arnims bezeichnende Schlaglichter. Aus dem Inhalt des Manuskriptes seien einige
Stellen nachfolgend erwähnt: „Vielleicht ist es schön in Göthe, dass er die Kraft seiner Worte
nicht kennt, die so vieles gut machen können, mir ist es eine traurige Erfahrung, ich habe schon
schlimmere gemacht; warum versteht er es aber wie die alten Poeten ein solches Aufheben in
Kleinigkeiten zu machen und merkt Goethe es nicht?" — „Es wird gesagt, Kleist sei gestorben,
wie er selbst von zwey Liebenden erzählt; hartes Loos, wenn ein Dichter alles selbst erleben
müsste, was er für andre ausgedacht, fast wie der Künstler, der den Ochsen des Phalaris ge-
gossen und selbst zuerst darin gebraten wurde, auch Hesse sich vielleicht von manchem Dichter
wie von Wolfdietrich sagen, dass ihn die Gerippe derer erschlagen, die er während seines Lebens
vom Leben zum Tode gebracht. Dichter müssten sich viel Kinder zum Schutz dagegen schaffen."
— „Bis in unsrer Zeit alle conscribirt sind, wird jeder über die Zeit scribiren wollen und gegen
die Zeit conspiriren." — „Das Beste kommt aus der Einsamkeit einer thätigen Seele und die
gesellige Berührung kann doch meist nur sichern und sichten." — „Es ist ein grosses Unglück,
für Deutschland gewesen, dass poetische Gemüther sich häufig für wissenschaftlich gehalten
haben, daraus die spielenden Staatswirtschaften und die Arzneibücher, worin von alten Statuen
gefaselt wird." — „Die Souveränität ist eine Dummheit und darum ansteckend, es gehört sehr
viel Klugheit dazu, um einzusehen, dass nicht alles gescheidt ist, was man will." — „An den
Grenzen des Lebens verlassen uns die irdischen Sorgen milde, aber auch die irdischen Künste
treten in Schatten."

21 — Notizbuch mit zahlreichen eigh. Aufsätzen und Betrachtungen über
Geschichte, Staatswissenschaft, Politik, Philosophie, Kunst und Literatur, von Achim
zwecks späterer Ausarbeitung verfasst. 188 Seiten. (Die übrigen Seiten sind leer.) 8°.
In dunkelgrünem Lederband mit Rotschnitt.

Nachfolgend einige Proben aus dem Inhalte des Notizbuches: „Es muss jedes Volk, um
verträglich seyn zu können einen gewissen Raum zu seiner Ausdehnung haben, sonst sprengt
es wie ein Keil die übrigen oder wird gespalten, darum die Nothwendigkeit der Kolonie, darum
wäre Deutschland, wenn es vereinigt, ohne Colonie gefährlich." — „Der lebendigste Mensch
scheint wohl der edelste zu seyn, auch scheint daraus der Adel entstanden zu seyn, die Sorgfalt,
die sie auf die Erhaltung und Vergrösserung ihrer Familien gehegt, hat diesen edleren Baum
erhalten und verbreitet, ja das Recht der ersten Nacht in Frankreich war in dieser Rücksicht
sehr weise. Also nur da, wo kein Unterschied mehr statt findet ist es gut und natürlich, den
Adel abzuschaffen, man kann sagen, dies war in Frankreich, in einigen Theilen von Deutschland
hat er auf diese Art so ganz das Auszeichnende verloren, dass er eigentlich nur in der Verfassung
und Rechten etwas gilt. Der Adel muss nie als eine blos künstliche Einrichtung aus der Idee an-
gesehen werden, er kommt vom Blut, er ist eine veredelte Rasse." — „Warum soll eine Jury
richtiger urtheilen als eine Versammlung Richter? Aber es kommt alles auf die Ueberzeugungan
des Volkes, diese genügt zur Verdammung eines Unschuldigen, es ist dann ein Unglück, das
ihn trifft wie einen Scheintodten begraben zu werden. Von der Ueberzeugung hängt es ab,
ob einer für lebend zu halten." — „Kann die Zeit je wiedergeben, was man in ihr verliert, kann
sie überhaupt geben, was sie verspricht!" — „Wenn die Schauspieler sich traurig darstellen

Auktionskatalog 149. Karl Ernst Heririci; Berlin W. 35.
 
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