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VI. Archaisch-griechische Tempelkomposition

Dieselbe körperliche Einstellung zeigt auch die griechische Architektur46). Im Gegensatz zu den
ägyptischen Tempelbauten mit ihrer fast unbeschränkten Länge, die stets durch Vorlegen weiterer
Höfe vergrößert werden konnte, ist der griechische Tempel in seiner Längsausdehnung beschränkt.
Er kann nicht durch Vorlegen von Höfen oder dergleichen erweitert werden; seine Form ist nach
außen fest abgeschlossen, und eine Vergrößerung würde einen völligen Umbau erfordern. Die Kon-
zeption des ägyptischen Tempels geht von der durch die Richtungsgeradheit bestimmten Dispo-
sition verschiedener Innenräume aus, während seine äußere Form mit der inneren Anlage in einem
recht losen Zusammenhang steht, wie ein deckender Mantel die Innenräume umgibt und keinen
Schluß auf ihre Disposition zuläßt. Demgegenüber ist der griechische Tempel einzig und allein
von außen her wie ein plastisches Gebilde gestaltet, die äußere Form ist es, die den Innenraum
bedingt, und die als ein begrenzter, beinahe möchte man sagen, unifaßbarer Körper hingestellt wird.
Die Folge ist seine Ausgestaltung mit der Säulenhalle, die rings um ihn herum führt, allen Seiten
einen einheitlichen Charakter gibt und durch diese Begrenzung eine geschlossene, fest umgrenzte
Körperlichkeit schafft. Das Körperliche, das der griechische Tempelbau dem ägyptischen gegen-
über zeigt, offenbart uns weiter eine Betrachtung seines Aufbaues. Während die ägyptische Säule47)
mit der griechischen verglichen weder in der Kapitellform noch im Schaft die Funktion des Tragens
ausdrückt, vielmehr ein Gebilde ist, das ornamental ausgestaltet die Decke unterstützt und
einen pflanzenhaften, dekorativen oder überhaupt einen pfeilerartigen Charakter hat, bringt die
archaisch-griechische Säule durch die Form des Echinus. der zuerst als ein von der Schwere des
Gebälkes plattgedrücktes Kissen, dann als ein den Druck milderndes Polster gestaltet wird, durch
die Entasis des Schaftes und seine gedrungenen Proportionen von vornherein die Fähigkeit des
Tragens zum Ausdruck. So ist sie gleichsam der lebendige Teil eines lebenden Körpers. Wie die
Beine einer archaischen Statue durch ihre kräftig herausgehobene, in Spannung dargestellte Musku-
latur die Fähigkeit ausdrücken, den Körper zu tragen und die ihnen charakteristischen Bewegungen
auszuführen, also die diesem Gliede eigene (xqez^ in sich verkörpern, so verkörpert auch die
archaische Säule in sich die Fähigkeit, tragen zu können. Ihr Vermögen zur Leistung zeigt sich in
der Formung, sie ist körperlich empfunden und als Ausdruck von Energie und Kraft gestaltet. Doch
wie bei der Darstellung der Beine einer archaischen Statue zwar organische Formen bald mehr,
bald weniger beobachtet, aber nicht in organistischer Weise vom Künstler aufgefaßt werden, indem
das Standmotiv keinen Einfluß auf die Stellung des Beckens ausübt, und der innere das Ineinander-
wirken der organischen Teile bedeutende Zusammenhang, die Beziehung auf das die Gesamtheit
bewegende Zentrum fehlt, so offenbart auch die archaische Säule zwar das ihr charakteristische
Wesen durch ihre Muskulatur, das heißt durch die gedrungenen Formen des Schaftes und des Kapi-
 
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