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sich zur Flucht; nur in der unmittelbaren Umgebung des bereits verzagenden Königs, der in der
Mittelfigur der rechten Eckscene erkannt wird, bereitet man noch einen letzten Versuch der Gegenwehr
vor. Diese Handlung, behaupte ich, steht im Widerspruch mit unverrückbaren Zügen der attischen
Sage. Erichthonios wächst auf der Burg im Tempel der Athena auf, als Pflegesohn des Kekrops, aber
von der Göttin selbst erzogen. Die älteste Sage, die von Amphiktion noch nichts wusste, wird erzählt
haben, dass er, nachdem des Kekrops eigener Sohn Erysichthon gestorben war, einfach in dessen
Rechte eingetreten sei. Später, als zwischen Kekrops und Erichthonios Amphiktion und obendrein
noch Kranaos eingeschoben wurde, musste freilich der Pflegling der Athena, um die Herrschaft zu
erlangen, erst den fremden Usurpator vertreiben, wie dies denn auch bei Apollodor III 19, 6, 6 und bei
Pausanias I 2, 6 zu lesen steht. Schwerlich aber hat man sich diesen Vorgang näher ausgemalt; sollte
man es doch gethan haben, so ist es gewiss nicht in der Form geschehen, dass Amphiktion den Eri-
chthonios von der Barg und aus der Stadt vertrieb, dieser dann in einer der Deinen oder gar ausser-
halb Attikas Schutz suchte und darauf mit fremder, wenigstens nicht stadtathenischer Hilfe die Akro-
polis stürmte; denn das sind alles unmittelbare Consequenzen aus Sauers Deutung, wenn er sie auch
selbst nicht gezogen hat. Apollodor knüpft die Erlangung der Herrschaft unmittelbar an die Jugend-
pflege an: ev de zCoi teuIvel Toarpeig ^EotyJ}öviog vri' avvfig ^d-yrag, exßaXibv 3^4/xcpiXTi6va Ißaai'kevGEv
^d-tjvtov. Soll Athena geduldet haben, dass man ihren Schützling aus ihrem eigenen Tempel vertrieb?
jSTein, Erichthonios ist mit der Akropolis so eng verwachsen, dass er nicht einmal zeitweilig von ihr
entfernt, am wenigsten aber als Stürmer auf die Burg und als Zerstörer der Burgmauer gedacht
werden kann. Pausanias sagt: vrcb ^Eor/ßovlov y.al rtov gwe/ciorärvcov l/.icuizu, stellt sich also den
Hergang als eine Revolution vor. Diese kann sich aber ganz gut auch innerhalb der Burgmauer ab-
spielen, falls man sich Amphiktion dort oben wohnend vorstellte. Notwendig ist dies freilich keines-
wegs. Den Palast des Aigens denkt man sich beim Delphinion gelegen1), und Amphiktion, den kein
Cult und kein Denkmal mit der Burg verknüpft, kann ganz wohl im Iiisosthal unter den thessa-
lischen Cultstätten beim Grabe seines Vaters Deukalion wohnend gedacht worden sein. Und weiter,
ist es überhaupt denkbar, dass die Sage von einer Zerstörung des Hortes der Burg, des Pelargikon,
erzählt haben sollte, einer Zerstörung durch den eigenen Landeskönig und, wenn wir einer weiteren
Hypothese Sauers Glauben schenken, obendrein durch den Blitzstrahl des Zeus, Avas doch bedeuten
würde, dass es nicht wieder aufgerichtet werden durfte? Aber lassen wir diese auch aus anderen
Gründen unhaltbare Hypothese fallen, sehen wir auch von der bereits an anderer Stelle von mir auf-
geworfenen Frage ab, wer denn dem Erichthonios die durch Wunderkraft errichtete Burgmauer wieder
repariren soll, wenn er die Baumeister selbst erschlägt: die Sage konnte unmöglich in dieser Weise eines
der ehrwürdigsten Denkmäler der Heimath schänden; mochte es auch thatsächlich in historischer Zeit
gebrochen sein und nur noch in Trümmern daliegen, selbst diese Trümmer hat um diese Zeit noch
der delphische Gott als heilig bezeichnet. Aber nicht nur die Sage, auch das Bildwerk selbst sträubt
sich gegen die Erklärung von Sauer. Eine Mauer durch ihre Baumeister, die die einzelnen Bausteine
\l Plutarch Thes. 12, vgl. Wachsmuth, Stadt Athen I 8.411.
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sich zur Flucht; nur in der unmittelbaren Umgebung des bereits verzagenden Königs, der in der
Mittelfigur der rechten Eckscene erkannt wird, bereitet man noch einen letzten Versuch der Gegenwehr
vor. Diese Handlung, behaupte ich, steht im Widerspruch mit unverrückbaren Zügen der attischen
Sage. Erichthonios wächst auf der Burg im Tempel der Athena auf, als Pflegesohn des Kekrops, aber
von der Göttin selbst erzogen. Die älteste Sage, die von Amphiktion noch nichts wusste, wird erzählt
haben, dass er, nachdem des Kekrops eigener Sohn Erysichthon gestorben war, einfach in dessen
Rechte eingetreten sei. Später, als zwischen Kekrops und Erichthonios Amphiktion und obendrein
noch Kranaos eingeschoben wurde, musste freilich der Pflegling der Athena, um die Herrschaft zu
erlangen, erst den fremden Usurpator vertreiben, wie dies denn auch bei Apollodor III 19, 6, 6 und bei
Pausanias I 2, 6 zu lesen steht. Schwerlich aber hat man sich diesen Vorgang näher ausgemalt; sollte
man es doch gethan haben, so ist es gewiss nicht in der Form geschehen, dass Amphiktion den Eri-
chthonios von der Barg und aus der Stadt vertrieb, dieser dann in einer der Deinen oder gar ausser-
halb Attikas Schutz suchte und darauf mit fremder, wenigstens nicht stadtathenischer Hilfe die Akro-
polis stürmte; denn das sind alles unmittelbare Consequenzen aus Sauers Deutung, wenn er sie auch
selbst nicht gezogen hat. Apollodor knüpft die Erlangung der Herrschaft unmittelbar an die Jugend-
pflege an: ev de zCoi teuIvel Toarpeig ^EotyJ}öviog vri' avvfig ^d-yrag, exßaXibv 3^4/xcpiXTi6va Ißaai'kevGEv
^d-tjvtov. Soll Athena geduldet haben, dass man ihren Schützling aus ihrem eigenen Tempel vertrieb?
jSTein, Erichthonios ist mit der Akropolis so eng verwachsen, dass er nicht einmal zeitweilig von ihr
entfernt, am wenigsten aber als Stürmer auf die Burg und als Zerstörer der Burgmauer gedacht
werden kann. Pausanias sagt: vrcb ^Eor/ßovlov y.al rtov gwe/ciorärvcov l/.icuizu, stellt sich also den
Hergang als eine Revolution vor. Diese kann sich aber ganz gut auch innerhalb der Burgmauer ab-
spielen, falls man sich Amphiktion dort oben wohnend vorstellte. Notwendig ist dies freilich keines-
wegs. Den Palast des Aigens denkt man sich beim Delphinion gelegen1), und Amphiktion, den kein
Cult und kein Denkmal mit der Burg verknüpft, kann ganz wohl im Iiisosthal unter den thessa-
lischen Cultstätten beim Grabe seines Vaters Deukalion wohnend gedacht worden sein. Und weiter,
ist es überhaupt denkbar, dass die Sage von einer Zerstörung des Hortes der Burg, des Pelargikon,
erzählt haben sollte, einer Zerstörung durch den eigenen Landeskönig und, wenn wir einer weiteren
Hypothese Sauers Glauben schenken, obendrein durch den Blitzstrahl des Zeus, Avas doch bedeuten
würde, dass es nicht wieder aufgerichtet werden durfte? Aber lassen wir diese auch aus anderen
Gründen unhaltbare Hypothese fallen, sehen wir auch von der bereits an anderer Stelle von mir auf-
geworfenen Frage ab, wer denn dem Erichthonios die durch Wunderkraft errichtete Burgmauer wieder
repariren soll, wenn er die Baumeister selbst erschlägt: die Sage konnte unmöglich in dieser Weise eines
der ehrwürdigsten Denkmäler der Heimath schänden; mochte es auch thatsächlich in historischer Zeit
gebrochen sein und nur noch in Trümmern daliegen, selbst diese Trümmer hat um diese Zeit noch
der delphische Gott als heilig bezeichnet. Aber nicht nur die Sage, auch das Bildwerk selbst sträubt
sich gegen die Erklärung von Sauer. Eine Mauer durch ihre Baumeister, die die einzelnen Bausteine
\l Plutarch Thes. 12, vgl. Wachsmuth, Stadt Athen I 8.411.
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