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Hirschel, Grete
Le livre des Quatre Dames von Alain Chartier: Studien zur französischen Minnekasuistik des Mittelalters — Heidelberg, 1930

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https://doi.org/10.11588/diglit.51682#0030
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Position eine gewisse Concinnität verleiht. Ebenso entsprechen
sich der landschaftliche Rahmen am Anfang und der Widmungs-
rahmen am Schluß. Offen mit seiner Dame zu sprechen, wagt der
Dichter nicht, denn eine Zurückweisung wäre sein Tod. Es ist
bald ein Jahr, seit Amours ihn verwundete. Nie wird sie sich zu
ihm herablassen. Eines Tages hat er zu sagen gewagt, daß der
Liebende wohl ein Jahr in Ungewißheit schweben müsse. Nun
ist das Jahr bald vorbei. Diese Zeitangabe steht im Widerspruch
zu V. 333, wo der Dichter sagt, daß er seiner Dame schon zwei
Jahre diene. Das zeigt wieder, wie wenig es ihm im Grunde
auf diese Dinge ankam. Die Schilderung seiner Liebe ist ganz
unpersönlich und auf das Formelhafte beschränkt.
Die Damen wollen sich also dem Urteil unterwerfen, sie weinen
beim Abschied und strecken dem Dichter die Hände entgegen, als
sie sich an einem Kreuzweg von ihm trennen. Er kehrt nach
Paris zurück, von dem es in charakteristischer Weise heißt: “Car
sanz y estre ung bon jour n’ay“88. Er kehrt dahin zurück, um
seiner Dame das Buch zu überreichen. Sie wird es nicht zurück-
weisen und urteilen. Er begleitet das Buch mit einem Brief, der
geschickt und anmutig die Komposition abschließt und die Wid-
mung an die Dame enthält. Möge sie das Buch lesen und sich
dabei des Boten erinnern und ebenso in seinem Herzen lesen.
Wenn irgend etwas gut an dem Buche ist, so ist das nur Amours
zuzuschreiben, die ihn veranlaßt hat, das Buch seiner Dame zuliebe
zu verfassen. Er liefert sich ganz ihrer Willkür aus: “Faictes du
voustre a vostre guise“89.
XV.
Der Schluß, ebenso konventionell wie der einleitende land-
schaftliche Rahmen, dessen Betrachtung der folgende Abschnitt
gewidmet ist, entbehrt nicht einer Anmut die nicht zuletzt der
Eleganz und Leichtigkeit der Diktion entspringt.
“Le Livre des quatre Dames“ weist also äußerlich das übliche
Kompositionsschema eines debat amoureux auf: Der landschaft-
liche Rahmen am Anfang, das Streitgespräch, die Widmung am
Schluß. Doch hat Chartier, wie hoffentlich aus dem vorher-
gehenden deutlich geworden ist diese alte Form mit neuem Ideen-
gehalt erfüllt und dadurch eine originelle Verbindung von debat
amoureux, debat patriotique und debat didactique geschaffen. “Le
Livre des quatre Dames“ steht am Anfang von Chartiers
Schaffen und trägt im Keim die Züge seiner schriftstellerischen
Wesensart in sich, die einerseits in der “Belle dame Sans mercy“90,
anderseits im “Quadrilogue invectif“91 ihren Höhepunkt erreicht.
88 V. 3064.
89 V. 3143.
90 Oeuvres, ed. par Andre Du Chesne, Paris 1617, pag. 502—523.
01 Le Quadrilogue invectif, edite par E. Droz, Paris 1923.

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