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Achtes Kapitel
Die Stilisierung der Liebe
Seitdem die provenzalischen Troubadoure des 12. Jahrhunderts
zuerst die Melodie des unbefriedigten Verlangens anstimmten,
hatten die Geigen des Liebesliedes immer höher und höher gesungen,
bis nur noch Dante das Instrument rein spielen konnte.
Es war eine der wichtigsten Wendungen des mittelalterlichen
Geistes, als er zum erstenmal ein Liebesideal mit einem negativen
Grundton entwickelte. Das Altertum hatte gewiß auch das Schmachten
und die Schmerzen der Liebe besungen; aber sah man dort in dem
Schmachten nicht eigentlich nur einen Aufschub und den Reiz der
sicheren Erfüllung? Und in der traurig-endenden Liebesgeschichte
der Antike war meistens nicht die Unerreichbarkeit des geliebten
Gegenstandes das Stimmungsmoment, sondern das dramatische Ab-
brechen einer schon befriedigten Liebe durch den Tod, wie der von
Cephalus und Procris, von Pyramus und Thisbe. Die Empfindung
des Schmerzes lag dort nicht im erotischen Unbefriedigtsein, sondern
in dem traurigen Schicksal. Erst in der höfischen Minne der Trou-
badoure ist die Unbefriedigtheit selbst zur Hauptsache geworden. Es
war eine erotische Gedankenform geschaffen, die fällig war, einen
Überfluß an ethischem Gehalt in sich aufzunehmen, ohne deshalb je
den Zusammenhang mit der natürlichen Frauenliebe ganz aufzugeben.
Der sinnlichen Liebe selbst war der edle Frauendienst ohne Anspruch
auf Erfüllung entsprungen. Nun wurde die Liebe das Feld, auf dem
man alle ästhetische und sittliche Vollkommenheit erblühen ließ. Der
edle Liebhaber nach der Theorie der höfischen Minne wird durch seine
Liebe tugendsam und rein. Das geistige Element gewinnt in der Lyrik
immer mehr überhand. Schließlich ist die Wirkung der Liebe ein Zu-
stand heiliger Erkenntnis und Frömmigkeit: la vita nuova.
Darauf mußte eine neue Wendung folgen. In dem dolce stil nuovo
von Dante und seinen Zeitgenossen war ein Letztes erreicht. Petrarca
 
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