Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
418

EINUNDZWANZIGSTES KAPITEL

des Teufels der Völlerei hat schon begonnen. Die üppigen Mahl-
zeiten eines Zola, Huysmans, Anatole France haben ihre Prototypen
schon im Mittelalter. Wie appetitlich beschreibt Froissart die Brüssler
Bonvivants, die den fetten Herzog Wenzel in der Schlacht bei Bäs-
weiler umringen; sie haben ihre Diener bei sich mit großen Wein-
flaschen am Sattelknopf, mit Brot und Käse, Lachs, Forellen und Aal-
pasteten, alles fein säuberlich in kleine Servietten eingewickelt; so
stehen sie der Schlachtordnung hemmend im Wege1).
Zufolge ihrer Veranlagung für das Genrehafte ist die Literatur
jener Zeit imstande, auch das Nüchternste in Verse zu setzen. Deschamps
kann in einem Gedicht um Geld mahnen, ohne dabei von seinem ge-
wohnten Dichterniveau herabzusinken; er bettelt in einer Reihe von
Balladen um ein versprochenes Staatskleid, um Brennholz, um ein
Pferd, um rückständigen Gehalt2 3).
Nun ist nur noch ein Schritt vom Genrehaften zum Bizarren, Bur-
lesken oder wenn man so will: zur Art des Breughel. Auch noch in
dieser Form des Komischen ist die Malerei der Literatur gleichwertig.
Das Breughel-Element ist in der Kunst um 1400 schon völlig vor-
handen. Man entdeckt es in dem Joseph auf Broederlams Flucht nach
Ägypten zu Dijon, in den schlafenden Kriegsknechten auf den drei
Marien am Grabe, die Hubert van Eyck zugeschrieben worden sind.
Keiner ist in dem absichtlich Bizarren so stark wie Paul von Limburg.
Ein Zuschauer bei Marias Tempelgang trägt eine meterhohe, krumme
Zaubermütze und klafterlange Ärmel. Burlesk zeigt er sich am Tauf-
becken, das drei ungeheuerliche Masken mit ausgestreckten Zungen
trägt, und in der Einrahmung von Maria und Elisabeth, wo ein Held
aus einem Turm heraus eine Schnecke bekämpft, ein anderer Mann
auf einem Schubkarren ein Ferkel schiebt, das auf dem Dudelsack
spielt8).
Bizarr ist die Literatur des 15. Jahrhunderts fast auf jeder Seite;
ihr gekünstelter Stil, die sonderbar phantastische Kostümierung ihrer
Allegorien können es bezeugen. Motive, in denen später Breughels
x) Froissart, ed. Kervyn, XIII, p. 22.
2) Deschamps, I, p. 196, no. 90, p. 192, no. 87, IV, p. 294, no. 788, V, no. 903,
905, 919, VII, p. 220, no. 1375, vgl. II, p. 86, no. 250, no. 247.
3) Durrieu, Les tres riches heures, pl. 38, 39, 60, 27, 28.
 
Annotationen