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DIE HIERARCHISCHE AUFFASSUNG DER GESELLSCHAFT 81
seine Ruhe zu erhalten'). Zwei Sachen, so lautet es in dem Leben eines
der reinsten Vertreter des spätmittelalterlichen Ritterideals, Boucicaut,
sind durch Gottes Willen in die Welt gesetzt wie zwei Pfeiler, um die
Ordnung der göttlichen und menschlichen Gesetze zu stützen; ohne
sie würde die Welt nur Verwirrung sein; diese zwei Pfeiler sind Ritter-
schaft und Wissenschaft, „chevalerie et Science, qui moult bien con-
viennent ensemble“1 2). Science, Foy et Chevalerie sind die drei Lilien
von „Le Chapel des fleurs de lis“ von Philippe de Vitri; sie vertreten
die drei Stände; die Ritterschaft ist berufen, die beiden andern zu
schützen und zu beschirmen3). Die Gleichwertigkeit von Ritterschaft
und Wissenschaft, die sich auch in der Neigung, dem Doktortitel die-
selben Rechte wie dem Rittertitel zuzuerkennen, bekundet, zeugt von
dem hohen ethischen Gehalt des Ritterideals. Es gilt die Verehrung
eines höheren Wollens und Wagens neben der eines höheren Wissens
und Könnens; man hat das Bedürfnis, den Menschen in einer höheren
Potenz zu sehen, und will dies in der festen Form zweier, untereinander
gleichwertigen, Weihen zu höherer Lebensaufgabe zum Ausdruck
bringen. Von diesen zweien aber hatte das Ritterideal eine viel all-
gemeinere und stärkere Wirkung, weil sich in ihm mit dem ethischen
so viele ästhetische Elemente, die jedem Geist verständlich waren,
vereinigten.
1) Le Jouvencel, ed. C. Favre et L. Lecestre (Soc. de l’hist. de France)
1887—89, 2 vol., I, p. 13.
2) Livre des faicts du mareschal de Boucicaut, Petitot, Coll, de mem.,
VI, p. 375.
3) Philippe de Vitri, Le chapel des fleurs de lis (1335), ed. A. Piaget,
Romania XXVII, 1898, p. 80 ff.
 
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