4. Kapitel.
Tizian und Giorgione.
Man pflegt die erste Zeit der künstlerischen Tätigkeit Tizians,
bis zur Himmlischen und irdischen Liebe etwa, seine giorgioneske
zu nennen. Dolce1 und Vasari2 erzählen, Tizian habe sich nach
einer Lehrzeit bei verschiedenen Malern der älteren Generation
schließlich dem Giorgione angeschlossen und diesem bald so treff-
lich nachgeeifert, daß man bisweilen die Bilder des einen für die
des andern gehalten habe. Auch ohne diese Erzählung würden
wir in den frühen Bildern Tizians Giorgiones Einfluß erkennen.
Indessen muß man sich hüten, diesen Einfluß, wie es gelegentlich
geschieht, so stark zu betonen, daß die Vorstellung geweckt wird,
als sei Tizian anfangs ohne Selbständigkeit, nur eine Kreatur Gior-
giones gewesen. Es geht zu weit, wenn Phillips den Trionfo della
Fede, weil er darin nichts von Giorgione findet, als eine Ausnahme
bezeichnet3; und wenn es auch wahr sein wird, daß das venezia-
nische Publikum Tizian mit Giorgione manchmal verwechselt hat,
und wenn auch heute noch manche Bilder zwischen den beiden
strittig sind, so wird ein aufmerksamer Betrachter schließlich doch
dahin gelangen, die Grenze mit Schärfe zu ziehen und den bewußten
Verzicht Justisj4 als ungerechtfertigt zu empfinden. Wir haben schon
bei der Analyse der Fondacofresken gesehen, daß sich der Anteil
Tizians deutlich von dem Giorgiones unterschied. Jetzt, nachdem
wir alle frühen Bilder besprochen haben, können wir unter Hinzu-
ziehung weiterer Bilder Giorgiones die Scheidung vollkommener
durchführen. Erst wenn dies geschehen ist, dürfen wir hoffen, Art
und Stärke des Einflusses, den Giorgione auf Tizian ausgeübt hat,
1 A. a. 0. S. 97/98.
2 VII S. 428 und 430.
3 Vgl. S. 24.
1 Vgl. S. 54 Anm. 1.
Tizian und Giorgione.
Man pflegt die erste Zeit der künstlerischen Tätigkeit Tizians,
bis zur Himmlischen und irdischen Liebe etwa, seine giorgioneske
zu nennen. Dolce1 und Vasari2 erzählen, Tizian habe sich nach
einer Lehrzeit bei verschiedenen Malern der älteren Generation
schließlich dem Giorgione angeschlossen und diesem bald so treff-
lich nachgeeifert, daß man bisweilen die Bilder des einen für die
des andern gehalten habe. Auch ohne diese Erzählung würden
wir in den frühen Bildern Tizians Giorgiones Einfluß erkennen.
Indessen muß man sich hüten, diesen Einfluß, wie es gelegentlich
geschieht, so stark zu betonen, daß die Vorstellung geweckt wird,
als sei Tizian anfangs ohne Selbständigkeit, nur eine Kreatur Gior-
giones gewesen. Es geht zu weit, wenn Phillips den Trionfo della
Fede, weil er darin nichts von Giorgione findet, als eine Ausnahme
bezeichnet3; und wenn es auch wahr sein wird, daß das venezia-
nische Publikum Tizian mit Giorgione manchmal verwechselt hat,
und wenn auch heute noch manche Bilder zwischen den beiden
strittig sind, so wird ein aufmerksamer Betrachter schließlich doch
dahin gelangen, die Grenze mit Schärfe zu ziehen und den bewußten
Verzicht Justisj4 als ungerechtfertigt zu empfinden. Wir haben schon
bei der Analyse der Fondacofresken gesehen, daß sich der Anteil
Tizians deutlich von dem Giorgiones unterschied. Jetzt, nachdem
wir alle frühen Bilder besprochen haben, können wir unter Hinzu-
ziehung weiterer Bilder Giorgiones die Scheidung vollkommener
durchführen. Erst wenn dies geschehen ist, dürfen wir hoffen, Art
und Stärke des Einflusses, den Giorgione auf Tizian ausgeübt hat,
1 A. a. 0. S. 97/98.
2 VII S. 428 und 430.
3 Vgl. S. 24.
1 Vgl. S. 54 Anm. 1.