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Gerhard Krahmer

Begriffen enthaltenen Anschauungsformen sind nur im dynamischen Bereich möglich und der ägyptischen künstlerischen
Auffassungsart fremd, da sie die Erfassung der „dimensionslosen" räumlichen Kontinuität, sei es nun in irgendeiner renn
des Aggregatraumes oder des Systemraumes (s. o. Anm. 28), zur Voraussetzung haben. Damit ist natürlich - und dies sei
wieder, um Mißverständnisse zu vermeiden, ausdrücklich hervorgehoben - durchaus nicht gesagt, daß der Ägypter etwa keine
Schrägansichten usw. mit seinen Augen wahrgenommen habe, sie waren nur ohne jedes künstlerische Interesse für ihn und
wurden ihm als Ausdrucksform nicht bewußt.

66) Diese Schminktafeln sind bereits als Zwischenstufen anzusehen, sie zeigen den Einfluß der Richtung bereits mehr
oder weniger deutlich.

67) Auch wenn in derartigen Bildern Objekte in der oberen Zone in kleinerem Maßstabe dargestellt werden (Schäfer
Tai. 26; P. K. II 376), so hat das nichts mit Perspektive zu tun, da ja die Verkleinerung in keinem bestimmten Verhältnis zu
der übrigen Darstellung steht, jede räumliche Verkürzung fehlt, sondern ist besten Falles nichts weiter als ein Erfassen der
„charakteristischen" Erscheinung. Es handelt sich höchstens um eine punktuelle Beobachtung des Kleinerseins entfernter
Gegenstände, aus der aber auf eine Erfassung der Tiefe als solcher in ihrer künstlerischen Bedeutung nicht geschlossen
werden kann.

68) In der geometrischen Kunst findet sich die Darstellung von Vorderansichten sehr selten. Pfuhl, Malerei und
Zeichnung S. XII kommt schwerlich in Betracht; doch ist ein kretisch-geometrisches Gefäß zu nennen, auf das mich E. Kunze
hinweist, Amer. Journal 1897, 256, Abb. 4.

69) Wenn man sagt, der archaische Grieche habe das Hochrelief geschaffen, weil er tiefe Giebel zu füllen hatte u. ä. m.,
so ist damit nichts erklärt. Denn hier müßte wieder gefragt werden, warum er tiefe Giebel schuf. Vgl. auch unten die Aus-
führungen zum „Dreileibigen".

70) Wer aus einer irgendwie „äußerlich gegebenen" Aufstellungsart — über die man übrigens nur Vermutungen auf-
stellen, aber ganz und gar nichts sicheres aussagen kann — die Wendungen dieser Statuen erklären will, übersieht, daß auch
hierin höchstens ein äußerer Anlaß zur Verwirklichung der Abweichung von der Kichtungsgeradheit liegen könnte, aber niemals
der tiefere Grund für die Ermöglichung dieser Erscheinung überhaupt, der natürlich in der künstlerischen Veranlagung dieser
Epoche zu suchen ist.

71) Es ist sehr wohl möglich, daß derartige Schrägstellungen, wie sie die Kuroi von Sunion zeigen, in der späteren
archaischen Kunst nicht mehr vorkommen. Vorarbeiten fehlen hierzu, daher läßt sich darüber nicht mit Bestimmtheit urteilen.
Das stärkere Hereinziehen organischer Elemente, wie wir es am Jüngling in München gegenüber den Statuen von Sunion und
von Delphi beobachteten, bringt ja von selbst eine einheitlichere, zusammenfassendere Gestaltung der Körperlichkeit mit sich. —
„Schrägansichten" begegnen häufig in der archaischen Kunst, wie zum Beispiel der Kopf des blitzschleudernden Zeus des Korfu-
giebels leicht schräggestellt ist und gegen Ende dieser Epoche der Kopf des Theseus der Gruppe von Eretria in „Schrägansiclit"
gegeben ist. Dann finden sich Schrägstellungen besonders bei Figuren der Kleinkunst, wie in der Kopfhaltung des oben genannten
Läufers von Dodona. Ohne auf die Interpretation dieser Werke im einzelnen eingehen zu wollen, sei nur bemerkt, daß außer
den oben im Text genannten Gründen natürlich auch im archaisch-griechischen Kreis die „Schrägansicht" durch die Erfassung
der Stellung als charakteristischer Haltung hervorgerufen werden konnte (s. o. 39ff.). Im Ausgang der archaischen Zeit können
sie auch durch das beginnende dynamische Empfinden veranlaßt sein; dies gilt z. B. zum Teil wenigstens für die Schrägstellung
der Figuren auf den Metopen des Athenerschatzhauses in Delphi. Des näheren können wir auf diese Fragen hier nicht eingehen,
da sie vielmehr in eine Darstellung des Überganges zur organistischen Auffassungsweisc gehören, und wir uns in dieser Arbeit
erst auf die Herausarbeitung des grundlegenden Unterschiedes zwischen vorperspektivischer und perspektivischer Kunst und
der Stellung der archaischen Kunst hierzu beschränken wollten.

72) Der Übergang vom Parataktischen zum Hypotaktischen ließe sich natürlich an vielen anderen Erscheinungen
der bildenden Kunst aufweisen, und es versteht sich von selbst, daß dieser Gegensatz sich auch in den anderen Zweigen des
Geisteslebens ausspricht. „Der hätte Unrecht", sagt E. Buschor (Skulpturen des Zeustempels zu Olympia 5), „der hier nur ein
Wellenspiel sähe, eine Gegenwirkung gegen das freilich seine letzten Möglichkeiten erschöpfende spätarchaische Wesen. Es
wächst vielmehr in diesem Augenblick dem Griechen ein neues Organ zu, es bricht eine neue Quelle auf, der Weltgeist sendet
neue Menschen ins Treffen, denen das Altgepriesene minder wichtig, ein anderes Ziel gesteckt ist; so daß es wenig Wert hat.
dieses aus dem Alten zu erklären. Ob es zuerst die Dichter oder die Denker oder die Bildner erfaßt hat, ist schwer zu
erörtern und vielleicht eine müßige Frage. Es genüge festzustellen, daß die Gesänge Pindars, das Drama des Aeschylus, die
Weltbilder des Parmenides und des Eeraklit derselben Wurzel entspringen wie die neuen Bildwerke, ja in ihrem innersten
Bau sogar denselben Gesetzen gehorchen." - Für diese Fragen ist die Arbeit Bruno Snells, Aischylos und das Handeln im
 
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