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SECHZEHNTES KAPITEL

ergreift selbst das Wort, um im Widerspruch mit dem Kanzler der
Universität die Forderung zu bestreiten. Statt daß nun die Forderung
nach ihrer historischen Begründung geprüft oder auf ihre Gültigkeit
im positiven Recht hin untersucht wird, wird die Beweisführung ganz
scholastisch aufgestellt: von dem Text ausgehend: „Radix omnium
malorum cupiditas“, nimmt d’Ailly ein Dreifaches zu beweisen an; daß
das Fordern jenes Rechts Simonie ist, daß es gegen das natürliche
und göttliche Recht geht, und daß es Ketzerei ist1). Um gewisse Aus-
schweifungen zu rügen, die eine bestimmte Prozession verunzieren,
stellt Dionysius der Karthäuser alles, was Prozessionen von ihrem
Ursprung an betrifft, zusammen: wie es unter dem alten Gesetz zuging
usw.2), ohne eigentlich auf die Sache selbst einzugehen. Hier liegt der
Grund, warum beinahe jede mittelalterliche Beweisführung so er-
müdend und enttäuschend wirkt; sie weist sofort zum Himmel hinauf
und verläuft sich von Anfang an in Fällen aus der Heiligen Schrift und
moralischen Allgemeinheiten.
Der vollkommen durchgeführte Idealismus offenbart sich überall.
Von jeder Lebensform, jedem gesellschaftlichen Stand oder Beruf wird
ein religiös-sittliches Ideal umschrieben, nach welchem jeder sich selbst
je nach der Forderung seines Berufs zu reformieren hat, um dem Herrn
würdig zu dienen3). Man hat in dem Nachdruck, mit dem Dionysius
der Karthäuser die Heiligkeit des irdischen „Berufs“ in den Vorder-
grund stellt, etwas von der neuen Zeit, etwas was die Reformation
ankündigt, sehen wollen. Er hat in seinen Traktaten De vita et regi-
mine nobilium usw., die er für seinen Freund Brugman schließlich in
zwei Büchern De doctrina et regulis vitae christianorum zu-
sammenfaßte, jedem Beruf das Ideal heiligender Pflichterfüllung vor-
gehalten; dem Bischof, dem Prälaten, dem Erzdiakonen, dem Domherrn,
dem Pastor, dem Schüler, dem Fürsten, dem Edelmann, den Rittern,
den Kaufleuten, den Verheirateten, den Witwen, den Jungfrauen, den
Klosterbrüdern4). Aber gerade in dieser strengen Sonderung jedes
1) Petri de Alliaco Tractatus I adversus cancellarium Parisiensem, bei
Gerson, Opera, I, p. 723.
2) Dion. Cart., Opera, t. XXXVI, p. 200.
8) Dion. Cart. Revelatio II, Opera, I, p. xiv.
4) Dion. Cart., Opera, t. XXXVII, XXXVIII, XXXIX, p. 496.
 
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