III.
Welcher Zeit gehört das Original des Bildes an? Schon der erste Blick lässt erkennen, dass
wir es mit einer ganz andern Kunstrichtung zu thun haben, wie bei den vier übrigen Bildern.1) Wir
befinden uns in einer erheblich späteren Periode. Das lehrt zum Theil auch schon die ganze Erschei-
nung der drei Figuren, vor allem ihre Gewandung, mit deren Prüfung wir beginnen wollen.
J) Das Bild mit der Tragödienscene hat allerdings kürzlich A. Körte in die Zeit Alexanders herabrücken wollen
(Deutsche Litteraturzeitung 1S99, S. 1687). Er beruft sich dafür auf die Behandlung der Partie über den Augen, die
den Einfluss des Skopas verrathe, und auf das Fehlen der reichen, bunten Stickereien, richtiger wobl Webereien, die an-
geblich für die Bühnentracht des 5. Jahrhunderts charakteristisch sein sollen. Nun, die für so frühe Zeit beanstandete
Behandlung der Partie über den Augen findet sich ebenso bei dem Eurytion und der Hippodameia auf dem Bilde mit dem
Kentaurenkampf, dessen Entstehung im 5. Jahrhundert Körte selbst zugiebt. Ich habe auf diese Uebereiustimmung auch
in dem letzten Programm S. 36 hingewiesen, eine Stelle, die Körte übersehen zu haben scheint. Und die buntgewebten,
d. h. mit figürlichen Streifen geschmückten Gewänder, wie sie auf der Neapler Satyrvase und dem Berliner Audromeda-
krater erscheinen? Nun, zunächst muss betont werden, dass beide Bildwerke jünger sind als 428, in welches Jahr ich das
Original des Tragödienbildes setze. Woher weiss man denn, dass diese Decoration der Theatergewänder nicht erst in der
Zeit nach 428 aufgekommen ist, wo sie sich auch auf anderen Bildwerken findet, die mit der Bühne nicht das Geringste
zu thun haben, wie z.B. die melische Gigantenvase (s. unten S.22 A. 14) oder die Talosvase? Woher weiss mau denn, dass
solche kostbare Stoffe damals nicht wirklich auch im täglichen Leben getragen wurden? Zeigt doch die Sargdecke aus
Kertsch, ohne Zweifel ein milesisches Fabrikat, dieselbe Decoration (Co?npte-rendu 1878. 1879, Taf. 4). Doch ich höre
schon die Antwort: diese Bühnengewänder sind ja das alte prächtige Götterkleid; sie sind von den Götterbildern entlehnt
und von Anfang an für die ursprünglich nur Götter agirenden Schauspieler charakteristisch, können mithin nie und nimmer-
mehr erst am Ende des 5. Jahrhunderts aufgekommen sein. Diese Behauptung Bethes (Prolegomena 42, Arch. Jahrb. XI,
1896, S. 294) muss endlich einmal auf ihr richtiges Maass zurückgeführt werden, damit sie nicht noch mehr Unheil an-
richte, als sie schon gethan hat. Das Eigenthümliche an der Theatertracht ist doch nicht sowohl die Buntheit, als der
Schnitt, vor allem die langen Aermel. Man zeige mir nun doch einmal ein altes Götterbild, das den ynuv ynqiSonog
trüge. Im 4. Jahrhundert allerdings trägt Dionysos auf choregischen Reliefs und Vasen diese „höchlich singulare" Gewan-
dung (Benndorf, Oesterr. Jahreshefte II, 261), aber hier ist gerade umgekehrt die Anlehnung an die Bühnentracht unver-
kennbar. Der Aermelchiton ist ganz zweifellos asiatisch, und wie und wann er auf die attische Bühne gekommen ist, diese
Frage lässt sich mit aller Bestimmtheit beantworten. Die ältesten uns bekannten Dramen zeigen deutlich die Tendenz,
dem Chor, dem damaligen Hauptträger der Handlung, aber auch den Schauspielern ein exotisches Gepräge zu geben, ilan
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Welcher Zeit gehört das Original des Bildes an? Schon der erste Blick lässt erkennen, dass
wir es mit einer ganz andern Kunstrichtung zu thun haben, wie bei den vier übrigen Bildern.1) Wir
befinden uns in einer erheblich späteren Periode. Das lehrt zum Theil auch schon die ganze Erschei-
nung der drei Figuren, vor allem ihre Gewandung, mit deren Prüfung wir beginnen wollen.
J) Das Bild mit der Tragödienscene hat allerdings kürzlich A. Körte in die Zeit Alexanders herabrücken wollen
(Deutsche Litteraturzeitung 1S99, S. 1687). Er beruft sich dafür auf die Behandlung der Partie über den Augen, die
den Einfluss des Skopas verrathe, und auf das Fehlen der reichen, bunten Stickereien, richtiger wobl Webereien, die an-
geblich für die Bühnentracht des 5. Jahrhunderts charakteristisch sein sollen. Nun, die für so frühe Zeit beanstandete
Behandlung der Partie über den Augen findet sich ebenso bei dem Eurytion und der Hippodameia auf dem Bilde mit dem
Kentaurenkampf, dessen Entstehung im 5. Jahrhundert Körte selbst zugiebt. Ich habe auf diese Uebereiustimmung auch
in dem letzten Programm S. 36 hingewiesen, eine Stelle, die Körte übersehen zu haben scheint. Und die buntgewebten,
d. h. mit figürlichen Streifen geschmückten Gewänder, wie sie auf der Neapler Satyrvase und dem Berliner Audromeda-
krater erscheinen? Nun, zunächst muss betont werden, dass beide Bildwerke jünger sind als 428, in welches Jahr ich das
Original des Tragödienbildes setze. Woher weiss man denn, dass diese Decoration der Theatergewänder nicht erst in der
Zeit nach 428 aufgekommen ist, wo sie sich auch auf anderen Bildwerken findet, die mit der Bühne nicht das Geringste
zu thun haben, wie z.B. die melische Gigantenvase (s. unten S.22 A. 14) oder die Talosvase? Woher weiss mau denn, dass
solche kostbare Stoffe damals nicht wirklich auch im täglichen Leben getragen wurden? Zeigt doch die Sargdecke aus
Kertsch, ohne Zweifel ein milesisches Fabrikat, dieselbe Decoration (Co?npte-rendu 1878. 1879, Taf. 4). Doch ich höre
schon die Antwort: diese Bühnengewänder sind ja das alte prächtige Götterkleid; sie sind von den Götterbildern entlehnt
und von Anfang an für die ursprünglich nur Götter agirenden Schauspieler charakteristisch, können mithin nie und nimmer-
mehr erst am Ende des 5. Jahrhunderts aufgekommen sein. Diese Behauptung Bethes (Prolegomena 42, Arch. Jahrb. XI,
1896, S. 294) muss endlich einmal auf ihr richtiges Maass zurückgeführt werden, damit sie nicht noch mehr Unheil an-
richte, als sie schon gethan hat. Das Eigenthümliche an der Theatertracht ist doch nicht sowohl die Buntheit, als der
Schnitt, vor allem die langen Aermel. Man zeige mir nun doch einmal ein altes Götterbild, das den ynuv ynqiSonog
trüge. Im 4. Jahrhundert allerdings trägt Dionysos auf choregischen Reliefs und Vasen diese „höchlich singulare" Gewan-
dung (Benndorf, Oesterr. Jahreshefte II, 261), aber hier ist gerade umgekehrt die Anlehnung an die Bühnentracht unver-
kennbar. Der Aermelchiton ist ganz zweifellos asiatisch, und wie und wann er auf die attische Bühne gekommen ist, diese
Frage lässt sich mit aller Bestimmtheit beantworten. Die ältesten uns bekannten Dramen zeigen deutlich die Tendenz,
dem Chor, dem damaligen Hauptträger der Handlung, aber auch den Schauspielern ein exotisches Gepräge zu geben, ilan
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