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eine Stiftung handelt. Paramente und nothwendige Reparaturen konnte
die erschöpfte Kasse nur noch leisten. Die Altäre aber verdanken ihre
Entstehung in jener Zeit ausschliesslich dem mildthätigen Sinne von Dom-
herren und Patriziern. Die Protokolle des Domstiftes Konstanz im General-
landesarchiv in Karlsruhe hat Herr Dr. jur. Beyerle jr. durchgesehen, ohne
den Namen „Morinck“ zu finden.
Epitaph der Frau Morinck (Fig. 1)
1591, einst an der nördlichen Aussenseite des Chores von St. Stefan in
Konstanz, jetzt im Innern desselben auf der Evangelienseite in die Wand
eingelassen, in einigen Theilen ergänzt (die angeflickte Stirn des Engels
links ist völlig misslungen und verdirbt das sonst reizvolle Köpfchen) und
mit einem dicken dunkelgrauen Oelfarbanstrich versehen. Höhe 1,15 m,
Breite 0,92 m. Die gothische Minuskelinschrift lautet:
Anno 1591. Den 23 December Ist In Gott
Sellig Entshlaffen Die Erbar vnd Dugentsam
Frow Effrasina Hareisein Des Erbareu Hans Morinck
Bildhowers Gewesne Hausfrow Der
Allmechttig Gott Welle Ihr vnd Alen
Cristglobigen Selen gnedig Sein.
Wir sind in der überaus glücklichen Lage, hier ein absolut sicher be-
glaubigtes eigenhändiges Werk unseres Künstlers zu besitzen, zugleich sein
schönstes, und von einer erhabenen Grösse, wie sie die deutsche Kunst des
ausgehenden 16. Jahrhunderts sonst kaum aufzuweisen hat. Schon Berg-
mann,24) der dieses Werk noch an seinem ursprünglichen Platze sah (1825),
erkannte die Bedeutung desselben, indem er es „in Hinsicht auf Anord-
nung und Vollendung zu den schönsten Arbeiten des Künstlers“ rechnete.
Marmor25) bediente sich derselben Worte.
Die Grundform der Composition, einer Pietä, ist ein gleicharmiges
Kreuz, dessen senkrechte Linie von Maria mit dem Sohn im Schosse ge-
bildet wird, die horizontale von zwei nackten Engeln, welche die aus-
gestreckten Arme des Toten halten, eine bei aller Einfachheit grossartige
und durch die allseitige Symmetrie vollendete Darstellung; dazu berückende
Formen im Einzelnen.
Der nackte Leichnam ist ein anatomisches Kunststück; jeder Muskel
ist in richtiger Form an seinem richtigen Platz auf dem wohlverstandenen
Knochengerüste aufgebaut, und wie ein Schleier überzieht das Ganze eine
wunderbar feine Epidermis, die ihre Durchsichtigkeit trotz des dicken
Oelfarbanstriches bewahrt hat.
Im Antlitz des Todten ist der allerhöchste Grad von Schmerz zum
Ausdruck gebracht, es ist der Schmerz des Künstlers selbst, der ihn am
2l) Siehe Anmk. 4.
25 Topographie von Konstanz. Konst. 1860.

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