Die Legende um Heinke
Willst du dich deines Werthes freuen,
So mußt der Welt du Werth verleihen —
ein wohl gemeinter, offenbar auf des Jünglings Indivi-
dualität berechneter Rat, dem dieser als trübes Resultat
seiner Lebenserfahrung in seinem letzten Studienband
„Senilia“ das Wort entgegensetzte: „Die Welt ist, wie
Figura zeigt: ich möchte nur wissen, wer etwas davon hat!"
Die Sieger von Leipzig.
Die Kriegsereignisse 1815 zogen Weimar nicht so in
Mitleidenschaft, wie der Zusammenbruch 1806. Die Schlacht
bei Leipzig war geschlagen, Napoleon zog sich langsam
nach Westen zurück, verfolgt von den Truppen der Ver-
bündeten, die den Herzog von Sachsen-Weimar nicht all-
zusehr entgelten ließen, daß er, der Not gehorchend, seit
1806 dem Rheinbund angehört und dadurch Gnade vor
Napoleon gefunden hatte. Aber Wochen hindurch gab
es Einquartirung, die sogar Goethes Haus mit Gewalt
bedrohte, und auf den Straßen Weimars wämmelte es
von deutschen und russischen Uniformen; Fürsten and
Heerführer wechselten als Gäste des Schlosses einander ab.
Mit diesen Truppen kam ein junger Offizier nach Wei-
mar, der im Liebesleben der noch nicht siebzehnjährigen
Adele Schopenhauer und zugleich in dem ihrer vertrau-
testen, wenig älteren Freundin Ottilie von Pogwisch eine
bedeutsame Rolle spielen sollte. Um ihn haben verlieb-
ter Enthusiasmus und patriotische Heldenverehrung eine
romantisch-zeitgemäße Legende gewoben: ein Lützower
Jäger wird, von feindlichen Truppen versprengt, verwun-
det im Weimarer Park gefunden, von Adele und Ottilie
gepflegt und beiden das Ideal edler Männlichkeit, der
Gedanke an ihn rettender Halt in einem oft bedenklich
stürmischen Liebesleben. Die Anlagen zu dieser ihm zuer-
teilten Rolle besaß er offenbar in reichstem Maße, nur
in den Tatsachen stimmen Dichtung und Wahrheit auch
nicht annähernd überein. Ferdinand Heinke, so hieß er,
hat glücklicher- oder unglücklicherweise ein Tagebuch
hinterlassen, das im 13. Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft
(1927) veröffentlicht wurde und jener Weimarer Legende
grausam den Rest gegeben hat. Heinke, im April 1815 ins
preußische Heer als Freiwilliger eingetreten, war im
Juni schon Premierleutnant; er hatte bei Leipzig mitge-
206
Willst du dich deines Werthes freuen,
So mußt der Welt du Werth verleihen —
ein wohl gemeinter, offenbar auf des Jünglings Indivi-
dualität berechneter Rat, dem dieser als trübes Resultat
seiner Lebenserfahrung in seinem letzten Studienband
„Senilia“ das Wort entgegensetzte: „Die Welt ist, wie
Figura zeigt: ich möchte nur wissen, wer etwas davon hat!"
Die Sieger von Leipzig.
Die Kriegsereignisse 1815 zogen Weimar nicht so in
Mitleidenschaft, wie der Zusammenbruch 1806. Die Schlacht
bei Leipzig war geschlagen, Napoleon zog sich langsam
nach Westen zurück, verfolgt von den Truppen der Ver-
bündeten, die den Herzog von Sachsen-Weimar nicht all-
zusehr entgelten ließen, daß er, der Not gehorchend, seit
1806 dem Rheinbund angehört und dadurch Gnade vor
Napoleon gefunden hatte. Aber Wochen hindurch gab
es Einquartirung, die sogar Goethes Haus mit Gewalt
bedrohte, und auf den Straßen Weimars wämmelte es
von deutschen und russischen Uniformen; Fürsten and
Heerführer wechselten als Gäste des Schlosses einander ab.
Mit diesen Truppen kam ein junger Offizier nach Wei-
mar, der im Liebesleben der noch nicht siebzehnjährigen
Adele Schopenhauer und zugleich in dem ihrer vertrau-
testen, wenig älteren Freundin Ottilie von Pogwisch eine
bedeutsame Rolle spielen sollte. Um ihn haben verlieb-
ter Enthusiasmus und patriotische Heldenverehrung eine
romantisch-zeitgemäße Legende gewoben: ein Lützower
Jäger wird, von feindlichen Truppen versprengt, verwun-
det im Weimarer Park gefunden, von Adele und Ottilie
gepflegt und beiden das Ideal edler Männlichkeit, der
Gedanke an ihn rettender Halt in einem oft bedenklich
stürmischen Liebesleben. Die Anlagen zu dieser ihm zuer-
teilten Rolle besaß er offenbar in reichstem Maße, nur
in den Tatsachen stimmen Dichtung und Wahrheit auch
nicht annähernd überein. Ferdinand Heinke, so hieß er,
hat glücklicher- oder unglücklicherweise ein Tagebuch
hinterlassen, das im 13. Jahrbuch der Goethe-Gesellschaft
(1927) veröffentlicht wurde und jener Weimarer Legende
grausam den Rest gegeben hat. Heinke, im April 1815 ins
preußische Heer als Freiwilliger eingetreten, war im
Juni schon Premierleutnant; er hatte bei Leipzig mitge-
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