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ACHTES KAPITEL

In der bunten Darstellung der Liebesformen konzentrierte sich das
ganze Streben nach Lebensschönheit. Wer die Schönheit in Ehre und
Rang suchte, wer sein Leben mit Prunk und Staat ausschmücken wollte,
kurz, wer die Schönheit des Lebens im Hochmut suchte, dem wurde
immer wieder die Einsicht in die Eitelkeit dieser Dinge vor Augen ge-
führt. In der Liebe jedoch schienen Zweck und Wesen für jeden, der
noch nicht Abschied von allem irdischen Glück genommen hatte, der
Genuß der Schönheit selbst. Hier galt es keine Lebensschönheit aus
edeln Formen zu schaffen zur Betonung eines hohen Standes, hier
wohnte die tiefste Schönheit, das höchste Glück selbst und wartete nur
darauf, mit Farbe und Stil ausgeschmückt zu werden. Jeder Gegen-
stand von Schönheit, jede Blume und jeder Klang konnte zum Aufbau
der Lebensform der Liebe etwas beitragen.
Das Streben nach der Stilisierung der Liebe war mehr als nur ein
eitles Spiel. Die Gewalt der Leidenschaft selbst veranlaßte die spät-
mittelalterliche Gesellschaft, ihr Liebesleben zu einem schönen Spiel
mit edlen Regeln umzugestalten. Hier vor allem herrschte, wollte
man nicht roher Barbarei anheimfallen, das Bedürfnis, die Emp-
findungen in feste Formen einzurahmen. In den niederen Ständen
war die Bezähmung der Ungebundenheit der Kirche überlassen, die
ihre Aufgabe, wie es eben ging, erfüllte. In der Aristokratie, die sich
unabhängiger von der Kirche fühlte, weil sie ein Stück Kultur außer-
halb der kirchlichen besaß, bildete sich in der veredelten Erotik selbst
ein Hemmnis für die Zügellosigkeit; Literatur, Mode und Umgangs-
formen übten dort einen normierenden Einflußauf das Liebesleben aus.
Oder wenigstens schufen sie einen schönen Schein, nach welchem
man zu leben wähnte. Denn im Grunde blieb auch in den höheren
Ständen das Liebesleben außerordentlich roh. Die täglichen Sitten
waren dabei noch von einer freimütigen Frechheit, die spätere Zeiten
verloren haben. Der Herzog von Burgund läßt für die englische Ge-
sandtschaft, die er zu Valenciennes erwartet, die Badestuben der Stadt
in Ordnung machen „pour eux et pour quiconque avoient de famille,
voire bains estores de tout ce qu’il faut au mestier de Venus, äprendre
par choix et par election ce que on desiroit mieux, et tout aux frais
du duc“1). Die Sittsamkeit seines Sohnes Karls des Kühnen wurde

) Chastellain, IV, p. 165.
 
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