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SECHZEHNTES KAPITEL
licher Ausdehnung festzulegen. Das ewige Leben ist von einer un-
ermeßlichen Würde; Gott in sich selbst zu genießen, ist eine unend-
liche Vollendung; dem Erlöser war eine unendliche Würde und Taug-
lichkeit (efficacia) notwendig; die Sünde ist von unendlicher Enormität,
weil sie eine Ausschreitung gegen die unermeßliche Heiligkeit ist; des-
halb erfordert die Genugtuung ein Subjekt unbegrenzter Fähigkeit1).
Das negative Raum-Eigenschaftswort muß hier stets die Wichtigkeit,
die Potenz des Heiligen denkbar machen. Um seinen Lesern eine
Vorstellung der Ewigkeit einzuflößen, bedient sich Dionysius eines
Bildes: Stellt Euch einen Sandberg vor so groß wie das Weltall; alle
zehn- oder hunderttausend Jahre wird ein Körnchen von jenem Berg
weggenommen. Der Berg wird abgetragen werden. Aber nach solch
einer unfaßlichen Zeitdauer wird die Höllenstrafe noch nicht abge-
nommen haben, und noch nicht ihrem Ende näher sein als beim Weg-
nehmen des ersten Körnchens vom Berge. Und dennoch würde es
für die Verdammten ein großer Trost sein, wenn sie wüßten, daß sie,
sobald der Berg verschwunden ist, befreit sein würden2).
Will man so die himmlischen Freuden oder Gottes Majestät zum Aus-
druck bringen, dann wird es nur ein Sich-Überschreien des Gedankens.
Himmelsfreuden bleiben im Ausdruck immer äußerst primitiv. Eine so
heftige Vision wie die des Entsetzens kann die menschliche Sprache von
dem Glück nicht geben. Um das Übermaß des Häßlichen und Elenden
noch zu verschlimmern, brauchte man nur noch tiefer in die Spelunken
der Menschlichkeit unterzutauchen; um jedoch die höchste Glückselig-
keit zu beschreiben, müßte man den Hals im Emporschauen zum
Himmel verrenken. Dionysius erschöpft sich in desperaten Super-
lativen, das heißt in einer rein mathematischen Bestärkung der Vor-
stellung, ohne sie dadurch klarer zu machen oder zu vertiefen: „Trinitas
supersubstantialis, superadoranda et superbona ... dirige nos ad super-
lucidam tui ipsius contemplationem.“ Der Herr ist „supermisericor-
dissimus, superdignissimus, superamabilissimus, supersplendidissimus,
superomnipotens et supersapiens, supergloriosissimus“3).
Aber was nützte das Aufeinanderstapeln von All-Ausdrücken, von
*) Dion. Cart. Dialogion de fide cath., Opera, t. XVIII, p. 366.
2) L. c. t. XLI, p. 489.
3) Dion. Cart., De laudibus sanctae et individuae trinitatis, t. XXXV, p. 137;
SECHZEHNTES KAPITEL
licher Ausdehnung festzulegen. Das ewige Leben ist von einer un-
ermeßlichen Würde; Gott in sich selbst zu genießen, ist eine unend-
liche Vollendung; dem Erlöser war eine unendliche Würde und Taug-
lichkeit (efficacia) notwendig; die Sünde ist von unendlicher Enormität,
weil sie eine Ausschreitung gegen die unermeßliche Heiligkeit ist; des-
halb erfordert die Genugtuung ein Subjekt unbegrenzter Fähigkeit1).
Das negative Raum-Eigenschaftswort muß hier stets die Wichtigkeit,
die Potenz des Heiligen denkbar machen. Um seinen Lesern eine
Vorstellung der Ewigkeit einzuflößen, bedient sich Dionysius eines
Bildes: Stellt Euch einen Sandberg vor so groß wie das Weltall; alle
zehn- oder hunderttausend Jahre wird ein Körnchen von jenem Berg
weggenommen. Der Berg wird abgetragen werden. Aber nach solch
einer unfaßlichen Zeitdauer wird die Höllenstrafe noch nicht abge-
nommen haben, und noch nicht ihrem Ende näher sein als beim Weg-
nehmen des ersten Körnchens vom Berge. Und dennoch würde es
für die Verdammten ein großer Trost sein, wenn sie wüßten, daß sie,
sobald der Berg verschwunden ist, befreit sein würden2).
Will man so die himmlischen Freuden oder Gottes Majestät zum Aus-
druck bringen, dann wird es nur ein Sich-Überschreien des Gedankens.
Himmelsfreuden bleiben im Ausdruck immer äußerst primitiv. Eine so
heftige Vision wie die des Entsetzens kann die menschliche Sprache von
dem Glück nicht geben. Um das Übermaß des Häßlichen und Elenden
noch zu verschlimmern, brauchte man nur noch tiefer in die Spelunken
der Menschlichkeit unterzutauchen; um jedoch die höchste Glückselig-
keit zu beschreiben, müßte man den Hals im Emporschauen zum
Himmel verrenken. Dionysius erschöpft sich in desperaten Super-
lativen, das heißt in einer rein mathematischen Bestärkung der Vor-
stellung, ohne sie dadurch klarer zu machen oder zu vertiefen: „Trinitas
supersubstantialis, superadoranda et superbona ... dirige nos ad super-
lucidam tui ipsius contemplationem.“ Der Herr ist „supermisericor-
dissimus, superdignissimus, superamabilissimus, supersplendidissimus,
superomnipotens et supersapiens, supergloriosissimus“3).
Aber was nützte das Aufeinanderstapeln von All-Ausdrücken, von
*) Dion. Cart. Dialogion de fide cath., Opera, t. XVIII, p. 366.
2) L. c. t. XLI, p. 489.
3) Dion. Cart., De laudibus sanctae et individuae trinitatis, t. XXXV, p. 137;