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Hertel, Carl [Hrsg.]; Schneider, Friedrich [Hrsg.]
Die Katharinen-Kirche zu Oppenheim und ihre Denkmäler — Mainz, 1877

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https://doi.org/10.11588/diglit.18865#0027
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sehr reiche Mittel verfügt haben, denn selbst nach Vollendung des aufwendigen Neubaues ist es in der
Lage, 1448 dem Herzog Stephan von Veldenz und seinen Söhnen ein für jene Zeit beträchtliches Dar-
lehen von tausend Gulden zu machen. An einen Umbau der bestehenden Theile war nun nicht zu
denken; man begnügte sich darum damit, dem ganz bestimmt vorliegenden Erforderniss abzuhelfen: dies
waren die Zwecke des Chorgottesdienstes der Stiftsgeistlichkeit. Die Nähe doppelchöriger Kirchen, wie die
Dome zu Mainz und Worms, sowie die Stiftskirche St. Stephan zu Mainz dürfte wohl zu der Auskunft
geführt haben, zu welcher man sich durch Anlage eines westlichen Chores entschloss. Ein mächtiger
einschiffiger Bau, dessen Dachgesims schon bis zum First des alten Mittelschiffes sich erhob, aus zwei
Jochen bestehend mit fünfseitigem Sehluss wurde gegen Westen vorgelegt. Die alten Thürme waren
nunmehr zwischen die östlichen Theile und den westlichen Neubau eingeschlossen. Strebepfeiler, deren
letzte Abtreppung über Eck gestellt war und reich entwickelt in Fialen überging, gliederten nach Aussen
den Bau. Sechstheiliges Masswerk, das auf halber Höhe von einem wagrechten Steg unterbrochen ward,
füllte die riesigen Fensteröffnungen, und ein zierreiches Sterngewölbe, dessen Anfänge trefflich konstruirt
aus vertikalen Steinwandungen bestehen, überdeckt den weiten, luftigen Bau. Am Tage der Apostel
Simon und Judas, 28. Oktober 1439 ward der neue Bau durch den Mainzer Weihbischof Johannes feier-
lich geweiht. Wie lange Zeit die Bauführung in Anspruch genommen, ist unbekannt, ebenso wer der
Meister gewesen. Indess bezeugen eine Anzahl von Bauten der nächsten Umgebung, dass der Baumeister
sicher dem Mainz-Frankfurter Gebiete muss angehört haben. Eine Reihe verwandter Beispiele, die in Rhein-
hessen und dem Rhein- und Maingau uns erhalten sind, beweisen für eine vielbeschäftigte, sehr achtungs-
werthe Lokalschule in dieser Zeit. Weil dem späteren Mittelalter angehörig, wurde durchweg dem West-
chore bis dahin eine geringere Beachtung zu Theil; die glänzende Aussenseite der Schiffarchitektur ver-
dunkelte die anscheinend schlichte Leistung des 15. Jahrhunderts. In der That ist aber dieses späte Werk
der Gothik die Schöpfung eines hervorragenden Meisters; die Kühnheit der Anlage verbunden mit einer
höchst massvollen, aber durchaus edlen Ausstattung und einer vollendeten technischen Durchführung sichern
dem Bau eine hervorragende Stellung in der Reihe der Denkmale der Spätzeit.

An die Vollendung des Westchores reihte sich die Erhöhung des alten Thurmpaares. Der
mittelrheinischen Gewohnheit entsprechend schloss man den viereckigen Unterbau wie an dem südlichen
Thurme mit einer Gallerie und liess dahinter unvermittelt ein achteckiges Stockwerk mit hohem Holz-
hehn aufsteigen. Nähere Angaben über die Bauzeit dieser Theile liegen nicht vor.

Als letzte Leistung aus der Zeit der Gothik ist endlich noch die zweigeschossige Kirchhof-
kapelle an der Nordseite zu erwähnen. Auffallend ist daran das nicht mehr aus der Kreisform, sondern
winklich gebildete Masswerk. Als beachtenswerther Rest ihrer ornamentalen Ausstattung verdient die
auf einer Säule vorgekragte Todtenleuchte erwähnt zu werden.

So hatte über zwei Jahrhunderte hindurch der glaubenseifrige und opferbereite Sinn sich an
dem Bau, an der Erweiterung und dem Schmuck der herrlichen Kirche bewährt. Selbst die religiösen
Wirren des 16. Jahrhunderts gingen an dem Bau im Grossen und Ganzen ohne tiefgreifende Schädigung
 
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