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II. Statischer und dynamischer Raum

Die Verschiedenheit der parataktisch komponierten Werke der ägyptischen Kunst und
überhaupt des ganzen „vorperspektivischen" Kreises, dem diese ja angehört, von den Kompo-
sitionen der „perspektivischen" Künste mit ihrer Unterordnung der Teile unter die alles bewegende
und zusammenfassende Idee des funktionellen Organismus spiegelt sich in dem völlig verschiedenen
räumlichen Verhalten dieser zwei Gruppen wieder. In den hypotaktisch komponierten Werken,
sei es, daß wir dabei an Schöpfungen des Michelangelo, des Lysipp oder des Praxiteles denken,
bedeutet der künstlerische Raum eine unteilbare Einheit, indem die einzelnen Richtungen, die
Höhe, die Breite und die Tiefe, durch die Art, wie sie durch eine jede Partie und eine jede Linie
verwirklicht werden, eine enge Verschmelzung miteinander eingehen. So bringt eine jede Linie,
die wir an dem schon oft genannten Hellenistischen Herrscher (Taf. I) verfolgen, eine Verwirklichung
aller Dimensionen mit sich, sei es, daß wir dafür die S-förmige Schwingung der ganzen Figur nennen,
die sowohl Höhe wie Breite und Tiefe in sich aufnimmt, sei es, daß wir einzelne Bewegungen wie die
Haltung des Spielbeins oder der Arme daraufhin betrachten. Bei allen Werken der hypotaktisch
bildenden Künste bedeutet der Raum ein unteilbares Ganzes, so große Verschiedenheiten sich auch
in der Verwirklichung dieser Einheit je nach der Eigenart der Epochen und des Kunstkreises er-
geben können. Während der hier verwirklichte Raum dynamischer Art ist, indem er ein — aller-
dings in den einzelnen Kunstbereichen verschiedenartiges28) — Kontinuum bedeutet, das gewisser-
maßen durch ein in allen seinen Teilen wirkendes Kraftzentrum existiert, ist der durch die Kasten-
form verwirklichte Raum parataktischer Art. Denn hier handelt es sich wirklich um drei klar von-
einander geschiedene Dimensionen, die gegensätzlich zueinander gerichtet sind und senkrecht auf-
einanderstellen. Deutlich ist hier zwischen den einzelnen räumlichen Richtungen unterschieden,
die in allen Linien des Aufbaues in ihrer Gegensätzlichkeit zum Ausdruck kommen. Somit fehlt
natürlich die räumliche Verschmelzung in dynamischem Sinne, denn der Aufbau der Figur wird
von geraden Richtungen beherrscht. Diese Richtungsgeradheit der Komposition ist von der Rich-
tungsgeradheit des Raumes begleitet, der im Gegensatz zu jener Dynamik einen statischen Charakter
hat. Auch die in den richtungsgeraden Werken wirkenden Rundungen bedeuten durch ihre stereo-
metrische Natur keine Einigung im dynamischen Sinne.29) Stehen sie doch, wie wir sahen, in kontra-
diktorischem Gegensatz zur Fläche. Die Rundung bildet jedoch kein eigentlich konstituierendes
Element des statischen Raumes. Denn stets bedeutet das Kreuz der Richtungen, zu dem sich die
Rundungen wie konzentrische Kreise zu ihrem Durchmesserkreuz verhalten, die Grundlage des
kompositioneilen Aufbaues. Nur die Begrenzung wird von diesem Widerspiel der Geradheit be-
einflußt30).
 
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