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noch eine Depeſche entgegengenommen, in einer feinen Kneipe in der
Praterſtraße der bellende Magen beſchwichtigt, und als wir hielten, ſchien
der Vollmond mitten in die Baumgruppen des Praters hinein. Wir
ſtiegen aus und wanderten in die Vegetation hinein.
Wort geſprochen werden, es durfte bei unſerem Gange kein Aſt unter
den Sohlen knacken. Wir mußten ſo geräuſchlos fürbaß ſchreiten, als
gingen wir als hochroutinirte Jäger einem edeln Auerhahn zu Leibe.



„Nun, ſehen S' Den, der den kleinen Finger der Linken nicht krumm
machen kann und der dabei kein rechtſchaffenes Geſicht hat?“ ſprach der
mir bekannte Polizeibeamte plötzlich und zeigte nach einem Baumſtamm.

„Ich ſehe nichts als Bäume und Mondſchein,“ erwiederte ich.

Da haͤtien die Zwei auch ſchon zwei Andere mit feſtem Griff gepadt,
und ihr Bemühen, fich loszureißen, glich den Anſtrengungen jeuer Maus,
die den Gußſtahlblock, den zwei muskelfeſte Gießer ihr zum Schabernack
auf das Schlupfloch legten, im Zorn emporheben und gen Himmel ſchleu—
dern wollte.

Wir fuhren zu Fünfen wieder nach der Stadt. Ich ſaß auf dem
Bock und war froͤh, diefen freien Platz behaupten zu dürfen. Drinnen
in der Kutſche fand oft ein verzweifeltes Ringen ſtatt; die beiden Ge—
feſſelten wollten ſich ihrer Bande entiedigen. Auch drang oft ein Wuth—
geſchrei aus dem Fiaker hervor, das ich nicht in nächſter Nähe hätte mit
anhören mögen. Die Pferde griffen auch aus, als würden ſie mit Ta—
ranteln gepeitſcht.

Vor dem Kriminalgefängniß ſtiegen drei Perſonen aus, der Pſeudo—
Türke und die beiden im Prater Abgefaßten. Ich ſtieg vom Bock und
begab mich in das Innere des Fiakers. Der mir befreundete Kriminal—
beamte ſetzte ſich zu mir und fort ging's, der Ungariſchen Krone in der
Himmelpfortgaſfe entgegen. Als ich ſchlaftrunken ausſtieg und mit dem
Kutſcher über das Wegegeld handelte, ſtieg noch Einer aus, den ich gar
nicht kannte.








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Ich bat um Aufklärung.
„Wenn S' mich gar nicht mehr kennen, dann freilich bleibt Ihnen der

Illuſtr Welt, XXI. I8.




Lebenserwerb eines geplagten Beamten der Kriminalpolizei auf ewig ver—
ſchloſſen,“ ſagte der fich leidend ſtellende Ausſteigende. „Ich ſag' Ihnen
aber, Der mit dem ſteifen ſchnurgeraden Finger gibt uns Aufſchluß über
den Fund am Karlskettenſtege.“

„Warum denn gerade Einer mit einem ſteifen kleinen Finger? wagte
ich noch zu fragen, bevor ich in das Portal der Ungariſchen Krone trat.

„Sehen S’, ſo würde nicht einmal einer unſerer Zöglinge fragen.
Weil Derjenige, welcher das Hinüberſtürzen des Leichnams über das Ge—
länder in den Donaukanal durch ſeine rechtzeitige „Dazwiſchenkunft“ ver—
hinderte, gewahrte, daß einer der Flüchtigen den kleinen Finger der linken
Hand nicht krümmen konnte. Verſuchen S', die Linke zu ballen und den
kieinen Finger ſcharf auszuſtrecken. Mit ſolcher Hand läuft Niemand,
oder er müßte denn einen Fehler und zwar den der Steifheit am kleinen
Finger haben. Empfehl' mich Ihnen! Sehen S' mich in den nächſten
Tagen im „Kriminal“ wieder!“

In der nächſten halben Stunde lag ich ſchon halb in Morpheus' Ar—
men und hatte nur noch eine verwiſchte Vorſtellung von dem Erlebten.

F. B.

Ein Räuberhauptmann.
Aus den Papieren eines alten Wieners.
(Schluß.)

Seine gefährliche Situation begriff Graſel vollkommen, die Trennung
von der eben erſt wiedergefundenen Liebſten verleidete ihm jedoch den Plan.
Doch überzeugte ihn endlich Meier's Vorſpiegelung, daß man jenſeits der
Grenze ungeſtört beiſammen ſein werde, daß man hier aber taglich einen
Ueberfall zu befürchten habe, der Alles von einander riſſe. Der Räuber
entſchloß ſich zur Flucht und zur momentanen Trennung von den Weibern.
Letztere ſollten, als Bäuerinnen verkleidet, durch „Unteroffiziere“ ſeiner
Baͤnde, die alle Bergwege kannten, Nachts und einzeln ihnen zugefuͤhrt
werden. Man ſchlief einige Stunden. Mit Tagesanbruch trat Graſel
mit Kathi in den Hof und gab ein Zeichen nach dem Heuboden zu.
Meier beobachtete, ohne ſich ſehen zu laſſen, Alles, was dort vorging.
Zwei junge Kerle, die augenſcheinlich oben ihr Nachtquartier gehabt hatten,
ſprangen die Leiter herab und horchten mit militäriſchem Reſpekt auf das,
was ihr „Hauptmann“ ihnen ſagen würde. Einer ſchien ein Burſche
von 23 bis 24 Jahren, der Andere war noch jünger. Sie hatten Kleider
wie Handwerksgeſellen, aber ein gewiſſes ſoldatiſches Weſen ſtrafte dieſe
Tracht Lügen. Ohne Zweifel waren es die „Unteroffiziere“, von denen
Grafel gefprochen, Unteranführer der Bande, in welche Graſel großes
Vertrauen ſetzte und die er deßhalb ſtets um ſich hatte. ;

Als Meier gewiß zu ſein glaubte, daß draußen nichts verhandelt würde, als
die Ausführung ſeines Vorſchlags, händigte er dex Agentin eine in Wien
ausgefertigte Ordre ein, Vorzeiger derſelben auf Requiſition polizeiliche
und miltäriſche Hülfe zu leiſten, und trug ihr auf, wenn er mit Graſel
weit genug wäre Alles was im Hauſe ſich befände, verhaften zu laſſen.
Da die jungen Kerle bei den Weibern bleiben ſollten, ſo durfte er hoffen.
auch ihrer habhaft zu werden. Die Agentin verbarg das Papier auf
das Sorgfältigſte und Meier richtete es ſo ein, daß der wiederkehrende
Graſel ihn in einer Umarmung mit Jener antraf, als ob Beide gerade
Abſchied von einander genommen hätten.

Ehe Graſel den Wagen beſtieg, warf er ſich in den Anzug eines


nicht unbedeutende Summe enthielt. In den linken Rockärmel ſteckte er
ein langes Stilet und in die Beinkleidtaſche das Piſtol. Meier gab er
einen Bauernhut und einen Kittel, ſo daß dieſer für einen Knecht gelten
konnte, der ſeinen Brodherrn zum Einkauf von Vieh nach irgend einem
bayeriſchen Orte fuhr. Bei dem Umkleiden aͤußerte ſich Meier darüber,
daß er ohne Waffen ſei, denn ein zufälliges Sichtbarwerden errege mehr
als alles Andere Verdacht. Graſel erwiederte lächelnd: „Es iſt halt doch
beſſer!“ ſchob aber ſein Stilet noch höher hinauf. Sie beſtiegen den Wa—
gen. Graſel hatte ſeinen Sack bis an das äußerſte Ende züruͤckgeſchoben,
ſo daß er abwechſelnd ſitzen und liegen konnte; Meier nahm unbefangen
ſeine Stelle vorn ein und trieb das Pferd mit der Peitſche an.

Jetzt war der Zeitpunkt eingetreten, wo dieſer Mann ſeine unver—
gleichliche Furchtloſigkeit bewähren mußte. Er ſaß, dem berüchtigten
Verbrecher, auf deſfen Untexgang er ſaun, den Rücken zugekehrt, alſo
ohne alle mögliche Vertheidigung gegen dieſen, wenn er von ihm ange—
griffen ward. Jeden Augenblick konnte ihn ein Stiletſtoß oder eine
Piſtolenkugel insden Rücken treffen — ſein Geſicht war ruhig und er
blickte nux rückwaͤrts, wenn er Graſel etwas ſagen wollte, oder wenn er
brennenden Schwamm für ſeine Pfeife begehrte. Doch geſchah dieß ofter,
denn es gab ihm Gelegenheit, des Räubers Züge zu prüfen. Und er

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