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Hübsch, Heinrich
Die altchristlichen Kirchen nach den Baudenkmalen und älteren Beschreibungen und der Einfluss des altchristlichen Baustyls auf den Kirchenbau aller späteren Perioden: Text zu dem 63 Platten enthaltenden Atlas — Karlsruhe, 1862

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https://doi.org/10.11588/diglit.3196#0005
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Allgemeiner Theil

Einleitung.

Der Kirchenbau ist in jeder Beziehung die bedeutendste Aufgabe der monumentalen
Architectur. Nun herrsehen aber über die ästhetische Basis der letzteren sehr
abweichende Ansichten. Daher dürfte es namentlich den Nichtarchitecten erwünscht
sein, wenn ich meine durch vieljähriges künstlerisches Wirken gewonnenen Ueberzeugungen
über die Principien der monumentalen Architectur hier ausspreche und einen vollständigen
Kanon für die statische Gestaltung der architektonischen Elemente beifuge.

S 1 Die monumentale Architectur wurzelt auf demselben Grunde wie ihre beiden
Schwesterkünste, und steht mit ihnen in einem engen Bunde. Die Kunstgeschichte zeigt
uns wie - etwa mit Ausnahme des Islam - die Architectur überall bei ihren höchsten
Aufgaben im Geleite der Sculptur und Malerei auftrat und wie diese _ drei bildenden
Künste Ueberganusperioden abgerechnet, immer eine einheitliche Hauptrichtung zu ver-
folgen suchten Die Architectur ist übrigens wieder in vielfacher Beziehung von ganz
anderer Natur als die Malerei und Sculptur. Die beiden Letzteren, die sich eigentlich
nur durch die Verschiedenartigkeit ihrer Darstellungsmittel unter sich unterscheiden,
«Mit aber ihrem inneren Gehalte nach, schildern die geistig höchsten idealen Interessen
^efMen! hhSHhrer Zeit direct mittelst Abbildung der Menschengestalt. Die Archi-
tZtur aber schildert nur mittelbar die gewissermaßen äußerliche Seite dieser geistigen
Interessen. Denn jeder Bau, er mag eine Bestimmung haben welche er will, wird nur
• htet um für irgend einen Zweck einen oder mehrere abgeschlossene Baume herzu-
stellen 'so dass dieselben zugänglich und beleuchtet sind, und dass der Bau, wie er
im Innern einen sichern Aufenthalt gewährt, so auch nach Aussen gegen das Wetter
^ -1 Utzt ist Dies sind die ersten Anforderungen, welche der vollständige Bau zu be-
gesc iu z ^ ^ welche man zu erreichen sucht mittelst des Aufeinander- und Neben-
TnFüffens seiner verschiedenen Bestandteile nach den Bedingungen der Statik und
Z^jmcL Eigenschaften des angewendeten Baumaterials.

IV A -chitectur schafft also selbst bei ihrer höchsten Aufgabe nur die Baumlichkeiten,
! ... p ltus fordert und stellt also nicht, gleich ihren beiden Schwesterkünsten,
die der re lgios Menschen wie es sich an der Abbildung seiner sinnlichen Ge-

das geistige ^nCTe ™*t dar# ^ schafft nur das kolossale Kleid dieser geistigen Be-
stalt kund gieb , se ^ ^ alltägliche blos bequeme Nutzbarkeit, sondern für
dürfnisse, sie schafft aber n ^ ^^ ^ monumentalem d. h. unvergänglichem Stoffe,
die würdevolle hohe 1 estic , ^ ^ am meisten begeisterten Kunstperioden vor-

Wie die beiden andern ^^ ^.^^f oder eigentlich zu sprecnen, den

zugsweise den höchsten gei^ö ^ U[nem geringeren Sinne dient auch denselben die
religiösen Interessen die" <|££dft des religiösen Cultus, so wie auch die profanen aber
Architectur. Dask^m" en Kaumbedürfnisse oder Zwecke sind wesentlich anderer
mehr idealen und orten gec]arf des für die einzelne Familie zugemessenen Wohn-

Art, als der materielle enge ^^^ ^ ^^ geistige Bedeutung und Weihe,
hauses, und geben ers prosaische Beschränkung aus, sondern laden vielmehr zu

Solche Bedürfnisse üben Ken ^ ^ ^^ Zweck der Kircüe fordert geradezu eine

einer PoetischenpStei.?,e]rU"fheeb1ende Räumlichkeit und zwar nicht dargesellt in leicht
grosartige, das Uemuti ^ demselben unvergänglichen Steine, aus dem die

vergänglichem Materiaie, s ^ ^ ^^ ^ ^^ betrachtetj der Bau durch

ewigen Berge bestehen so ^ Emdruck macht. Darum ist hauptsächlich her-

seine Monumentalitat G™n ^.^^ diegelben Abstufungen in Bezug auf den Inhalt
vorzuhaben, dass in Künsten. Wie kirchliche oder historische Bilder hoch

stattfinden, wie m e^"lichen Lebcn und über Familienportraits stehen, so ist eine
über Scenen aus dem ^^ ^ ^ dag bürgerliche Wohnhaus zu stellen. Wie
Kirche, ein oflentne ^^ Historienmalerei und einer naturalistischen Genremalerei
man zwischen einer ^ zwisc]ien einer idealen Architectur und einer Utilitäts-Archi-
unterscheidet, so habe ^ sprechen hier nur von der ersteren, welcher passend die
tectur zu unterscheiden ^kitectur" g.egebcn werden kann; denn die Eigenschaft der
Benennung „monumen a e unter den vielerlei Factoren, die zusammen die

Monumentalität steht, _ wi ^ öffentlichen Baues hervorbringen, oben an.
ästhetische Wirkung ein ^bertriebene Deutschthümelei bemerkt, dass in dieser monu-
Es sei hier gegen i klimatjscbe und nationale Unterschied zwischen Ländern wie
mentalen Architectur der ^ und Eng]and die hinsichtlich des Klimas nicht gar so

Deutschland, Italien, *ran ^ zwischen Volksstämmen, die leiblich und geistig so
viel von einander abweic i t ^^ ^ ^ ^ germanische mit dem romanischen, nie so
eng mit einander verschwi ^ ^-^ hervortreten kann, als dies in der Wohnhaus-
bedeutend hervorgetreten ebeng0 machen sich zwar bei Abbildungen des gewöhnlichen
Architectur sich zeigt- ■ ^umlichkeiteri geltend, aber bei der kirchlichen Malerei und
Lebens die nationalen -big0 , nehin universellen Character des Christenthums kein so
Sculptur kann gemäss d&® finden- Selbst hinsichtlich der kirchlichen Musik und der
bedeutender Unterschied sta • dasselbe Verhältniss.

volksthümlichen profanen Musik

Die architectonische Schöpfung lässt sich in mancher Beziehung mit der Natur
vergleichen, nur darf dies nicht geschehen, ohne dabei die Unterschiede hervorzuheben.
Der Bau, obgleich einerseits seine Formen aus todtem anorganischen Materiale bildend
andererseits aber zugleich eine menschlich hohe Bestimmung aussprechend, ist in so fern
der vegetabilischen Natur ähnlich, als dort eben so sichtbar unter den Gesetzen der
Gravitation der innere — freilich nicht geistige — Begriff oder Zweck der Pflanze
sich in der cohärenten Materie, die gleich dem Bau an den Ort gebannt ist realisirt
und construirt').

Dabei darf aber Folgendes nicht übersehen werden. Bei den Schöpfungen der Natur
besteht immer ein ganz vollkommener und durchweg in allen Stücken fest bestimmter
Organismus. Aber bei dem Bau, der ja nur ein Menschenwerk ist, haben selbst die wesent-
lichen Hauptparthien, geschweige denn die minder wesentlichen Formen keinen so durch-
gängig notwendigen, rein organischen Zusammenhang, keine so unabänderlichen Pro-
portionen, sondern es ist Manches mehr oder weniger arbiträr. Auch entsprechen in der
Natur die Mittel stets dem Zwecke vollkommen genügend, und dienen ihm, ohne ihn im
geringsten zu beschränken. Dagegen müssen sich bei dem monumentalen Bau, bei dem
nicht allein die Stützen der Decken, sondern auch die Decken selbst durchgängig aus
Stein bestehen, die Haupträume und Nebenräume hiernach fügen und nicht selten be-
schränken; so dass die monumentalen Constructionen, ohne welche der Bau kein ernstes
Werk der Kunst sein würde, so zu sagen ebenfalls zu einem eigentlichen Zwecke werden
und dass daher die wesentlichen Formen in der Architectur gewissermaßen Diener zweier
Herren sind. Damit soll übrigens keineswegs widersprochen werden, dass sich im Allge-
meinen die Construction zur räumlichen Anforderung verhält, wie das Mittel zum Zweck.

§. 2. Nachdem das Verhältniss der Architectur zu den andern Künsten erörtert
worden ist, wollen wir uns nun näher mit der architectonischen Schönheit befassen.

Dass der ästhetische Eindruck eines grosen Baues ein complicirter sei, möchte wohl
von niemanden bezweifelt werden. Aber worin liegt der ästhetische Schwerpunkt?
Die Architectur bietet offenbar zwei Seiten dar, die sehr verschieden, ja in ihren Ex-
tremen einander geradezu entgegengesetzt sind. Betrachten wir die wesentlichen Bestand-
teile eines Baues, so hat wohl noch jeder Architect ihre Kernform vorzugsweise nach
der besonderen räumlichen Anforderung und nach den Bedingungen der Construction
gestaltet, so dass sie dadurch diesen Inhalt mehr oder weniger klar aussprechen müssen.
Wenn wir dagegen an dem Baue das Decorative desselben ausschliesslich betrachten
und zwar zuerst die architectonischen Verzierungen in engerem Sinn, so sind letztere
meist gänzlich ohne Inhalt. Wir vermögen z. B. in den blos mathematischen Verzierungen
des Mäanders, Zickzacks etc., die nicht einmal ein Unten und Oben haben, nichts anderes
zu erkennen, als ein gänzlich inhaltleeres blos augengefälliges Linienspiel, das durch irgend
eine willkührlich gewählte Regelmäßigkeit das Auge ergötzt. Und selbst die, die Kanten
der Kernformen umgrenzenden unwesentlichen kleineren Zierglieder verleihen dem
Bau nur im Allgemeinen mehr oder weniger Zierlichkeit, sprechen aber keineswegs etwas
von seinem wesentlichen Inhalte aus, sondern gefallen mehr wegen einer ebenfalls nur
ganz allgemeinen und äuserlichen Regelmäsigkeit; es sind höchstens die gröseren der-
selben von einer scheinbar construetiven Natur.

Nun erklären manche Aesthetiker die erste zweckliche Seite der Architectur für
einen ganz prosaischen Mechanismus und für eine blose Unterlage der eigentlich schönen
dem Zwecke nicht dienenden Formen, ja für ein dieselben nicht selten verkümmerndes
notwendiges Uebel. Es soll die Schönheit nur in der zweiten decorativen augengefälliiren
Seite der Architectur zu suchen sein, weil ja das Schöne vor Allem gefallen müsse

*) Der Baumstamm steht darum senkrecht, er ist, um an allen Stellen gleichen Widerstand dem Winde
darzubieten, unten am dicksten, was bei der Schlingpflanze anders ist u. s. w. Wie hier die äussere
Form den innern Zweck oder Inhalt dadurch ausspricht, dass sie nach einer vernünftigen Nothwendig-
keit mit den einfachsten Mitteln und auf dem nächsten Wege entsteht; in einer ähnlichen Weise bildet
auch die Architectur ihre wesentlichen Formen , und verleiht ihnen dadurch Wahrheit. Wie in der
Natur für gleiche Zwecke sich gleiche Formen wiederholen, so auch herrscht bei dem Bau die Wieder-
holung des Gleichen, und die gleichhälftige, oder symmetrische Anordnung als nächster Weg zur
Zweckerfüllung — freilich nicht bei dem kleinen Wohnhause, wo die Symmetrie oft geradezu gegen
die Zweckmäsigkeit oder Bequemlichkeit streitet.

Wie sich aber in der vegetabilischen Natur die grösern Formen (Stämme und Aeste) durch Ab-
rundung auf das Minimum des Volumens reduciren und allmählig verdünnen, so entsteht in der
Architectur auf dem nächsten Wege — sowohl nach construetiver Bedingung, als nach räumlicher
Anforderung — gewöhnlich das stetige und parallele Gerade, das Rechteckige, das Scharfe, das
Kantige etc. "Und während die Pflanze von Innen herauswachsend ihr Volumen allmählig ausdehnt, so
dass die das Ganze des Organismus ausmachenden verschiedenen Theile nur aus einem Stücke bestehen
und sich nicht gar so scharf von einander absetzen , sondern vielmehr sanft in einander überwachsen:
so entsteht dagegen der Bau durch äusserliches lothrcchtes Aufeinandersetzen und durch Zusammen-
fügung vieler Stücke in verschiedenen wagerechten Absätzen. Und in Gemäsheit dieses seines eigen-
thümlichcn Wachsthums grenzen sich die verschiedenen Glieder mehr oder weniger bestimmt von
einander ab.
 
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