bundenen Wissenschaft der Liebe bezeichnend; sie wurde von ihren
Schöpfern, den provenzalischen Troubadours, “saber de drudaria“
genannt. Die Liebe ist hier weniger ein Gegenstand des Gefühls als
ein Gegenstand der ratio und des Witzes. Spitzfindige Erörterungen
der subtilsten Fragen der Minne werden zu einem geistigen Be-
dürfnis, aus dem die große Literatur der Minnekasuistik empor-
wächst, die Literatur, die sich mit besonderen “Fällen“ der Minne
beschäftigt.
Der dialektische Geist dringt in die verfeinerte höfische Ge-
sellschaft ein: man begeistert sich an metaphysischen Diskussionen
und macht daraus einen Zeitvertreib, ein Gesellschaftsspiel. Minne-
fragen, “demandes d’amors“, bilden den Gegenstand solcher Ge-
sellschaftsspiele, der provenzalischen “joc d’amor“. Die Gesell-
schaft durch Stellen solcher Minnefragen zu unterhalten, gehörte
mit zu den Obliegenheiten der Spielleute, der “jogleors“. Im Nord-
französischen ist das seit dem 13. Jahrhundert häufig erwähnte
Spiel “au roy qui ne ment“ das bekannteste4. Man übertrumpft sich
in der Fragestellung an Spitzfindigkeit und Absurdität. Ein cha-
rakteristisches Beispiel für die Entartung der zur Diskussion ge-
stellten Themen ist der Streit Thibaut’s de Champagne mit einem
gewissen Baudouin, der sich darum dreht, ob der Liebende eine
Dame, der er lange gedient hat, und die ihn endlich belohnen will,
auf den Mund oder auf die Füße küssen soll5.
Die lyrischen Ausdrucksformen, die sich die Troubadoure zur
Erörterung der mannigfaltigen Streitsätze der Wissenschaft der
Liebe schufen, sind die Tenzone und das Jeu-parti. Beide Formen
sind von der nordfranzösischen Dichtung übernommen worden,
aber sie sind der Zahl der überlieferten Werke nach hier weniger
gepflegt worden als der Debat, der eine Mischform aus epischen,
lyrischen und dramatischen Elementen ist, “une sorte de developpe-
ment tout nouveau des anciens jeux-partis“6.
Aus der ursprünglich knapp gefaßten demande d’amour, die
sich auf Frage und Antwort beschränkte, entwickelt sich all-
mählich die lang ausgesponnene Erörterung, das Minnegespräch,
der debat amoureux, der an keine bestimmte äußere Form ge-
bunden, in Reimen oder in Prosa abgefaßt ist. Das Interesse an
psychologischen Dingen, das Streben nach definitorischer Klar-
heit, eine auffallende Neigung zum Förmlichen und Gesellschaft-
lichen machen den debat amoureux zu einer Form, die für die
mittelalterliche Denkweise und den französischen Geist besonders
charakteristisch ist. Hier kommt das scholastische Interesse an
4 Klein, Alexander, Die altfranzösischen Minnefragen, Mar-
burg 1911.
5 u. a. findet man eine reichhaltige Zusammenstellung solcher Streit-
fragen in von Aretin, Aussprüche der Minnegerichte, München 1807.
6 Paris, Gaston, Francois Villon, Paris 1901, p. 92.
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Schöpfern, den provenzalischen Troubadours, “saber de drudaria“
genannt. Die Liebe ist hier weniger ein Gegenstand des Gefühls als
ein Gegenstand der ratio und des Witzes. Spitzfindige Erörterungen
der subtilsten Fragen der Minne werden zu einem geistigen Be-
dürfnis, aus dem die große Literatur der Minnekasuistik empor-
wächst, die Literatur, die sich mit besonderen “Fällen“ der Minne
beschäftigt.
Der dialektische Geist dringt in die verfeinerte höfische Ge-
sellschaft ein: man begeistert sich an metaphysischen Diskussionen
und macht daraus einen Zeitvertreib, ein Gesellschaftsspiel. Minne-
fragen, “demandes d’amors“, bilden den Gegenstand solcher Ge-
sellschaftsspiele, der provenzalischen “joc d’amor“. Die Gesell-
schaft durch Stellen solcher Minnefragen zu unterhalten, gehörte
mit zu den Obliegenheiten der Spielleute, der “jogleors“. Im Nord-
französischen ist das seit dem 13. Jahrhundert häufig erwähnte
Spiel “au roy qui ne ment“ das bekannteste4. Man übertrumpft sich
in der Fragestellung an Spitzfindigkeit und Absurdität. Ein cha-
rakteristisches Beispiel für die Entartung der zur Diskussion ge-
stellten Themen ist der Streit Thibaut’s de Champagne mit einem
gewissen Baudouin, der sich darum dreht, ob der Liebende eine
Dame, der er lange gedient hat, und die ihn endlich belohnen will,
auf den Mund oder auf die Füße küssen soll5.
Die lyrischen Ausdrucksformen, die sich die Troubadoure zur
Erörterung der mannigfaltigen Streitsätze der Wissenschaft der
Liebe schufen, sind die Tenzone und das Jeu-parti. Beide Formen
sind von der nordfranzösischen Dichtung übernommen worden,
aber sie sind der Zahl der überlieferten Werke nach hier weniger
gepflegt worden als der Debat, der eine Mischform aus epischen,
lyrischen und dramatischen Elementen ist, “une sorte de developpe-
ment tout nouveau des anciens jeux-partis“6.
Aus der ursprünglich knapp gefaßten demande d’amour, die
sich auf Frage und Antwort beschränkte, entwickelt sich all-
mählich die lang ausgesponnene Erörterung, das Minnegespräch,
der debat amoureux, der an keine bestimmte äußere Form ge-
bunden, in Reimen oder in Prosa abgefaßt ist. Das Interesse an
psychologischen Dingen, das Streben nach definitorischer Klar-
heit, eine auffallende Neigung zum Förmlichen und Gesellschaft-
lichen machen den debat amoureux zu einer Form, die für die
mittelalterliche Denkweise und den französischen Geist besonders
charakteristisch ist. Hier kommt das scholastische Interesse an
4 Klein, Alexander, Die altfranzösischen Minnefragen, Mar-
burg 1911.
5 u. a. findet man eine reichhaltige Zusammenstellung solcher Streit-
fragen in von Aretin, Aussprüche der Minnegerichte, München 1807.
6 Paris, Gaston, Francois Villon, Paris 1901, p. 92.
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