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ZWEITES KAPITEL

Illusion, daß der Fürst selbst die Klagen der Armen und Kleinen an-
hört und sofort gerichtlich behandelt, war von ihm in eine schöne Form
gekleidet Zwei- oder dreimal die Woche hielt er nach der Mahlzeit
eine öffentliche Audienz ab, bei der jedweder sich ihm mit Bittgesuchen
nahen durfte. Alle Edlen seines Hauses mußten zugegen sein; niemand
wagte, fern zu bleiben. Sorgfältig ihrem Range gemäß getrennt,
saßen sie zu beiden Seiten des Durchgangs, der zu dem hohen Sessel
des Herzogs führte. Zu seinen Füßen hingekniet lagen die zwei maitres
des requestes, der audiencier und ein Sekretär, die die Bittschriften
verlasen und erledigten, je nachdem der Fürst es gebot. Hinter Ballu-
straden, rund um den Saal herum, stand der niedere Hofhalt. Es war,
sagt Chastellain, dem Schein nach „une chose magnifique et de grand
los“, aber die gezwungenen Zuschauer langweilten sich weidlich, und
an dem guten Erfolg dieser Art von Rechtsprechung zweifelt er; es
war eine Sache, die er zu seiner Zeit bei keinem anderen Fürsten
gesehen hatte1).
Auch die Erholung mußte bei Karl dem Kühnen jene schöne Form
annehmen. „Tournoit toutes ses manieres et ses moeurs ä sens (Ernst)
une part du jour, et avecques jeux et ris entremesles, se delitoit en
beau parier et en amonester ses nobles ä vertu, comme un orateur.
Et en cestuy regart, plusieurs fois, s’est trouve assis en un hautdos
pare (ein Prunksessel) et ses nobles devant luy, lä oü il leur fit diverses
remonstrances selon les divers temps et causes. Et toujours, comme
prince et chef sur tous, fut richement et magnifiquement habitue (ge-
kleidet) sur tous les autres“ 2). Diese bewußte Lebenskunst ist trotz
ihrer steifen und naiven Formen eigentlich vollkommene Renaissance.
Was Chastellain seine „haute magnificence de coeur pour estre vu et
regarde en singulieres choses“ nennt, ist die charakteristische Eigen-
schaft von Burckhardts Renaissancemensch.
Die hierarchischen Verordnungen des höfischen Haushaltes sind
von einer Rabelaisartigen Üppigkeit, wo sie sich auf die Mahlzeiten
und die Küche beziehen. Die Hoftafel von Karl dem Kühnen mit all
den mit nahezu liturgischer Würde geregelten Diensten von panetiers

*) La Marche, IV, p. 4ss.; Chastellain, V, p. 370.
2) Chastellain, V, p. 368.
 
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