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seines jeweiligen Aufenthaltsortes anzupassen suchte und sich in den
Niederlanden Moring, in Konstanz aber Morinck schrieb, so entspricht dies
durchaus einer Sitte der Zeit.
Weit wichtiger als die Orthographie des Namens ist eine weitere
Frage, zu der obige Stelle des Insassenbuches Veranlassung bietet. Woher
stammt der Künstler? „Aus dem 'Niderland“ heisst es da. Bei seiner
Aufnahme zum Bürger lesen wir aber „ein Bildhower von Kernthen“!
Hier, wo die Archivalien uns im Stiche lassen, müssen wir den Künstler
selbst, d. h. seine Werke fragen; und da schwindet denn alsbald jeder
Zweifel. Ein einziges Werk, die Kreuztragung im Chor der Stefanskirche
zu Konstanz genügt zur Entscheidung.
Das sind keine römischen Kriegsknechte, die zur Kreuzigung des
Heilandes ausziehen, sondern biedere Aelpler, wie sie heute noch im
Kärntner Lande auf stolzer Höhe nicht ohne Gefahr der stiefmütterlichen
Natur ihren kargen Lebensbedarf abringen. Aber trotz allen Gefahren,
die der Aelpler zu überstehen hat, ist er lebensfrisch und von der heiter-
sten Laune. Die Gruppe der drei Männer rechts ist besonders charak-
teristisch und, für sich allein betrachtet, eine vollendete Genredarstellung.
Man fühlt es dem Künstler lebhaft nach, wie er hier mit grossem Behagen
und treuer Anhänglichkeit an die ferne Muttererde seine Jugenderinner-
ungen künstlerisch verwerthete.
In der Kärntner Litteratur konnte ich den Namen Morinck nicht
finden. Herr k. k. Gustos Dr. Laschitzer in Klagenfurt hatte die Güte,
mir auf eine Anfrage durch Herrn Archivar v. Jaksch Folgendes mittheilen
zu lassen: „Aus unseren Repertorien theile ich mit, dass sich nur 1524
October 4 ein Wolfgang Moringer nachweisen lässt. Derselbe war bis
dahin landesfürstlicher Aufschläger (= Zöllner, Mauthner) in Unter-Tarvis.“
Vielleicht war dies des Künstlers Grossvater?
Weitere Nachforschungen in Kärnten selbst muss ich einer späteren
Zeit, vielleicht auch einer anderen Hand überlassen.
Morinck wird alter Sitte gemäss nach dreijähriger Lehrzeit, vielleicht
im Alter von 18 Jahren, die Heimat verlassen haben. Ein Blick auf die
Landkarte zeigt, wohin ihn zunächst naturgemäss der Weg führte. Italien,
das gelobte Land der Kunst, war sein Ziel. Auch hier bilden die Werke
den alleinigen, aber sicheren Beweis. Auf Michelangelo’s Einfluss wird
noch zurückzukommen sein; hier möge ein eclatanter Fall genügen, der
die Anwesenheit des Künstlers in Rom und seine Bekanntschaft mit
Michelangelo’s Kunst geradezu bedingt. Bei der Cönadarstellung am Sacra-
mentsliäuschen in der Stephanskirche ist einem Apostel die Gestalt
des Moses von Michelangelo gegeben. Derselbe Kopf, derselbe lang herab-
wallende Bart und das Auffallendste, dieselbe momentane Bewegung der
Hand, die durch den Bart fährt und so gewissermaassen der stürmischen
Bewegung des Kopfes ein Gegengewicht bietet. Einer derartigen Nach-
empfindung muss Autopsie und Studium am Originale vorangegangen sein.
Die Dauer des Aufenthaltes in Italien kennen wir ebensowenig wie
 
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