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Johannes; unter den Armen des Crucifixus und zu dessen Füssen ist je
ein schwebender Engel mit einem Kelch in der ausgestreckten Rechten
dargestellt, eine althergebrachte Composition, wie sie in der Malerei, be-
sonders in der oberdeutschen, in vielen Exemplaren auf uns gekommen
ist. Der Leichnam Christi, hier das einzige von Morinck selbst Ausge-
führte, verräth in dem liebevoll durchgebildeten, und stark accentuirten
Muskelspiel unsern Künstler. Der Oberkörper ist etwas, Hals und Kopf
stark, beinahe bis zu horizontaler Lage nach links gewendet, und dieser
starken Wendung folgend, wurde der linke Kreuzesarm um ein beträcht-
liches Stück länger als der rechte. Die damalige Zeit gewährte derartige
Licenzen.
Im Kopf hat sich der Künstler bei der naturalistischen Darstellung
des inneren Schmerzes in Folge des kleinen Maassstabes ins Kleinliche
verloren. Die wellenförmig bewegten Augenbrauen, der nach abwärts ge-
zogene Oberlippenbart, die Gesichtsfurchen, all dies auf einem äusserst
kleinen Raum beisammen, es fehlt der geringste Ruhepunkt für das be-
trachtende Auge. Die Nase ist abgeschlagen. Am Hals ist durch eine
gerade Linie in nicht ganz richtigem Verlauf die Kopfschlagader ange-
geben, eine kleine Eigenthümliehkeit, die dadurch von Interesse wird, dass
sie sich an allen Werken unseres Meisters wiederholt. Die Hände und
die aufeinandergelegten Füsse sind durchbohrt. Die nicht mehr vor-
handenen Nägel waren aus Holz, wie der noch in seinem Loch steckende
Stiel des Fussnagels zeigt. Die Nagelköpfe waren vierkantig gleich denen
im Werkzeugskorb auf anderen Tafeln und vergoldet. Das in den Boden
eingelassene Kreuz, zu dessen Füssen ein schlecht gebildeter Schädel
liegt, ist vollkantig geschnitten und gezimmert und an der überblatteten
Vierung durch vier Schrauben zusammengehalten; an unwesentlichen
Häckchen erkennt man den anonymen Schreiber.
Von besonderem Interesse ist das Lendentuch, das aus dickem Stoff
in schweren eckigen Falten um den Körper gelegt, rechts hinten geknotet
ist und in zwei freien Enden nach beiden Seiten etwas vom Winde be-
wegt absteht. Die Behandlung der Falten hier genügt, um das Werk als
das zeitlich erste von allen bekannten zu bezeichnen. Ungleich schlechter,
geradezu hölzern sind die Gewänder der beiden andern Figuren, die sich
schon dadurch auf den ersten Blick als Schülerarbeiten erkennen lassen.
Maria ist in ein schweres faltenreiches Gewand gehüllt, das über dem halb-
rechts gewendeten Kopf haubenartig zusammengezogen ist. Sie hält die
Hände über der Brust gekreuzt, ohne sonst auf irgend eine Weise Antheil
am Vorgang zu nehmen.
Sehr misslungen sind die Beine, die in paralleler Stellung beide
gleich lang sind, obwohl das eine als Spielbein behandelt eingeknickt und
also in Wirklichkeit viel länger als das Standbein wäre. Die Figur droht
umzufallen.
An der correspondirenden Stelle der andern Seite steht in ebenso
schwerem faltigem Gewand Johannes, in der linken herabhängenden Hand
 
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