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Viertes Kapitel
Der Riftergedanke
Die mittelalterliche Gedankenwelt im allgemeinen ist in all ihren
Teilen mit Glaubensvorstellungen durchzogen: In ähnlicher Weise
ist die Gedankenwelt jener beschränkteren Gruppe, welche in der
Sphäre von Hof und Adel lebt, vom Ritterideal durchtränkt. Selbst
Glaubensvorstellungen werden ihrerseits in den Bann der Ritteridee
hineingezogen: die Waffentat des Erzengels Michael war „la premiere
milicie et prouesse chevaleureuse qui oncques fut mis en exploict“;
der Erzengel ist der Urheber der Ritterlichkeit; als „milicie terrienne
et chevalerie humaine“ ist sie eine irdische Nachfolge der Engelscharen
um Gottes Thron1).
Führt nun die hohe Erwartung, die man auf die Pflichterfüllung
des Adels setzt, zu irgendeiner genaueren Fassung politischer Ideen
hinsichtlich dessen, was dem Adel ansteht? Gewiß: die eines Strebens
nach dem universellen Frieden, begründet auf der Eintracht derKönige,
der Eroberung von Jerusalem und der Vertreibung der Türken.
Der unermüdliche Plänemacher Philippe de Mezieres, der von einem
Ritterorden träumte, welcher die alte Kraft von Tempel und Hospital
übertreffen würde, hat in seinem „Songe du vieil pelerin“ einen
Plan ausgearbeitet, der das Heil der Welt in der nächsten Zukunft zu
verbürgen schien. Der junge König von Frankreich - es ist um 1388
geschrieben, als man auf den unglücklichen Karl VI. noch so viel
Hoffnung setzte - wird leicht Frieden mit Richard von England,
ebenso jung und unschuldig an allem Streit wie er, schließen können.
Sie müßten persönlich über diesen Frieden miteinander verhandeln,
einander von den wundersamen Offenbarungen, die ihn angekündigt
hätten, erzählen, sie müßten absehen von all den kleinen Interessen,

') Molinet, I, p. 16/17.
 
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